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Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
Читать онлайн.Название Handbuch des Strafrechts
Год выпуска 0
isbn 9783811456655
Автор произведения Bernd Heinrich
Издательство Bookwire
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Ausgeklammert bleibt nachfolgend die Problematik, inwieweit der ärztliche Heileingriff dem Vorsatz-Tatbestand des § 223 StGB unterliegt,[37] ferner auch die Frage, welche Voraussetzungen beim Heileingriff an eine wirksame Einwilligung des Patienten in den Heileingriff zu stellen sind.[38] Bewirkt der Arzt während seines Heileingriffs (z.B. einer Operation), dem als solchen eine wirksame Einwilligung des hinreichend aufgeklärten Patienten zugrunde liegt,[39] sorgfaltswidrig dessen Verletzung oder gar Tötung, so kommt – da der Eingriff als solcher konsentiert war – eine vorsätzliche Körperverletzung (hierfür ist der fehlende Patienten-Konsens beispielsweise in einen während seiner Operation missglückten Schnitt nicht relevant) nicht in Betracht, hingegen aber Strafbarkeit nach §§ 229, 222 StGB.[40] Sollte die Einwilligung in die Heilbehandlung (im Beispiel: in die Operation) hingegen unwirksam sein und der Patient zusätzlich durch einen unvorsätzlich begangenen Behandlungsfehler körperlich geschädigt werden, so kann Strafbarkeit nach § 223 und § 229 StGB vorliegen. Sollte hingegen im Falle unwirksamer Einwilligung in den Heileingriff fahrlässig der Tod des Patienten bewirkt werden, so wäre an eine Strafbarkeit aus § 227 StGB zu denken.[41] In derartigen Fällen entfällt aber schon die vorsätzliche Körperverletzung,[42] sofern der Arzt irrig von einer wirksamen Einwilligung ausgeht. Ein derartiger vorsatzausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum kommt nur bei Fehlvorstellungen des Arztes über tatsächliche Umstände der Einwilligung (also etwa bei Annahme, dass die geplante Operation nicht mit besonderen aufklärungspflichtigen Risiken verbunden ist) in Betracht, während seine rechtlich fehlsame Bewertung (bspw. über seltene, aber gravierende Risiken nicht aufklärungspflichtig zu sein), lediglich einen Verbotsirrtum begründet. Schließlich muss auch die Emperie arztstrafrechtlicher Verfahren[43] ausgeblendet bleiben.
I. Verfehlung des ärztlichen Standards
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Generell wird der Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts nicht allein durch das Erfolgsunrecht der vom Täter bewirkten Beeinträchtigung des Tatobjektes bestimmt. Folglich steht auch bei der Betrachtung der ärztlichen Verantwortlichkeit für Behandlungsfehler als fahrlässige Tötung oder Körperverletzung das Handlungsunrecht der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung als zentrales Element des objektiven Fahrlässigkeitstatbestandes[44] im Mittelpunkt. Das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung des Täters ist im Falle der ärztlichen Behandlung schon deshalb unerlässlich, weil hierbei Misserfolge und Komplikationen auf „der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus“[45] und nicht auf einem Fehlverhalten des behandelnden Arztes beruhen können.[46] Da auch im Bereich ärztlicher Tätigkeit nicht jede Herbeiführung eines unerwünschten Zustandes schlechthin verboten sein kann, knüpft die strafrechtliche Reaktion – entsprechend zu anderen Lebensbereichen – an Verhaltensweisen an, die dasjenige Maß an Sorgfalt außer Acht lassen,[47] das im Zusammenleben innerhalb der Rechtsgemeinschaft billigerweise erwartet werden kann und auf das der Patient vertrauen darf. Aus dem Gebot des „neminem laede“ wird unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeitsverantwortlichkeit das Verbot, für Rechtsgüter des Patienten ein nicht mehr erlaubtes Risiko[48] zu schaffen, durch welches diese Güter in ihrem Bestand und ihrer Sicherheit beeinträchtigt werden.[49] Da jede ärztliche Behandlung mit dem Risiko verbunden ist, den Patienten hierbei zu verletzen oder gar zu töten, darf der Arzt dieses Risiko nur mittels einer Behandlung eingehen, die ihr Ziel auf möglichst schonende Art und Weise und mit möglichst geringem Risiko zu erreichen sucht.[50]
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Der durch das Patientenrechtegesetz 2013 bewirkten Kodifizierung des medizinischen Behandlungsvertrags in den §§ 630a ff. BGB kommt für die nachfolgenden Überlegungen schon deshalb keine weitere Bedeutung zu, da sich diese „Neu“-Regelung ganz überwiegend[51] darauf beschränkt hat, das von der Rechtsprechung (namentlich der zivilrechtlichen Judikatur) geprägte Arzthaftungsrecht in Gesetzesform zu gießen; der ärztliche Pflichtenkatalog im Arzt-Patienten-Verhältnis wurde von den wenigen Neuregelungen nicht berührt. Diese von Spickhoff[52] für den Bereich der bürgerlich-rechtlichen Arzthaftung getroffene Feststellung gilt auch für das – insoweit notwendigerweise jedenfalls vom Ansatz her – zivilrechtsakzessorische Medizinstrafrecht.[53] Insoweit ist bereits hier (näher dann Rn. 128 ff.) darauf hinzuweisen, dass es sich um eine asymmetrische Zivilrechtsakzessorietät handelt, wie sie namentlich vom Bereich der Untreue (§ 266 StGB) her bekannt ist:[54] Zwar kann das Strafrecht nicht ein zivilrechtlich beanstandungsfreies Verhalten sanktionieren; umgekehrt sollte aber angesichts des verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz[55]) vorgegebenen ultima-ratio-Gebots für den Einsatz des strafrechtlichen Instrumentariums nicht jede zivilrechtlich zu schadensersatzrechtlichen Reaktionen führende Verhaltensweise automatisch auch ärztliche Strafbarkeit nachsichziehen.
1. Bewertungsmaßstab (Facharztstandard)
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Entsprechend zu anderen Lebensbereichen (bspw. im Straßenverkehr) ist zur Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit auf das Leitbild eines besonnenen und umsichtigen Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises[56] abzustellen. Da medizinische Maßnahmen besonders ernste Folgen für wichtige höchstpersönliche Güter nach sich ziehen können und der Patient regelmäßig die Zweckmäßigkeit oder Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Handlung nicht beurteilen kann und deshalb nicht gegenzusteuern vermag, sind an das Maß der ärztlichen Sorgfalt hohe Anforderungen zu stellen.[57]
a) Facharztstandard
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Entspricht die vorgenommene Behandlung nicht den Qualitätsanforderungen, die von einem Facharzt auf dem betreffenden Gebiet erwartet werden können,[58] so handelt er pflichtwidrig.[59] Dieser sog. Facharztstandard richtet ärztliches Verhalten an den Vorgaben aus, die zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis infolge medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung als akzeptiertes Vorgehen angesehen werden.[60] Dieser Standard[61] beruht also sowohl auf wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis und Erfahrung[62] als auch auf der Anerkennung dieses Wissensstandes in der Praxis des Medizinbetriebs. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen allein folgt noch kein Standard, an den die strafrechtliche Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit anknüpfen könnte.[63] Wenn auch das Rangverhältnis der Elemente, die diesen Standard bilden, noch nicht endgültig geklärt ist – der Aspekt wissenschaftlicher Evidenz erfährt zunehmende Betonung[64] –, so hat sich bislang auch im Strafrecht kein anderer sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Bestimmung berufsspezifischer Sorgfalt des Arztes ergeben.[65] So werden mit dem Facharztstandard als Vermittlungsbegriff zwischen der abstrakten Vorgabe des Rechts (Sorgfaltspflichtverletzung) und dem konkreten Geschehen[66] die Anforderungen umschrieben, die an einen besonnenen und pflichtbewussten Arzt in der konkreten Situation bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante zu stellen sind.[67] Hierbei kann der jeweils einzuhaltende Standard angesichts der körperlichen und psychischen Besonderheiten jedes Patienten sowie seiner möglichen Begleiterkrankungen von vornherein keinen fest umrissenen Inhalt („Kochbuchmedizin“) haben; vielmehr eröffnet