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entfalten zu können. Auch würde die Rechtsordnung sich selbst überfordern, wollte sie für alle denkbaren Einzelfälle mit ihren je verschiedenen Entscheidungssituationen konkrete Handlungsvorgaben vorsehen. So hat Schreiber zurecht darauf hingewiesen, dass „Konflikte und Aporien ärztlicher Tätigkeit … der Jurist ohne Rückgriff auf den Sinn des ärztlichen Berufs und dessen Ethos nicht entscheiden (kann).“[11] Ohne diese vom Arzt verinnerlichte ethische Fundierung rechtlicher Vorgaben wäre sein Handeln eher als eine mehr oder weniger widerstrebend praktizierte Anpassung an einen ihm fremd erscheinenden Normbefehl zur Abwendung von Sanktionsgefahren zu begreifen. Für den Schutz der hochwertigen Rechtsgüter des Patienten ist aber eine positive Respektierung seiner schutzbedürftigen Belange allemal wirkmächtiger.

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      Bei der ärztlichen Heilbehandlung überschneiden sich Ethik und Recht,[12] da das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten weit mehr ist als eine juristische Vertragsbeziehung.[13] Auch das Bundesverfassungsgericht[14] betont in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1979 die gemeinsame Schnittmenge der zwei sich schneidenden Kreise von Recht und Ethik. Auch soll nicht die unentbehrliche Ergänzungsfunktion medizinischer Ethik bestritten werden, ohne die letztlich das Recht seine steuernde Wirkung nicht oder zumindest nur eingeschränkt entfalten könnte. Aber es ist originäre Funktion der Rechtsordnung als der für alle Bürger gemeinsamen Friedensordnung, die Grenzen zulässigen Verhaltens zu bestimmen, sofern Rechte Dritter betroffen sind. Folglich ist auch im Arzt-Patienten-Verhältnis staatlich gesetztes und angewandtes Recht unerlässlich. Auch dann, wenn man angesichts des Rückgriffs des (Straf-)rechts auf ethisch bedeutsame Sachgehalte wie die Rechtsgüter Leben und Gesundheit ein beziehungsloses Nebeneinander von Recht und Ethik ablehnt, so bildet doch nur das staatlich gesetzte Recht angesichts der Pluralität der Lebensverhältnisse und der höchstpersönlichen Entwürfe eines guten Lebens einzig die noch allen Bürgern gemeinsame Handlungsanleitung.[15] Wenn auch die Basis rechtsgüterschützenden Strafrechts im ethisch-moralischen Bereich anzusiedeln ist (Verbrechen als sozialethisch unerträgliche Tat, die Tadel verdient), so handelt es sich bei der Strafrechtsanwendung vorliegend eben nicht um die Umsetzung arztethischer Vorgaben, sondern um die Anwendung von der Gemeinschaft positiv gesetzten Rechts. Werden ethische Regeln in die Rechtsordnung übernommen, so verlieren ethische Postulate durch diese Einkleidung in die Form des Rechts zwar nicht ihre ethische Rückbezüglichkeit. Sie werden aber zu Teilen der Rechtsordnung,[16] die als für alle Bürger gemeinsame Friedensordnung dann aus sich heraus auszulegen ist.[17] Abschließend sei bemerkt, dass allgemein gesprochen doch eher davon ausgegangen werden kann, dass letztlich die medizinische Steuerung des Rechts (etwa durch dessen unerlässliches Anknüpfen im haftungsrechtlichen Rekurs auf ärztliche Leitlinien) größer ist als umgekehrt die rechtliche Feinsteuerung ärztlicher Praxis.

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      In diesem Zusammenhang darf auch eine bei der Heilbehandlung zutage tretende unterschiedliche Sichtweise nicht außer Betracht gelassen werden:[18] Der Mediziner knüpft an den hilfsbedürftigen Patienten an und richtet seinen Blick in die Zukunft; zu ihrer positiven Gestaltung ist er bereit, Risiken einzugehen. Demgegenüber ist der Blick des Juristen eher auf Minimierung von Risiken, auf Steuerung und Kontrolle gerichtet. Da er im Konfliktfalle, also bei dem Fehlschlag ärztlichen Bemühens, den Blick auf Kausalverläufe der Vergangenheit richtet, tritt der Jurist dem Arzt als normorientierter Dogmatiker gegenüber, während sich der Arzt als seinsorientierter Empiriker begreift.[19] Ärztliche Binnensteuerung und (straf)rechtliche Regulierung stehen aber nicht unverbunden nebeneinander, da sich bei der juristischen Beurteilung ärztlicher Tätigkeit faktische und normative Elemente verschlingen (Schreiber), wie dies ja auch vom Todeszeitpunkt als Ende strafrechtlichen Lebensschutzes her bekannt ist.[20] Dies ändert aber nichts daran, dass für die nachfolgend zu beurteilenden Rechtsfragen primär juristische Maßstäbe zu gelten haben. Da der Patient Fehler des Arztes und seiner Hilfspersonen nur in sehr seltenen Ausnahmefällen rechtzeitig erkennen und selbst Gegenmaßnahmen treffen kann,[21] hat das (Straf)Recht zum Schutze des Patienten eigene Maßstäbe zu setzen, die von denen der ärztlichen Profession ggf. abweichen können.[22] Hiervon unberührt bleibt die Notwendigkeit, dass die rechtliche Beurteilung von den medizinischen Möglichkeiten auszugehen[23] und gerade auch zum Wohle des Patienten die Vielfältigkeit ärztlicher Entscheidungsoptionen durch Einräumen eines Beurteilungs-und Entscheidungsspielraums zu respektieren hat.[24] Entscheidungsabläufe außerhalb der eigentlichen ärztlichen Behandlungstätigkeit, also insbesondere organisatorische Fragen (etwa i.Z.m. arbeitsteiligem Vorgehen) sind hingegen einer eigenständigen rechtlichen Bewertung eher zugänglich.[25]

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      Dieses hat sich bislang einer gesetzgeberischen Feinsteuerung entzogen, so dass eine Vielzahl zu klärender Fragen notwendiger Weise der Rechtsprechung zur Entscheidung zugeschoben wird. Die primär von der Zivil-Rechtsprechung richterrechtlich entwickelten, eine gewisse Orientierungssicherheit vermittelnden Vorgaben drängen sich als primäres Orientierungskriterium auch für die strafrechtliche Beurteilung ärztlicher Heilbehandlung auf. Hieran hat sich auch durch das Patientenrechtegesetz aus dem Jahre 2013 nichts geändert, da in den §§ 630a ff. BGB lediglich die ohnehin richterrechtlich festgeschriebenen Voraussetzungen ärztlicher Haftung namentlich i.Z.m. Verstößen gegen Aufklärungspflichten (§ 630e BGB) Aufnahme fanden, ohne dass hierdurch neue Wegweisungen erfolgten.

V. Eingrenzung

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      Die nachfolgende Untersuchung nimmt ein wichtiges Handlungsfeld in den Blick, in dem die rechtliche Regulierung ärztlicher Tätigkeit Bedeutung erlangt, nämlich die strafrechtliche Reaktion auf ärztliche Behandlungsfehler als Verfehlung des medizinischen Standards (Rn. 10 ff.). Es ist aber auch eine zunehmende Erweiterung ärztlicher Tätigkeitsfelder – also über das Verhüten, Erkennen, Heilen oder Lindern von Krankheiten,[26] Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden hinaus – auszumachen, von der wunscherfüllenden Medizin (bspw. Organlebendspende, Wunsch-Sectio, die sog. Gefälligkeitssterilisation oder Schönheitsoperation) bis hin zu Maßnahmen, die die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit des Menschen steigern sollen (sog. Enhancement wie etwa Doping i.w.S.). Allen diesen Verfahrensweisen ist gemeinsam, dass sie sich jenseits (auch weit verstandener) ärztlicher Indikation an einem Begehren des Patienten und nicht seiner Heilbedürftigkeit ausrichten.[27] Sie sollen aber angesichts fließender Übergänge zwischen Heilbehandlung und Nichtheilbehandlung[28] unter Rn. 74 ff. abrundend in die Betrachtung einbezogen werden.

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      Die ärztliche Heilbehandlung sei hier wie folgt eingegrenzt: Unter ärztlicher Heilbehandlung wird die Tätigkeit einer Person verstanden, die nach §§ 34 ff. der Approbationsordnung für Ärzte zur Ausübung des ärztlichen Heilberufes zugelassen ist. Die für approbierte Ärzte bei ihrer Heilbehandlung geltenden Rechtsvorgaben sind dann entsprechend auf nichtärztliche Personen zu übertragen, sofern diese überhaupt in der Lage sein sollten, entsprechende Maßnahmen durchzuführen, ihr Verhalten also nicht von vornherein als Sorgfaltswidrigkeit im Sinne strafrechtlicher Fahrlässigkeitstatbestände oder als nicht konsentierte vorsätzliche Körperverletzung zu bewerten ist.[29] – Unter Heilbehandlung wird ein dem ärztlichen Heilauftrag entsprechendes ärztliches Vorgehen verstanden, also Eingriffe, die vorgenommen werden,

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