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schon gesehen hatte. »Das kommt ganz darauf an, was du mit ›das‹ meinst«, sagte er und blickte Mara seltsam an.

      Mara sah drei Frauen. Sie schwebten etwa zwei Handbreit über den Bergquellen und sahen zu Mara herüber. Die linke und die rechte Frau waren in eine Art Nonnenkleid aus strahlend hellem Weiß gekleidet. Die Mittlere trug das gleiche Kleid, aber nur die linke Seite war weiß. Die rechte Hälfte war so schwarz, dass Mara fast das Gefühl hatte, hineinzufallen.

       Ainpet, sprach die Erste.

       Gberpet, sprach die Zweite.

       Firpet, sprach die Dritte.

       Und kein Laut drang über ihre Lippen.

      Was mach ich denn jetzt?, dachte Mara. Soll ich antworten?

       Wünsche wir kennen, sprach die Erste.

       Namen wir spüren, sprach die Zweite.

       Gaben wir sehen, sprach die Dritte.

       Und kein Wort klang über den Weg.

      Die haben mir geantwortet!, rief Mara in sich hinein. Ich hab’s gedacht und die antworten mir! Moment, dann hören die ja jetzt auch, was ich gerade denke. Mann, ist das grad wieder verwirrend …

      Flüsternd wendete sie sich an den Professor. »Also, da schweben drei Frauen über den … Ach, ich Depp.« Und mit diesen Worten legte Mara dem Professor ihre Hand auf die Schulter und schloss ihn in ihre Vision mit ein.

      Es kostete sie weniger Mühe als ein Wimpernschlag und Mara war klar, dass das an der geheimnisvollen Kraft aus dem Boden lag.

      Gleichzeitig hörte sie den Professor erstaunt einatmen und wusste, dass er nun das Gleiche sah und hörte wie sie. Sofort fühlte sie sich sicherer und konnte nun wieder etwas klarer denken.

      Warum zeigt ihr euch mir?, fragte Mara die drei schwebenden Wesen.

       Nicht zeigen wir uns, sprach die Erste.

       Gesehen wir werden, sprach die Zweite.

       Wenn Augen gegeben, sprach die Dritte.

       Und leise flüsterte nur der Fluss.

      Aber bevor Mara oder der Professor irgendwelche weiteren Fragen stammeln konnten, erhoben die Frauen ihre Stimmen. Dazu streckten sie ihre Arme aus und zeigten auf den gegenüberliegenden Berg oberhalb des Hotels. Dann sprachen sie synchron, wie eine einzige Frau mit drei Kehlen.

       Wo Carolus nie ward gesehn,

       neun mal neun Schritte sind zu gehn,

       von wo der Nornen Schatz begraben,

       such Völva in der Wala Namen.

       Nutze, was dir ward gegeben,

       wiege mit des Wassers Streben,

       willfährig wird sich’s lenken lassen,

       wem gelingt danach zu fassen.

      Und mit dem letzten Satz waren die drei verschwunden, hinterließen nichts als leises Plätschern und das Rauschen des Waldes.

       Kapitel 5

      Der Professor blinzelte und sah sich um. »Kam es mir gerade nur so vor, oder …«

      »Nein, ich hab’s auch gesehen«, sagte Mara. »Die Linke und die Rechte haben mir zugelächelt.« »Nur die Mittlere nicht«, vervollständigte der Professor ihren Satz.

      »Ja, komisch, oder? Was das wohl zu bedeuten hat?«

      Der Professor legte die Stirn in Falten, aber seine Augen blitzten geheimnisvoll. »Tja, das fragt sich der Laie sicher an mehreren Stellen in diesem wahrlich durchgeistigten Vortrag. Aber ich bin froh und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen stolz, dass ich zum ersten Mal in unserer gemeinsamen Zeit direkt nach der Rätselstellung eine Menge Antworten parat habe. Ja, da bist du baff, nicht wahr? Um ehrlich zu sein, ich auch. Ha!« Und damit stapfte er einfach los zurück zum Hotel. Mara konnte nichts anderes tun, als hinterher zu tappen.

      Der Professor war so stolz auf das, was er aus dem Auftritt der drei geheimnisvollen Frauen kombiniert hatte, dass er diesmal extralange wartete, bis er Mara davon erzählte. Mara war allerdings entschlossen, auf keinen Fall danach zu fragen. Dazu war sie viel zu stolz! Nein, Mara konnte warten und würde ihm sicher nicht den Gefallen tun, danach zu frggnn … »RAUSDAMIT!«

      Der Professor blieb stehen und blickte auf seine Uhr. »Gratuliere, das waren fast acht Minuten. Ich hatte mit maximal zweieinhalb gerechnet. Das darf belohnt werden – und zwar mit Erleuchtung.« Er lehnte sich gegen einen Baum und blickte hinunter zum Flussbett, während er sprach: »Was wir gerade gesehen haben, waren die drei Beten oder auch die drei heiligen Jungfrauen. Sie lassen sich zurückführen auf den sogenannten Matronenkult des 1. bis 3. Jahrhunderts nach Christus. Und von dort noch weiter zurück mitten hinein in die …«

      »Nordisch-germanische Mythologie?«, riet Mara und verkniff sich ein Augenrollen. Da sind wir also wieder.

      »Exakt. Die drei Beten sind also das vorläufige Ende einer jahrtausendealten Verehrung dieser drei Frauenfiguren. Der uralte Kult ist trotz Christentum nie wirklich verschwunden, er hat sich nur immer wieder geschickt angepasst. Noch heute finden sich darum in vielen Kirchen die sogenannten drei heiligen Jungfrauen

      »Wieso die sogenannten?«, fragte Mara dazwischen. »Sind die jetzt heilig oder nicht?«

      Der Professor grinste. »Eine sehr kluge Frage, Mara, denn hier wird es seltsam. Keine dieser heiligen Jungfrauen wurde jemals in die offizielle kirchliche Heiligenliste aufgenommen. Und doch sind Gotteshäuser nach ihnen benannt, Bilder hängen in Kirchen, wie zum Beispiel in Sankt Alto zu Leutstetten gleich um die Ecke, Kerzen werden darunter angezündet und Menschen bitten dort um Hilfe.«

      »In Kirchen?«, wollte Mara wissen. »Moment mal, das eben war doch keine Kirche, sondern …«

      »… sondern eine Quelle, richtig. Die Quelle der Würm, um genau zu sein. Und hier schließt sich der Kreis zu unseren alten Naturgottheiten, Mara Lorbeer, denn die Germanen und auch die Kelten beteten nicht in Kirchen oder Tempeln, sondern an besonderen Stellen mitten in der Natur! Und mal abgesehen davon, dass keine Wände drum rum sind – wenn das da oben kein Ort des Betens und der inneren Einkehr ist, was dann?«

      Mara nickte. Vermutlich gab es sogar Kirchen, in denen weniger los war als dort oben an den Quellen.

      »Die Fähnchen, Bändchen und all das Zeug, das sind also alles … Opfergaben? Von Leuten von heute? Für diese … diesen jahrtausendealten Kult von den drei Frauen?«

      »Ganz genau. Dies ist schon seit ewigen Zeiten ein heiliger Ort und ich glaube sogar, dass die Quelle und der steile Hang die einzigen Gründe sind, warum da noch keiner eine Kirche drüber gezimmert hat. Denn eigentlich haben sich die Christen gerne solche Heiligtümer als Bauort für ihre Gotteshäuser ausgesucht.«

      »Echt jetzt? Wo denn zum Beispiel?«

      »Na, zum Beispiel das Bonner Münster. Direkt unter dieser Kirche fand man gleich mehrere Bildsteine mit den drei Matronen darauf. Ach, und in Weyer hat man den Altar damals direkt auf einen umgedrehten Matronenstein gestellt. Die drei Damen starrten also jahrhundertelang in den Boden hinein, während oben die Priester auf ihnen herumspazierten. Witzig, oder?«

      »Geht so, und was wollten die jetzt von mir?«, fragte Mara und legte die Stirn in

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