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was ist, wenn ich nicht will?«, entgegnete Darius aufrührerisch.

      Doch dieses Mal war es Ramir, der antwortete: »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass deine Meinung hier nichts zur Sache tut. Du hast meinem Meister wohl gerade nicht zugehört. Wir sind zwei Iatas, und wenn du nicht freiwillig mit uns kommst, dann holen wir dich zur Not auch mit Gewalt. In diesem Dorf gibt es niemanden, der uns daran hindern kann. Mach die Sache also nicht unnötig demütigend für dich. Davon abgesehen solltest du dich geehrt fühlen, dass man dich für eine Ausbildung zum Iatas als würdig erachtet. Andere würden für diese Gelegenheit töten.« Genau wie draußen auf dem Hof hatte die Stimme des jungen Mannes wieder einen herablassenden Klang angenommen und Darius begann die Zornesröte ins Gesicht zu steigen.

      Doch nun wandte sich auch Ryu, der bisher geschwiegen hatte, an seinen kleinen Bruder und sah ihm tief in die Augen. »Erinnerst du dich an das, was du mir gestern Abend erzählt hast? Du sagtest mir, dass du dieses Leben satt hättest und endlich mal etwas erleben willst. Darius, das hier ist die Möglichkeit dafür.«

      »Das habe ich doch bloß so dahin gesagt«, entgegnete dieser unruhig, obwohl er sich da urplötzlich gar nicht mehr so sicher war. Was wollte er denn eigentlich? Darius wusste es selbst nicht. Sich an einen letzten Strohhalm klammernd, blickte er von einem zum anderen und meinte energisch: »Wieso ausgerechnet ich? Warum hat euer Schamane ausgerechnet mich ausgesucht? Du hast doch selbst gesagt, dass so etwas seit Jahren nicht mehr vorgekommen ist.«

      »Den Grund dafür kennen wir auch nicht«, antwortete Aaron und es klang tatsächlich aufrichtig. »Begnüg dich einfach damit, dass du auserwählt wurdest. Und jetzt pack deine Sachen. Bei Sonnenaufgang brechen wir nach Baknakaï auf, dem Hauptsitz der Iatas. Dort übergeben wir dich dann deinem neuen Meister.« Der Krieger sprach, als wäre die Sache schon entschieden, doch Darius rebellierte.

      »Ich habe noch nicht gesagt, dass ich mitkomme. Und überhaupt, wieso kommt der Mann nicht selbst hierher, um mich zu holen?« In einem letzten, verzweifelten Aufbegehren gegen das Unausweichliche spie der junge Dieb seinem Gegenüber die Worte mit lauter Stimme entgegen, so als könnte er ihn dadurch in seinem Entschluss umstimmen.

      »All deine Fragen werden wir dir, so gut wir können, auf dem Weg nach Baknakaï beantworten«, versicherte ihm Aaron vertrauensvoll. »Doch bis dahin wirst du dich gedulden müssen.« Mit einer eindeutigen Handbewegung gebot er allen im Raum, dass das Gespräch damit beendet war. Darius war von der Autorität, die mit einem Male von dem Mann ausging, so überrascht, dass er der Geste, entgegen seinem eigentlichen Willen, unbewusst Folge leistete. Augenblicklich verfiel er in nachdenkliches Schweigen, obwohl er bereits Luft geholt hatte, um sich erneut mit dem Iatas zu streiten. Dennoch wollte er auf keinen Fall zulassen, dass man einfach so über seinen Kopf hinweg entschied und ihn für irgendeine Söldnertruppe verpflichtete.

      »Es wurde gesagt, was gesagt werden musste. Wir sind nun müde und werden uns den Rest des Abends zurückziehen«, ließ Aaron nach einigen Augenblicken großspurig verlauten und machte Anstalten zu gehen.

      Nachdem Miree von Mokku angewiesen wurde, in ihrem Haus für die Gäste zu kochen und ihnen anschließend einen Platz zum Schlafen zur Verfügung zu stellen, schritten die beiden Iatas – nach einem höflichen Kopfnicken in Richtung Mokku – nacheinander durch die Tür. Ihre weiten, braunen Gewänder raschelten sanft, als sie den weitläufigen Raum verließen.

      Kaum, dass die Treppen aufgehört hatten unter den Sohlen von Miree und den Iatas zu knarren, beugte Mokku sich in seinem herrschaftlichen Stuhl weit nach vorne und wandte sich geschäftsmäßig an Darius.

      »Mir ist durchaus klar, dass es dich schmerzt, diesen Ort zu verlassen. Du bist hier aufgewachsen und all jene, die du kennst und liebst, leben hier. Aber eine Möglichkeit wie diese bietet sich dir nur einmal im Leben. Deshalb rate ich dir, genau zu überlegen, was du als Nächstes tust. Von mir aus nimm dir aus meiner Küche so viele Vorräte wie du tragen kannst und versteck dich für ein paar Tage im Wald.

      Die beiden Iatas mögen noch so gute Kämpfer und vielleicht auch Spurenleser sein, aber wenn du nicht gefunden werden willst, dann bin ich mir sicher, dass sie dich auch nicht finden werden. Wenn sie abgezogen sind, kommst du zurück und wir werden nie wieder ein Wort über all das verlieren. Allerdings wirst du dich dann den Rest deines Lebens fragen, was alles hätte sein können.«

      Darius nickte resignierend und Mokku fuhr fort: »Die andere Möglichkeit ist, dass du deinen Traum von einem anderen Leben wahr machst. Ryu sagte mir vorhin, dass du schon oft den Wunsch geäußert hast, ein anderes Leben zu führen.«

      »Das ist wahr«, stimmte Darius tonlos zu und sein Schädel schmerzte, was nicht allein an der Beule auf seinem Hinterkopf lag.

      »Als ausgebildeter Iatas könntest du das alles tun, du würdest die Welt bereisen und Abenteuer erleben. Und wenn jemand die Fähigkeiten dafür besitzt, dann du«, meinte Mokku ernst.

      »Aber das stimmt doch gar nicht«, wollte Darius ihn verbessern. »Ryu ist ein viel besserer Kämpfer als ich.«

      »Nein«, entgegnete dieser kopfschüttelnd. »Du hast mich schon vor einer ganzen Weile überholt und wenn du ehrlich bist, gibt es hier keinen mehr, der dir das Wasser reichen kann. Schon allein deshalb solltest du gehen.«

      »Ich bin mir sicher, dass du dich richtig entscheiden wirst«, sprach Mokku zuversichtlich und lächelte breit. »Aber jetzt raus hier, ein alter Mann will schließlich auch mal seine Ruhe.«

      Als Ryu und Darius vor die Tür des Hauses traten, ging die Sonne bereits unter und tauchte das Dorf der Großen Brüder in eine durchdringende Abendröte. Noch immer war Darius verwirrt über das, was er wollte und das, was er glaubte zu wollen. Nachdenklich wägte er das Leben, von dem er schon immer geträumt hatte, gegen das ab, welches er führte. Eigentlich fehlte es ihm doch an nichts und dennoch war da diese Leere in ihm. Eine Leere, die er noch nie mehr gespürt hatte als in diesem Augenblick.

      Werde ich es mir je verzeihen können, wenn ich jetzt nicht gehe? Der Gedanke spukte einige Augenblicke lang in seinem Kopf umher, bis ihm klar wurde, dass die Leere in seinem Innersten keinesfalls von selbst weichen, sondern – genau wie Mokku gesagt hatte – sein Leben lang an ihm nagen würde.

      »Ich möchte, dass du eines weißt«, durchbrach Ryu auf einmal unverhofft die Stille und riss Darius damit abrupt aus seinen Gedanken. Mit starrem Blick sah er ihm tief in die Augen und schien bis hinab in seine Seele schauen zu können. »Ich kenne die Entscheidung, welche du getroffen hast, genauso gut, wie du und ich verüble sie dir nicht. Im Gegenteil. Ich freue mich, dass du deinen Traum leben kannst. Aber ich möchte, dass du eines weißt«, wiederholte er und legte Darius dabei eine Hand auf die Schulter. »Auch wenn wir uns für eine lange Zeit nicht mehr sehen werden, du wirst immer mein kleiner Bruder bleiben.«

      Es schien Darius so, als stecke ein dicker Kloß in seinem Hals, der ihm die Kehle zuschnürte und es fiel ihm schwer zu antworten. Deshalb nickte er seinem älteren Bruder nur stumm zu, während er die Tränen mit aller Macht zurückhielt.

      Schließlich umarmten sich die beiden und Darius gestand sich nun endlich ein, was er die ganze Zeit über eigentlich schon gewusst hatte. Er würde gehen. Er würde ein Iatas werden.

       Reise mit Fremden

      Wie Aaron es vorhergesagt hatte, begannen sie ihre Reise am folgenden Morgen mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Zu Pferd ritt das Dreiergespann in Richtung Westen und Darius musste sich mächtig ins Zeug legen, damit seine alte Stute das Tempo von den gewaltigen Schlachtrössern der beiden Iatas halten konnte.

      Zu Anfang sah der junge Bursche, den man so unverhofft aus seinem bekannten Umfeld gerissen hatte, sich noch hin und wieder nach seiner alten Heimat um. Die breiten Stämme der Bäume und das dichte Gestrüpp, welches links und rechts des schottrigen Waldweges wuchs, versperrten ihm jedoch schon nach Kurzem gänzlich die Sicht auf den Dorfplatz und die meisten Gebäude. Einzig das hölzerne Spitzdach von Mokkus Haus tauchte hin und wieder noch zwischen den Blättern und Nadeln der Baumwipfel auf.

      Darius war fest entschlossen, selbst in

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