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      »Hau ab, Darius. Reite ... reite so schnell und so weit wie nur möglich«, keuchte Ryu entsetzt. Doch als er sich zu seinem Bruder umwandte, war es schon zu spät. Zwei Männer, ein großer älterer und ein kleiner, etwa in dem Alter von Ryu, hatten sich unbemerkt von hinten angeschlichen. Ihre braunen, erdfarbenen Umhänge ließen sie beinahe perfekt mit der Umgebung verschmelzen. Ryu und Darius hätten sie ohne Mirees erschreckten Aufschrei gar nicht bemerkt. Selbst ihr, die direkt in die Richtung der Fremden gesehen hatte, fielen die beiden erst jetzt auf, als sie aus dem Schatten eines nahestehenden Baumes traten und nur noch wenige Schritte entfernt waren.

      »Was denn, nur die zwei?«, fragte Darius, halb belustigt, halb erstaunt über den sinnlosen Aufruhr.

      »Du da, du wirst mit uns kommen«, sagte der Ältere der beiden ruhig und deutete auf ihn. Es war keine Bitte und kein Befehl, sondern lediglich eine Feststellung.

      »Und was ist, wenn ich nicht will?«, spottete Darius und ließ demonstrativ die Faustknöchel knacken.

      »Deine Meinung tut hier nichts zur Sache!«, blaffte ihn der Jüngere an. So langsam wurde Darius ärgerlich über die Dreistigkeit der Fremden.

      »Entweder, ihr zwei schert euch jetzt weg, oder Ryu und ich schicken euch gleich hier und jetzt ohne Umwege zu Otairio. Nicht wahr, Ryu?« Weil sein Bruder ihm nicht antwortete, drehte Darius sich halb zu ihm um. Das Letzte, was er dann noch wahrnahm, war eine kurze, schnelle Bewegung aus dem Augenwinkel. Dann schwanden dem jungen Dieb mit einem Mal die Sinne. Kurz bevor er endgültig bewusstlos wurde, fragte er sich noch, wieso Ryu ihm nicht half.

      Doch was Darius nicht wusste, war, dass sein Bruder in ebendiesem Augenblick eine Entscheidung getroffen hatte. Eine Entscheidung, die nicht nur sein Schicksal und das von Darius verändern sollte, sondern auch das der ganzen Welt.

       Iatas

      Das Erste, was Darius spürte als er wieder zu sich kam, war sein schmerzender Hinterkopf, der sich anfühlte, als würde jemand mit aller Kraft von hinten dagegen drücken. So musste man sich wohl fühlen, wenn man nach einer langen Nacht einen Schädel dran hatte. So nannten es zumindest die Älteren, wenn sie sich betranken, so wie sie es meistens nach Einbrüchen ins nahe gelegene Weingut taten.

      Darius war nicht zum ersten Mal bewusstlos geschlagen worden und so wusste sein Körper beinahe schon instinktiv, was ihn die nächsten Momente erwarten würde. Doch das Schwindelgefühl und der aufsteigende Brechreiz, auf den er sich innerlich schon unbewusst vorbereitet hatte, blieben zu seiner Verwunderung aus.

      Benommen öffnete er die Augen und musste blinzeln. Obwohl das Sonnenlicht durch die langen grauen Vorhänge nur gedämpft zu ihm hindurchdrang, schmerzten die Strahlen im ersten Moment dennoch ein wenig in den Augen. Orientierungslos erhob er seinen Oberkörper von der erstaunlich weichen Liege, auf die man ihn gebettet hatte, und rieb sich den brummenden Schädel. Lange konnte er noch nicht weggetreten sein, denn als er sich mit zusammengekniffenen Augen zu einem weiteren Blick in Richtung der großen Fenster zwang, stellte Darius fest, dass die Sonne noch nicht einmal hinter den nahe gelegenen Baumwipfeln versunken war.

      »Wo bin ich hier?«, kam es ihm unbewusst über die trockenen Lippen, während er sich umständlich einmal um die eigene Achse drehte. Zu seiner großen Überraschung musste Darius feststellen, dass er sich vollkommen allein in dem gut möblierten Zimmer befand, welches ihm auf eine noch undefinierbare Art und Weise seltsam bekannt vorkam. Der großflächige Raum, dessen Fußboden mit langen, mattbraunen Holzdielen verkleidet war, stand voll mit allen möglichen funkelnden Gegenständen, die zwar schön aussahen, jedoch zu nichts nutze waren. Wo hatte er den markanten Boden und diese teure Einrichtung nur schon einmal gesehen?

      Einige schwere, versilberte Kerzenständer, welche die flachen Bretter eines kleinen Regales gefährlich weit nach unten bogen, sprangen dem jungen Dieb sogleich ins Auge. Dazu eine kostbar verzierte Porzellanschüssel, die von einer dünnen Staubschicht überdeckt war und in der mehrere goldene Ringe lagen. Alles Gegenstände, die sein Herz im Normalfall freudig erregt höher schlagen ließen.

      Doch gerade als Darius sich gewohnheitsmäßig bedienen wollte, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. »Ich bin in Mokkus Haus!« Es war mehr eine Frage, die ihm flüsternd über die Lippen kam, obschon er sich der Tatsache mit einem Mal sehr sicher war. Natürlich erhielt er wieder keine Antwort. Dafür durchzuckte den Jüngling, während sich die letzten nebligen Schleier der Ohnmacht von seinem gerade wieder erwachten Geist lösten, unvermittelt eine weitere Erkenntnis.

      Die Erinnerung an die Geschehnisse, welche ihn in seine missliche Lage geführt hatten, war plötzlich auf einen Schlag wieder da. Zwei Männer hatten versucht, ihn mitzunehmen und als er sich für einen Moment zu seinem Bruder umgedreht hatte, war er in eben jenem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit hinterrücks niedergeschlagen worden. Plötzlich überkamen den sonst so mutigem Straßenschläger Zweifel an seiner Reaktionsgeschwindigkeit und seinen kämpferischen Fähigkeiten.

      So etwas ist mir doch sonst noch nie passiert, dachte er peinlich berührt und schüttelte den Kopf. Ich bin nicht einmal dazu gekommen, mich zu wehren. Dabei bin ich doch fast der Stärkste hier im Dorf und schon ein ganzer Mann. Das hätte mir nie passieren dürfen. Obwohl niemand da war, der ihn hören konnte, brachte er die Worte vor lauter Scham dennoch nicht über die Lippen. Zu groß war die Befürchtung, dass sie anklagend in seinen Ohren nachklingen würden. Zu erschreckend die Gewissheit, welche sich endgültig in ihm breitmachen würde, hatte er sie erst einmal laut ausgesprochen. Auch wenn Darius fast schon zwanghaft versuchte, es sich nicht einzugestehen, so empfand er dennoch einen ungeheueren Respekt vor den beiden Fremden, der beinahe schon in Angst überging.

      Was haben die bloß mit mir vor?, ging es ihm immer und immer wieder durch den Geist. Mit einem weiteren Kopfschütteln vertrieb Darius den tristen Gedanken und sah sich noch einmal nachdenklich um. Immer noch fragte er sich, warum man ausgerechnet ihn entführen wollte. Warum wurde er, nachdem man ihn niedergeschlagen hatte, nur in das wenige Schritte entfernte Haus seines Häuptlings gebracht? Und aus welchem Grund stand er nun nicht einmal unter Bewachung?

      Allerdings konnte er sich darüber auch später noch Gedanken machen. Was jetzt Priorität hatte, war schnellstmöglich von hier zu verschwinden und erst einmal ein paar Tage in den umliegenden Wäldern unterzutauchen. Zuvor würde Darius sich aber noch so viel wie er tragen konnte aus Mokkus Vorratslager mitnehmen, um den Hunger zu stillen, der jetzt plötzlich in ihm aufflammte.

      Wenn ich Ryu, diesen Idioten, treffe, dann werde ich dem Feigling erst einmal ein paar kräftige Ohrfeigen verpassen. Hinterher kann er von mir aus mit mir fliehen, um mir während der nächsten Tage im Wald Gesellschaft zu leisten, dachte er verärgert und legte sich die Hand ans Kinn, während er mit in Falten gelegter Stirn angestrengt nachdachte.

      »Eigentlich«, sprach Darius leise an sich selbst gewandt, während er zum Fenster ging, aus dem er herausklettern wollte, »ist es ja nicht meine Art, das Dorf und meine Geschwister einfach so im Stich zu lassen. Aber wenn es sich bloß um diese zwei Männer handelt, die anscheinend auch nur hinter mir her sind, dann kann ich mit ruhigem Gewissen der Gemeinschaft für eine Weile den Rücken kehren. Vermutlich ist es sogar besser so, denn wenn ich weg bin, werden sie es vermutlich auch bald sein.«

      Doch als er das Fenster öffnete und den geringen Höhenunterschied von nicht mal einer Manneslänge mit einem kurzen Sprung überwunden hatte, stellte Darius erschrocken fest, dass es für ihn wohl doch nicht ganz so leicht werden würde. Denn wie aus dem Nichts tauchte auf einmal der jüngere der beiden Angreifer von vorhin aus dem Schatten der Hauswand auf.

      »Leute wie du sind einfach zu berechenbar. Ich weiß nicht, was der Schamane in dir sieht ... Wieso gehst du nicht einfach durch die Tür, wenn du abhauen willst?«, blaffte er ihn herablassend an. Natürlich war das auch Darius’ erster Gedanke gewesen. Doch war er davon ausgegangen, die Tür wäre abgeschlossen und durch den Versuch sie zu öffnen, hätte er eine mögliche Wache, die er eher hinter der Tür als hier draußen vermutete, erst auf sich aufmerksam gemacht.

      »Geh mir aus dem Weg!«, knurrte er deshalb bedrohlich und klang

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