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er so noch nie zuvor gespürt hatte.

      Normalerweise legte sich keiner mit ihm an, schon gar nicht alleine. Das lag nicht zuletzt an seinem Respekt einflößendem Äußeren. Mit seiner Körpergröße, mit der er die meisten erwachsenen Männer um eine Haupteslänge überragte, den muskelbepackten Armen und einem Kreuz, breit wie das eines Orks, sah er nicht nur kräftig aus. Es war auch allgemein bekannt, dass er, vielleicht einmal abgesehen von seinem Bruder, der beste Kämpfer der ganzen Gegend war. Aber dieser Fremde, der ihm zugegebenermaßen an reiner Muskelkraft in nichts nachstand, strahlte etwas aus, das ihm – und Darius wagte es sich kaum einzugestehen – Angst machte.

      »Also, was ist nun? Gehst du freiwillig beiseite oder muss ich dich dazu zwingen?« Wieder erhob Darius das Wort und konnte ein Zittern in seiner Stimme nur knapp unterdrücken. Aber anstatt mit ihm zu kämpfen und möglicherweise auch noch das große Schwert einzusetzen, das an seiner Hüfte hing, lachte der Fremde nur verächtlich auf und drehte sich um.

      »Komm mit, wir haben etwas zu besprechen.« Ohne zu prüfen, ob sein Gegenüber ihm folgte, ging er um die Ecke des Gebäudes. Darius musste zugeben, dass er neugierig war. Und nachdem er kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, sich einfach umzudrehen und so schnell ihn seine Beine trugen wegzurennen, entschied er sich für die weniger feige Lösung. Mit vorsichtigen Schritten folgte er dem jungen Mann, wobei er penibel darauf achtete, immer einen gewissen Abstand zu ihm zu wahren.

      Irgendetwas sagte Darius, dass es von entscheidender Bedeutung wäre, sich anzuhören, was die beiden Fremden zu sagen hätten. Fortlaufen könnte er dann später ja immer noch, zumal sie ihn nicht wie einen Gefangen behandelten. Selbst als er bewusstlos gewesen war, war er weder gefesselt noch verschleppt worden. Beinahe so, als müsste er sich mit diesem Gedanken vor sich selbst rechtfertigen, folgte der junge Dieb seinem vermeintlichen Wärter durch die Eingangstür des Gebäudes, aus welchem er noch Augenblicke zuvor vergeblich zu fliehen versucht hatte.

      Mokkus Haus war das Einzige im Ort mit zwei Stockwerken. Nacheinander stiegen sie die schmale Treppe ins Obergeschoss hinauf. Die durchgetretenen Stufen kamen bei jedem einzelnen Schritt gefährlich ins Knarren.

      Bisher war Darius noch nicht allzu oft hier oben gewesen. Wie er wusste, bestand die ganze Etage nur aus einem einzigen, großen Raum, der von allen Seiten mit riesigen Fenstern umgeben war. Hier hielten die Älteren vor ihren Abenteuern, wie sie es nannten, ihre Besprechungen ab. Mit seinen knapp sechzehn Jahren war es für ihn das erste Mal, dass er sich nicht hineinschleichen musste, so wie er es früher hin und wieder versucht hatte, bevor ihm diese Angewohnheit ausgetrieben wurde. Im Gegenteil. Heute war Darius nicht nur eingeladen, sondern schien sogar der Grund der Besprechung zu sein. Denn kaum, dass sie den Raum betreten hatten, drehten sich sogleich alle Köpfe nach ihm um. Fast das halbe Dorf war hier oben versammelt und es war so voll, dass kaum mehr genügend Platz für ihn und seinen Begleiter war.

      Augenblicklich schwollen die Stimmen an und Darius hatte das Gefühl, dass alle gleichzeitig auf ihn einredeten. Es war ein so großes Durcheinander, dass Mokku, der im hinteren Teil des Zimmers auf seinem herrschaftlichen Stuhl saß und somit ein wenig über die Köpfe der Menge aufragte, erst einmal einige der Anwesenden hinauswerfen musste. Da aber keiner freiwillig auf dieses besondere Ereignis verzichten wollte, endete es damit, dass er alle bis auf Ryu, Darius, Miree und die beiden Fremden wegschickte. Dieser Entscheidung verlieh er bei einigen besonders Starrköpfigen mit seinem langen Stock deutlichen Nachdruck.

      Als endlich auch der Letzte mit schmerzendem Hinterkopf die Stube verließ und die Tür zur Treppe hinter sich geschlossen hatte, setzte Mokku sich wieder auf seinen breiten Stuhl mit der hohen Lehne. Mit weisem und geheimnisvollem Gesichtsausdruck wandte der Häuptling sich ohne zu Zögern sogleich an Darius.

      »Wie ich sehe, bist du wieder zu dir gekommen. Sicher hast du einige Fragen. Wenn ich kann, werde ich sie dir beantworten.« Freundlich lächelte er ihn an.

      Mokku war der Anführer ihrer Gemeinschaft und mit seinen dreiundfünfzig Jahren älter als jeder andere hier. Nachdem er selbst vor mittlerweile fast einem halben Jahrhundert in ins Dorf gekommen war, hatte er selbiges bis heute nicht wieder verlassen. Im Gegensatz zu den meisten Anderen, die es als Erwachsene hinaus in die weite Welt gezogen hatte, um etwas zu erleben und dann woanders sesshaft zu werden. Natürlich immer vorausgesetzt, dass sie auch lang genug dafür lebten, was bei dem Vagabundendasein, wie sie es führten, noch lange nicht selbstverständlich war. Schon viele von ihnen waren bereits kurze Zeit nachdem sie dem Dorf den Rücken gekehrt hatten im Gefängnis oder unter der Erde gelandet.

      Mit einer weit ausschweifenden Bewegung seiner kurzen Arme zeigte er auf die beiden Fremden und begann zu erklären. »Dies sind Aaron«, Mokku zeigte auf den Älteren der beiden, »und Ramir«, woraufhin sich sein fleischiger Finger auf den Jüngeren richtete, der Darius soeben hinauf eskortiert hatte. »Wie du vielleicht schon mitbekommen hast, gehören sie dem Orden der Iatas an und wollen dich mit sich nehmen. Doch dabei kam es wohl zu einem Missverständnis, in dessen Folge sie dich ... nun ja, wie sagtet ihr?«

      Sein Blick wandte sich erneut suchend an die beiden Männer, die, seitdem Darius den Raum betreten hatte, noch kein einziges Wort gesprochen hatten. »... Ruhigstellen mussten«, endete Mokku nach einem langen Atemzug, als die Fremden keine Anstalten machten, ihm das Wort abzunehmen. Ein entschuldigender Ausdruck legte sich auf sein bärtiges Gesicht, als er Darius wieder in die Augen sah. »Sie wollten dich nicht entführen und auch nicht verletzten«, fuhr er beschwichtigend fort, doch seine Miene wurde augenblicklich forschender und er musterte Darius von oben bis unten. »Ich hoffe, sie haben auch Wort gehalten und dir ist nichts geschehen.«

      Darius, dem es immer noch peinlich war, dass er sich so einfach hatte niederschlagen lassen, nickte nur stumm. Er war nicht sonderlich erpicht darauf, die Situation auszuweiten. Vor allem nicht vor Ryu und Miree, obschon sie beide dabei gewesen waren. In der Hoffnung, Mokku möge rasch fortfahren, ließ er den Kopf sinken und schaute betreten zu Boden. Der Häuptling erkannte den Wink und sprach weiter als wäre nichts geschehen.

      »Kurz bevor du mit Ryu angekommen bist, haben Aaron und Ramir unser Dorf betreten und mich aufgesucht, um zu fragen, ob sie dich kaufen könnten. Inzwischen habe ich sie natürlich bereits darüber aufgeklärt, dass dies durchaus keine Bande von Taschendieben ist, die Kinder versklaven und sie zum Stehlen zwingen, so wie es leider in manchen der größeren Städte der Fall ist. Auch habe ich ihnen gesagt, dass ich zwar der Anführer der Großen Brüder bin, du allerdings keinesfalls zu meinem Eigentum zählst. Deshalb sollen sie dich nun selbst fragen, ob du dich ihnen anschließen willst.« Darius verstand immer noch nicht ganz. Wollten sie ihn nun verschleppen oder erreichen, dass er einer von ihnen wurde? Mit einem Mal schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf, doch er entschied sich für die wohl dringlichste.

      »Wer oder was sind die Iatas eigentlich?«, wollte er leicht zögerlich von Mokku wissen, während er nachdenklich die Brauen zusammenzog. Doch an des Häuptlings statt, war es Aaron, der ihm antwortete.

      »Wir sind ein Kriegerorden. Berufssoldaten, wenn du so willst. Aber unsere Vereinigung ist kein Haufen einfacher Söldner, wir sind Elitekrieger. Jeder, der die Ausbildung zum Iatas erfolgreich abgeschlossen hat, kann sich mit Fug und Recht zu den Besten der Welt zählen. Du darfst dich also geehrt fühlen, dass unser Schamane gerade dich ausgewählt hat. So etwas ist schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen.« Der Iatas sah ihn mit einem langen, durchdringen Blick an und ließ seine Worte einige Augenblicke lang wirken, bevor er mit gewichtiger Stimme fortfuhr.

      »Normalerweise zieht ein Iatas-Meister, so wie ich einer bin, mehrere Jahre, durch die Welt, um sich selbst einen Schüler zu suchen. Häufig muss man sehr viele Prüfungen bestehen, die den Geist und den Körper fordern, bevor man von ihm akzeptiert wird. So war es zum Beispiel auch bei Ramir.« Damit deutete er vielsagend auf seinen Schüler, dessen Blick auf einmal nachdenklich ins Leere zu gehen schien, während er mit leicht gesenktem Kopf und aufeinander gepressten Lippen kurz aber zustimmend nickte. Darius wollte noch etwas fragen, wurde aber von Aaron unterbrochen.

      »Eines möchte ich zu Beginn allerdings noch klären. Es hat offenbar ein Missverständnis gegeben. Die Tatsache, dass wir dich Mokku erst abkaufen wollten, war reiner Großmut. Da du ja ganz offensichtlich nicht in seinem Besitz bist, ist dies nun nicht mehr nötig.

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