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kleiner Bach, der leise vor sich hin plätscherte und an den Bäumen schlängelten sich Sträucher empor, an denen schon die ersten Schmarotzerbeeren gediehen, die mit ihrer verlockenden roten Farbe zum Probieren einluden. Doch irgendetwas an dieser friedlichen Szenerie wirkte seltsam ... falsch.

      Als die junge Frau, deren Name Darius nicht kannte und die auch noch kein Wort gesprochen hatte, ihn plötzlich anstieß und nach rechts deutete, erkannte er, was ihn störte. Ihrem Fingerzeig folgend, sah er ein Haus, das von solch enormer Größe war, dass es tief in den Wald hinein ragte und man seine Ausmaße nur abschätzen konnte.

      Obwohl Darius das große, mit hohen, weißen Säulen verzierte Gebäude bisher noch nicht im eigentlichen Sinne wahrgenommen hatte, hatte er doch die ganze Zeit über schon ein unangenehmes Gefühl verspürt. Geradeso als würde dieser Tempel – zumindest sah es so aus, wie einer – einen Schatten über die weite Flora werfen und das, obwohl es mitten am Tag war, während die Sonne heiß vom Himmel herab schien.

      Darius fühlte auf irgendeine nicht zu erklärende Art Beklemmung beim Anblick des Gebäudes und, er kam sich bei der Vorstellung daran selber lächerlich vor, Angst! Doch beim Gedanken an seinen großen Bruder, Ryu, der ihm stets mit der Weisheit: »Wenn du vor etwas Angst hast, dann tu es erst recht«, in die unmöglichsten, doch im Nachhinein gesehen meist glücklich endeten, Abenteuer gestürzt hatte, griff er sich ein Herz und wollte auf das Bauwerk zugehen. In diesem Moment hielt ihn seine Weggefährtin, die ihm auf eine undefinierbare Art und Weise seltsam vertraut vorkam, mit einer leichten Berührung am Arm zurück. Sie sagte zwar noch immer kein Wort, doch in ihrem Blick erkannte er, dass sie selbst mindestens genauso viel Furcht empfand wie er.

      So drehten die beiden sich um und gingen in die entgegengesetzte Richtung. Aus ihrem Gehen wurde schon bald ein Laufen und daraus ein Rennen, als ginge es um ihr Leben. Die Landschaft um sie herum schien nur so zu fliegen und Darius spürte keinerlei Erschöpfung, während er an der Seite des Mädchens die Landschaft hinter sich ließ. Erst als sie sich weit aus dem Wald hinaus in eine hügelige, von saftigen Wiesen überzogene Landschaft geflüchtet hatten, verlangsamte er seine Schritte, bis er schließlich gänzlich zum Stehen kam.

      Obwohl das Gebäude schon längst außer Sicht war, lag der Schrecken, den sich weder Darius noch seine schweigende Begleiterin erklären konnte, noch immer fast greifbar in der Luft. Der jungen Frau hing eine einzelne Strähne ihres langen, hellbraunen Haares ins verschwitzte Gesicht und Darius konnte sich dem Gedanken nicht entziehen, dass er sie von irgendwoher kannte.

      Oder würde er sie erst noch kennenlernen? Ängstlich blickte sie ihm mit einem fast schon anklagenden Gesichtsausdruck entgegen und Darius war sich sicher, dass die eben geschehenen Ereignisse nur der Auftakt zu etwas viel Größerem waren.

      

      

       Der Albewald

      Als Darius am nächsten Morgen erwachte, freilich nichts mehr ahnend von der unwirklichen Begegnung der letzten Nacht, teilte Skal ihm mit, dass seine Ausbildung nun eine neue Ebene erreicht hatte.

      »Die Mittel, die uns in Baknakaï zur Verfügung stehen, werden dir nicht mehr genügen«, meinte er, als er Darius sein Frühstück in die Kammer brachte. Welches, zum Leidwesen des jungen Mannes, nur aus einem undefinierbaren Brei bestand. Aufgrund seines Hungers vom letzten Tag, der mit der abendlichen Mahlzeit nicht gänzlich gedeckt wurde, würgte er es aber trotzdem herunter.

      »Was meinst du damit?«, fragte Darius, während er die schrecklich schmeckende, mehlartige Substanz hinunterschlang.

      »Das Kämpfen und Überleben lernt man am besten da draußen, beim Bestehen von Abenteuern und nicht in einer geschützten Burg«, entgegnete ihm sein Meister mit einer umschweifenden Handbewegung in Richtung des Fensters.

      »Willst du damit etwa sagen, dass ich mit den Schwertkampfübungen nach nur zwei Tagen fertig bin?«, fragte ihn Darius ungläubig.

      »So ganz fertig ist man damit nie und ich werde dir auf unseren Reisen noch Vieles beibringen müssen, aber ja, du hast bereits erreicht, wofür die meisten anderen Wochen oder Monde brauchen. Manche schaffen es auch überhaupt nicht. Ich habe dir eine Aufgabe gestellt, deren Lösung für dich eigentlich unmöglich gewesen wäre, weil ich testen wollte, wie lange du durchhältst, bis du zusammenbrichst. Allerdings hast du meine Erwartungen übertroffen, indem du, ohne eingehende Ausbildung, eine Übung absolviert hast, die für dich noch viel zu schwer gewesen ist. Wie hast du das gemacht?«

      Darius überlegte eine ganze Weile. Er hatte sich diese Frage schon selbst gestellt, kam aber zu keiner zufriedenstellenden Antwort. Zumindest zu keiner, die logisch gewesen wäre. So sagte er unentschlossen: »Ich weiß es selbst nicht genau. Irgendetwas in mir hat die Kontrolle übernommen. Ist das für einen Iatas normal?«

      »Nun, es ist zumindest nicht vollkommen unnormal«, entgegnete Skal, der davon seltsamerweise kein bisschen überrascht wirkte. Und diese Erklärung schien Darius, zumindest für den Augenblick, auch zu genügen.

      »So«, sagte Skal laut und schwungvoll, um rasch auf ein anderes Thema zu kommen. »Jetzt pack deine Sachen, in einer Stunde brechen wir auf!«

      »Wohin?«, wollte Darius neugierig wissen und stellte angewidert die leere Schüssel auf dem Nachttisch ab.

      »Unser Weg führt uns in den Albewald.« Mit diesen Worten verließ Skal den Raum und ließ Darius zurück, der, obwohl er von diesem Wald noch nie gehört hatte, eine seltsam negative Empfindung damit verband.

      So verließen die beiden Männer gemeinsam die Festung Baknakaï, die sie, jeder für sich allein, erst zwei Tage zuvor betreten hatten. Als sie wieder mit der Fähre aufs Festland übersetzten, kam Darius alles seltsam unwirklich vor. Er konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass sich sein Leben in so kurzer Zeit so dramatisch verändert hatte. Hätte man ihm noch vor einem Mond gesagt, dass er bald von zwei Elitekriegern zu ihrer Burg gebracht werden würde, nur um gleich darauf die erste Prüfung zu bestehen, die er dort von seinem neuen Meister auferlegt bekam, er hätte denjenigen für verrückt erklärt. Was mochte ihn wohl als Nächstes erwarten?

      »Skal, was genau ist der Albewald, zu dem wir jetzt aufbrechen?«, beschloss er nach einiger Zeit seinen Meister zu fragen.

      »Der Albewald ist ein finsterer Ort«, antwortete dieser ihm mit geheimnisvoller Stimme. »Die Herrschaft von Epsor ist, wie du sicher weißt, seit Ewigkeiten zwischen den Zivilisierten Völkern gerecht verteilt. Die Menschen, Elfen und Zwerge regieren über den größten Teil der Welt, um zu verhindern, dass sie vom Bösen, vertreten durch die Orks, Gnome, Trolle und wer weiß, was sonst noch alles, ins Chaos gestürzt wird.« Darius nickte bestimmt, zum Zeichen, dass er verstand. Obwohl er sich nicht für Politik interessierte, war ihm die Verteilung der Machtverhältnisse auf Epsor durchaus klar.

      »Dir ist aber vermutlich auch bekannt, dass es früher noch eine vierte Rasse gab, die sich zu den Zivilisierten Völkern zählte«, fuhr Skal in seinem Vortrag fort und Darius, der nie eine Schule besucht hatte und sich auch für Geschichte nicht begeistern konnte, verneinte. »Nun, dann will ich es dir erklären. Bis vor zweihundert Jahren gab es noch ein weiteres Volk. Die Alben. Sie waren den Elfen von ihrer Gestalt her sehr ähnlich und nicht wenige Gelehrte vermuteten sogar eine gemeinsame Abstammung. Die Alben waren im Schnitt gut einen Kopf größer als ein Mensch, hatten spitz zulaufende Ohren und zählten, wie auch die Elfen und Zwerge, zu den langlebigen Geschöpfen von Epsor. Das heißt, dass sie nicht an Altersschwäche oder Krankheit sterben können. Der einzige Unterschied zu den Elfen war – zumindest rein äußerlich – die Farbe ihrer Augen. Den diese waren komplett schwarz und galten als der Spiegel ihrer finsteren Seele.«

      Darius erinnerte sich, dass Aaron ihm gegenüber am ersten Abend ihrer Reise etwas von Alben erwähnt hatte. Er schwieg jedoch, um Skal in seiner Rede nicht zu unterbrechen.

      »Als grausames, wenn auch zugegebenermaßen zivilisiertes und untereinander gerechtes Kriegervolk, lebten sie mit den Menschen, Elfen und Zwergen in einer mehr oder weniger harmonischen Gemeinschaft. Aufgrund ihrer kämpferischen Natur

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