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kann.

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      Eine Lösung dieses Dilemmas besteht nun darin, auf der Tatbestandsseite bzw. „Voraussetzungsseite“ einer Norm unbestimmte Rechtsbegriffe zu fixieren, wie etwa „Gefahr“ in § 3 Abs. 1 SOG, um eine Situation zu beschreiben, gleichzeitig aber der Praxis Flexibilität zu geben bei der Frage, was darunter zu verstehen ist. Eine zweite „Stellschraube“ besteht auf der Rechtsfolgenseite darin, der Verwaltung auch die Entscheidung zu übertragen, ob sie einschreitet, selbst wenn alle Voraussetzungen vorliegen. Lässt der Gesetzgeber im Wege von Formulierungen wie „darf … durchsucht werden“ (§ 15 Abs. 1 SOG), „ist berechtigt, eine Person anzuhalten“ (§ 12 Abs. 1 SOG), „kann“ Maßnahmen treffen oder „treffen … nach pflichtgemäßem Ermessen … die erforderlichen Maßnahmen“ (§ 3 Abs. 1 SOG), der Verwaltung diesen Entscheidungsspielraum, so räumt er ihr Ermessen ein. Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (so ausdrücklich § 40 HmbVwVfG). Im Gegensatz zum unbestimmten Rechtsbegriff ist das Ermessen nur eingeschränkt durch Gerichte überprüfbar (s. B. I.4.c.).

       Beispiel:

      § 12 b Abs. 1 Satz 1 SOG lautet: „Eine Person darf aus ihrer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verwiesen werden, wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren.“

      Analysiert man die Norm aufbautechnisch, so ergibt sich:

      Tatbestandsseite mit unbestimmten Rechtsbegriff „Gefahr“:

      „wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren.“

       Rechtsfolgenseite mit Ermessen „darf“:

      „Eine Person darf aus ihrer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verwiesen werden“

       b) Arten des Ermessens

       aa) Entschließungsermessen

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      Ist den Verwaltungsbehörden und insbesondere der Polizei Ermessen eingeräumt, so müssen die Behörden im Rahmen ihres Ermessens zunächst die Entscheidung treffen, ob sie überhaupt einschreiten (Entschließungsermessen).362 In den Fällen der Ermessensreduzierung auf Null oder Ermessensschrumpfung, in denen ein Nichthandeln schlichtweg unvertretbar wäre, schlägt die Möglichkeit zu handeln aber ohnehin in eine Pflicht um. So ist die Polizei z. B. zum Handeln verpflichtet bei erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter wie Leib und Leben.363

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      Zum Teil bereits unter „Auswahlermessen“ firmierend, teilweise aber auch als „Gestaltungsermessen“ (einschließlich Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme) bezeichnet,364 liegt sodann der Fokus auf der Auswahl der Maßnahme. Im Kern geht es um die Frage, welche Maßnahme adäquat ist. Prüfungstechnisch sind zunächst die Zwecke der Maßnahme zu ermitteln und es ist dann zu untersuchen, ob die ausgewählte Maßnahme zur Erreichung des Zwecks geeignet ist, ob sie erforderlich und angemessen ist (Verhältnismäßigkeit). Es gilt im Überblick:

      – Legitimer Zweck der Maßnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SOG, Gefahrenabwehr, weiter zu konkretisieren)

      – Prüfung

      – Geeignetheit (§ 4 Abs. 1 SOG)

      – Erforderlichkeit (§ 4 Abs. 2 und 4 SOG)

      – Angemessenheit (§ 4 Abs. 3 und ggf. § 5 SOG)

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       Legitime Zwecke richten sich im Rahmen der Befugnisse nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen. Insbesondere im SOG ist dies durch § 4 Abs. 1 Satz 1 SOG auf den Punkt gebracht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet sein muss. Ausgangspunkt ist mithin immer die Gefahrenabwehr, auch im PolDVG sowie im HafenSG (vgl. z. B. § 2 HafenSG „Allgemeine Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“). Dies wird dann in den einschlägigen Befugnisgrundlagen weiter konkretisiert. So muss eine Maßnahme nach § 3 Abs. 1 SOG z. B. auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgerichtet sein (was seinerseits dann im einzelnen Fall näher konkretisiert werden sollte, z. B. Schutz des Lebens Anderer, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Nach § 12 b Abs. 2 Satz 1 SOG muss etwa ein Aufenthaltsverbot der „Verhütung von Straftaten“ dienen.

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      Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Zweck-Mittel-Relation ausgewogen ist. Zunächst ist die Frage der Geeignetheit der Maßnahme zur Erreichung des Zwecks zu überprüfen. Letztlich fehlt es an dem Kriterium dann, wenn eine Maßnahme den Zweck überhaupt nicht fördert oder gar behindert. Anders ausgedrückt reicht es aus, wenn eine Maßnahme den Zweck mindestens fördern kann.365 Das Kriterium ist also sehr niedrigschwellig. Demzufolge konkretisiert § 4 Abs. 1 SOG auch:

      „(1) Eine Maßnahme muss zur Gefahrenabwehr geeignet sein. Sie ist auch geeignet, wenn sie die Gefahr nur vermindert oder vorübergehend abwehrt. Sie darf gegen dieselbe Person wiederholt werden.“

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      Bei der Erforderlichkeit ist zu untersuchen, ob es ein milderes und gleich effektives Mittel gibt.366 Fehlt es an einer solchen Alternative, ist das ausgewählte Mittel erforderlich. Somit heißt es in § 4 Abs. 2 und 4 SOG:

      „(2) Kommen für die Gefahrenabwehr im Einzelfall mehrere Maßnahmen in Betracht, so ist nach pflichtgemäßem Ermessen diejenige Maßnahme zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten belastet. Bleibt eine Maßnahme wirkungslos, so darf in den Grenzen der Absätze 1 bis 3 eine stärker belastende Maßnahme getroffen werden.“

      „(4) Ist jemand aufgefordert worden, eine bevorstehende Gefahr abzuwehren oder eine Störung zu beseitigen, so ist ihm auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das der beabsichtigte Erfolg ebenso wirksam herbeigeführt und die Allgemeinheit nicht stärker beeinträchtigt wird. Der Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem die Voraussetzungen für die Anwendung von Verwaltungszwang vorliegen, spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Aufforderung.“

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      Die Maßnahme ist angemessen oder verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die durch die Maßnahme verfolgten Zwecke die beeinträchtigten Rechtsgüter (insbesondere das beeinträchtigte Grundrecht des Adressaten der Maßnahme) überwiegen.367 Hilfreich und ausschlaggebend für die Abwägung kann sein, ob es sich um einen tiefen Grundrechtseingriff handelt, ob es auf der Schutzseite um Rechtsgüter wie Leib und Leben geht oder ob eine Vielzahl von Rechtsgütern geschützt werden soll. § 4 Abs. 3 SOG lautet (zum zeitlichen Übermaßverbot vgl. § 5 SOG):

      „(3) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr dürfen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.“

       cc) Auswahlermessen

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      Ist eine Maßnahme im Sinne des Gestaltungsermessens auch verhältnismäßig, steht in Fällen mehrerer Störer (§§ 8, 9 SOG) oder potenziell mehrerer in Anspruch nehmbarer Dritter (Nichtstörer, § 10 SOG) noch nicht fest, gegen wen die Maßnahme konkret zu adressieren ist. Die Einzelheiten

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