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sie tätig werden (Auswahlermessen). Dies betrifft die Wahl der einzusetzenden Mittel und Maßnahmen, und bei verschiedenen Verantwortlichen die Auswahl des Adressaten der Maßnahme (zur Störerauswahl näher B. I.3.; zum Ermessen im Allgemeinen s. B. I.4.).

       cc) Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formerfordernisse

       (1) Zuständige Gefahrenabwehrbehörde

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      Die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG weist die sachliche Zuständigkeit primär den „Verwaltungsbehörden im Rahmen ihres Geschäftsbereichs“ zu. Welche Behörde danach für welche Teilaufgabe zuständig ist, ergibt sich – soweit keine Spezialregelung existiert – aus den „Anordnungen zur Durchführung des SOG und des PolDVG“. Zuständig ist im Grundsatz jede Verwaltungsbehörde, weil die Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr als Annex in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt, teilweise sind es aber auch die Bezirksämter. Die sachliche Zuständigkeit ist im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen (dazu Prüfungsaufbau unter B. I.1.b.).

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      Die Vollzugspolizei ist, sofern keine Spezialregelung besteht, nach § 3 Abs. 2 Satz 1 lit. a SOG subsidiär für ordnungsrechtliche Maßnahmen zuständig, wenn diese „unaufschiebbar sind“. Entscheidend ist also die zeitliche Dringlichkeit der Gefahrenabwehr. „Unaufschiebbare Maßnahmen“ (§ 3 Abs. 2 Satz 1 SOG) sind solche, bei denen ein Zuwarten bis zur Entscheidung der primär zuständigen Verwaltungsbehörde den Erfolg der Maßnahme vereiteln oder wesentlich erschweren würde.298 Sofern zunächst ausreichend, muss sich die Vollzugspolizei auf vorläufige Maßnahmen beschränken und alles weitere der zuständigen Verwaltungsbehörde überlassen.299 Als vorläufige Maßnahmen kommen innerhalb dieses „Rechts des ersten Zugriffs“ regelmäßig nur sichernde oder vorbeugende Maßnahmen in Betracht.300

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      Auf welche Rechtsgrundlage die Vollzugspolizei ihr Eingreifen zu stützen hat, wenn sie im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit im besonderen Ordnungsrecht an Stelle der eigentlich zuständigen Verwaltungsbehörde tätig wird, ist streitig. Teilweise wird hier vertreten, dass für die Vollzugspolizei dann die Regelungen des besonderen Ordnungsrechts (z. B. Umweltrechts) gelten, d. h. dieselben, wie auch für die primär zuständige Verwaltungsbehörde.301 Problematisch an dieser Ansicht ist die Tatsache, dass die erforderlichen speziellen Rechtskenntnisse vieler Gebiete des besonderen Ordnungsrechts in der Praxis von der Vollzugspolizei nur schwerlich vorausgesetzt werden können. Nach der vorzugswürdigen Gegenauffassung gelten für die Vollzugspolizei in derartigen Fällen materiell-rechtlich die Eingriffsbefugnisse des allgemeinen Polizeirechts im SOG – meist wird es hier die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG sein – und nicht die spezialgesetzliche Regelung.302 Würde der Vollzugspolizei die Normkenntnis aus dem speziellen Ordnungsrecht abverlangt, was nicht leistbar ist, bestünde die Gefahr, dass die Vollzugspolizei insgesamt gehemmt ist, überhaupt einzuschreiten.303 Auch rechtsstaatlich scheint diese Ansicht vertretbar, da die Vollzugspolizei im Rahmen ihrer Eilkompetenz soweit wie möglich auf vorläufige Maßnahmen beschränkt ist.304

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      „Im Zusammenhang mit den ihr obliegenden Aufgaben“ ist die Feuerwehr (Berufsfeuerwehr und Freiwillige Feuerwehren), § 3 Abs. 2 Satz 1 lit. b SOG, für unaufschiebbare Maßnahmen zuständig.

       (2) Subsidiarität der Generalklausel

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      Beide Generalklauseln des SOG sind nur einschlägig, wenn keine speziellere Eingriffsermächtigung vorliegt.

      Dies ist bei der Ermächtigungsgrundlage zu prüfen (dazu Prüfungsaufbau unter B. I.1.b.).

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      So tritt die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG als subsidiär zurück, wenn die Voraussetzungen einer spezielleren Eingriffsermächtigung in einem spezielleren Gesetz vorliegen.

      Das SOG wird dann von einer spezielleren Rechtsmaterie verdrängt, wie z. B. dem Infektionsschutzrecht, Ausländerrecht, Baurecht, Gewerberecht. Die polizeiliche Datenverarbeitung ist im PolDVG spezialgesetzlich geregelt (dazu C. I.), das Verwaltungsvollstreckungsrecht z. T. im HmbVwVG (dazu unter B.IV.).

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      Der Anwendungsbereich der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG ist des Weiteren nur eröffnet, wenn das SOG eine polizeiliche Befugnis nicht besonders regelt. Unter besonderen Regelungen im SOG sind die Bestimmungen über die sogenannten Standardbefugnisse305 oder Standardmaßnahmen zu verstehen (§§ 11 SOG ff.). Hier werden bestimmte, in der polizeilichen Praxis häufig wiederkehrende, Maßnahmen typisiert306 bzw. standardisiert307. Die Befugnis, eine Maßnahme des jeweiligen Typs zu ergreifen, kann dann nur der speziellen Standardbefugnis des SOG entnommen werden.

       Beispiel:

      Gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG verfügt ein Polizeivollzugsbeamter zur Durchsetzung eines Platzverweises die zwangsweise Verbringung eines unter Entzugserscheinungen leidenden Drogensüchtigen vom Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofes in die weit abgelegene Boberger Dünen im Stadtteil Vierlande (Stadtrand von Hamburg, ca. 12 km entfernt). Dieser sog. „Verbringungsgewahrsam“ kann nicht auf § 3 SOG gestützt werden, da der Tatbestand der Ingewahrsamnahme als Standardmaßnahme im SOG abschließend geregelt ist und es sich hier zudem als Maßnahme auch nicht ausschließlich um eine Ingewahrsamnahme, sondern um ein „aliud“ handelt (dazu unter B.II.4.d.bb.1.).308

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      Ein Rückgriff auf die Generalklausel für eine Maßnahme scheidet auch dann aus, wenn eine Standardmaßnahme der Rechtsfolge nach gewollt ist, der Tatbestand für diese Standardmaßnahme aber im konkreten Fall gar nicht erfüllt ist.309

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      Auch wenn eine Maßnahme als solche gar nicht speziell geregelt wurde, aber durch systematische Auslegung, insbesondere durch Vergleich mit sehr „ähnlichen“ Standardmaßnahmen, darauf geschlossen werden kann, dass die geregelten Maßnahmen abschließend sein sollen („numerus clausus“ der Standardmaßnahmen310), so verbietet sich in diesem Fall auch ein Rückgriff auf die Generalklausel. Wichtiger Indikator einer solchen Sperrwirkung durch eine Standardmaßnahme ist eine vergleichbare oder sogar höhere Eingriffsintensität der zu ergreifenden Maßnahme.311 Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgebot erfordern dann erst recht auch für diese Maßnahme eine eigene spezielle Regelung.

       Bespiel:

      Wegen der Rechtsprechung des EGMR im Jahr 2009, wonach ein Gesetz zur nachträglichen Verlängerung von Sicherungsverwahrungen gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 7 EMRK „nulla poena sine lege“) verstößt,312 wird ein ehemals sicherungsverwahrter Sexualstraftäter, bei dem laut Gutachten noch immer eine hohe Wahrscheinlichkeit des Rückfalls besteht, aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Er nimmt in Hamburg seinen Wohnsitz und wird, gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG, seither durch fünf hamburgische Polizeibeamte rund um die Uhr observiert bzw. begleitet. Wegen der Schwere des Eingriffs kann die Maßnahme nicht auf § 3 Abs. 1 SOG gestützt werden (zur deshalb geschaffenen Standardbefugnis der polizeilichen Begleitung [§ 12 c SOG] s. B.II.6.).313

       (3) Benachrichtigungspflicht, § 3 Abs. 2 Satz 2 SOG

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