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      »Es ist dein Begrüßungsgeschenk. Sie wollen, dass du runterkommst und es dir anschaust. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, wir nehmen dich ja schließlich hier auf. Man sollte meinen, das sei nett genug!«

      Ein kalter Schauer lief mir bei ihren Worten über den Rücken.

      Sie musterte mich einen Augenblick lang eindringlich und unter ihrem stechenden Blick fühlte ich mich unwohl und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann zuckte sie mit den Schultern, schwang ihre schwarzen Locken zurück und stolzierte aus dem Zimmer.

      Ich konnte ihr nur mit hochgezogenen Brauen nachschauen.

      Na toll, da hatte jemand ganz klar zu verstehen gegeben was er von mir hielt. Kopfschüttelnd strich ich mein Bett wieder glatt. Die Überdecke war hellgrau und ganz weich, vorsichtig ließ ich meine Fingerspitzen darüber gleiten und schloss die Augen. Jetzt war ich in Amerika, ich war einmal um die halbe Erdkugel geflogen, in weniger als einem Tag hatte ich alles hinter mir gelassen. Ein Gefühl von Einsamkeit überkam mich, ich hatte Fernweh und wusste nicht einmal genau wonach. Nach Hexham bestimmt nicht und auch nicht nach der Irrenanstalt. Vielleicht vermisste ich Doktor Jones oder meine Betreuerin, aber auch das konnte ich mir nicht so recht vorstellen.

      Ich fühlte mich einfach leer und sehr fehl am Platz.

      Aber ich durfte mich nicht beschweren, denn ich hatte es selbst so gewollt.

      Nachdem ich auf die Offene Station verlegt worden war, hatte ich Ausflüge in die Stadt unternehmen dürfen. Natürlich unter Beaufsichtigung. Wollte ja keiner die Irren alleine auf die guten Bürger von Hexham loslassen. Für die armen war es auch so schon schwer genug, dass es in ihrem ordentlichen, vornehmen Ort eine Psychiatrie gab.

      Für mich waren diese Ausflüge, so wenige es auch gewesen waren, bei weitem schlimmer als für die Einwohner.

      Auf den Straßen hatten sie jedes Mal über mich getuschelt, so laut, dass ich jedes Wort hatte hören können. Sie hatten mit dem Finger auf mich gezeigt und mich mit offenem Mund angestarrt. Es war, als ob ein blinkendes Leuchtreklamen Schild über mir gehangen hätte.

      Verehrte Damen und Herren, sehen Sie hier! Heute, extra für Sie, das Entführungsopfer. Kommen Sie näher und sehen Sie! Eintritt frei.

      Ich war mitten auf dem Gehweg zusammengebrochen, nachdem zwei ältere Damen darüber geredet hatten, ob ich jemals ein normales Leben würde führen können oder ob ich nicht für immer gezeichnet blieb.

      Jeder kannte mein Gesicht und meine Geschichte aus den Nachrichten. Ich war fast schon eine Berühmtheit.

      Ein paar der Artikel hatte ich auf Wunsch zusammen mit Doktor Jones gelesen und war erstaunt, wieviel mehr die Medien über mich wussten als ich selbst.

      Doktor Jones hatte mir zwar erklärt, dass es sich oft um Spekulation handelte oder man nur versuchte meine Geschichte auszuschlachten, trotzdem kam ich mit dem Medienhype um mich nicht zurecht.

      Ich wollte die Einrichtung auf keinen Fall mehr verlassen und blieb die meiste Zeit in meinem Zimmer, schaute aus dem Fenster in den Park und wünschte mir, jemand anderes zu sein.

      Aber ich konnte nicht auf ewig dort bleiben. Doktor Jones erklärte mir, dass ich dank der guten Fortschritte, die Institution bald verlassen durfte. Ich überlegte tatsächlich wie ich das verhindern konnte. Allerdings war ich eine miserable Schauspielerin und meine Psychologin kannte mich nach dreieinhalb Jahren zu gut, als dass ich ihr etwas hätte vormachen können.

      Gemeinsam beschlossen wir, mich möglichst weit wegzuschicken, in ein anderes englischsprachiges Land. Gegen Australien entschied ich mich sofort wegen der Hitze, aber Kanada und ein Teil der USA kamen in die engere Auswahl. Man suchte nach Familien mit gleichaltrigen Kindern in einer ruhigen Gegend, die eine Jugendliche adoptieren wollten.

      Ein abgelegener Ort sollte es sein, einer, in dem man vermutlich noch nie von mir gehört hatte.

      Ein paar Familien lernte ich über Skype kennen, aber die Moores waren die einzigen, die ich einladen wollte und es hatte von Anfang an gepasst.

      »Clara, Liebling. Kommst du bitte vors Haus.« Moms Stimme drang die Treppe empor.

      Und da ich ein braves, dankbares Mädchen war, das keinen Ärger machen wollte, schob ich die Einsamkeit gut verpackt in einen hinteren Winkel meines Gehirns, band meine Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen und kam ihrer Bitte nach.

      Die ganze Familie stand versammelt vor dem Haus, Dan mit einem stolzen Ausdruck im Gesicht, wie ihn Männer in Autozeitschriften immer haben. Mom wirkte aufgeregt und lächelte mich fröhlich an. Nur Delilah stand abseits und hatte die Arme in die Hüften gestemmt. Ihr Blick ließ keine Zweifel an meiner These.

      Sie alle standen um ein silbernes Auto herum, das frisch poliert wirkte und eine große rosa Schleife auf der Kühlerhaube hatte.

      »Tada«, rief Mom und klatschte in die Hände. »Der Wagen ist für dich. Frisch aus der Werkstatt.«

      »Und er ist erst drei Jahre alt, stand die meiste Zeit in der Garage« fügte Dan hinzu.

      Sie strahlten mich beide mit einer so aufrichtigen Freude an, dass ich ihnen nur ungern das Herz brach.

      »Ein Fahrrad hätte es auch getan«, murmelte ich.

      »Was sagst du, Liebes?« Moms Augen wurden groß. Ich stöhnte.

      »Ich freu mich wirklich und das ist super lieb von euch. Aber… aber ich kann gar nicht Auto fahren, ich habe keinen Führerschein.« Meine Stimme wurde immer leiser, bis sie fast gänzlich versagte.

      Drei Paar Augen starrten mich ungläubig an.

      Delilah brach als erste das Schweigen: »Welche Siebzehnjährige hat denn bitteschön keinen Führerschein?« Ihre Stimme triefte vor Verachtung.

      Ich wandte mich ihr direkt zu und schaute ihr fest in die Augen:

      »Wann bitte hätte ich denn den Führerschein machen sollen? Ich war acht Jahre eingesperrt und danach hatte ich wirklich anderes zu tun!«

      Sie wurde feuerrot im Gesicht und stürmte ins Haus. Blöde Kuh!

      Keiner achtete auf sie, meine neuen Eltern kamen stattdessen auf mich zu.

      »Es tut uns so leid! Daran hätten wir denken sollen«, sagte Mom sanft. »Bis du deinen Führerschein gemacht hast, wird dich Delilah mit zur Schule nehmen.«

      »Da freut sie sich bestimmt«, seufzte ich.

      »Nimm sie bitte nicht so ernst, ja. Sie muss sich noch daran gewöhnen, sie hatte es in letzter Zeit nicht einfach.« Dan berührte mich leicht an der Schulter und lächelte aufmunternd.

      Ich nickte zwar, hatte aber kein Mitleid mit meiner Adoptivschwester.

      Ich hatte in England genug solcher Mädchen kennengelernt, um zu wissen, wie ich mit ihnen umgehen musste. Zwar hatte ich keine Lust auf Zickenkrieg, aber ich würde mich nicht fertigmachen lassen. Nie mehr!

      Das Wochenende verbrachte ich die meiste Zeit lesend in meinem neuen Zimmer oder mit Dan im Garten, wo er mir seine Beete zeigte und versuchte, mich dafür zu begeistern.

      Mir blieb auch nicht viel anderes übrig. Mom war wegen eines Meetings nach LA geflogen und Delilah war die meiste Zeit nicht zu Hause. Nicht, dass es mich störte, aber wenn sie nicht so ein Problem mit mir gehabt hätte, dann hätte sie mich vielleicht mitgenommen und ihren Freunden vorgestellt. So aber würde ich am Montag in der Schule vollkommen die Neue sein. Vermutlich erzählte sie ihren Freunden schon, wie verrückt ich war.

      Das nahm mir nicht gerade die Angst vor dem ersten Schultag. Im Gegenteil, meine Paranoia freute sich über das gefundene Fressen und ärgerte mich mit Erinnerungen an früher.

      Als ich in das Florence-Nightingale-Institut kam, war ich vierzehn und hätte damals in der neunten Klasse sein sollen, aber die Schulleitung steckte mich wegen der versäumten acht Jahre in die fünfte Klasse, ohne mich vorher auszufragen oder auch nur mein Wissen zu testen.

      Man

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