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betrat ich auch an diesem Morgen den Klassenraum mit einem mulmigen Gefühl und setzte mich stumm an meinen Platz.

      Meine ehemals beste Freundin Emma saß neben mir. Sie war eigentlich ganz okay. Immerhin sprach sie ab und zu noch mit mir. Allerdings nur, wenn es niemand mitbekam.

      Ich sah mich um. Antonia und Lara, die größten Zicken aus unserer Klasse thronten auf der Fensterbank und waren mal wieder total aufgestylt. Sie lachten laut, sodass auch ja jeder mitbekam, wie toll sie waren. Ich verzog das Gesicht, mir wäre es viel lieber gewesen, wenn man mir überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

      Thomas schrieb wie immer die Hausaufgaben von Tamara, der Streberin, ab. Sie stand total auf ihn. Thomas wusste das und nutzte es gnadenlos aus. Jeden Tag schrieb er bei ihr ab. Egal, ob bei den Hausaufgaben oder Arbeiten, und sie ließ es immer zu. Ich fragte mich, wie lange es noch dauern würde, bis Tamara es endlich checkte, dass Thomas sie nur ausnutzte. Hinter ihrem Rücken machte er sich sogar mit seinen Kumpels über sie und ihre viel zu große Streberbrille lustig.

      Und dann sah ich zu Pascal und Fynn, die hinten in der Ecke hockten und ihr Plakat für Biologie fertigmachten.

      Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken, als mir die Biopräsentation wieder einfiel. Jedes Mal, wenn ich irgendetwas vor der Klasse vortragen musste, gab es nur miese Kommentare, und fieses Gelächter und das würde auch heute wieder so sein. Meine Hände wurden ganz schwitzig, wenn ich nur daran dachte.

      Ich wusste nicht, warum Frau Steinmeyer gerade meiner Gruppe das Thema Wölfe gegeben hatte. War es tatsächlich einfach nur Zufall, wie sie behauptete?

      Allerdings konnte ich mir auch gut vorstellen, dass sie das mit voller Absicht getan hatte, um mir eins auszuwischen. Sie mochte mich aus irgendeinem Grund nicht. Genauso wenig, wie ich sie.

      Mit Sicherheit hielt sie mich genauso verrückt, wie es alle anderen taten. Nie hatte jemand Mitleid gezeigt, obwohl ich mit eigenen Augen hatte zusehen müssen, wie meine Mutter umgebracht worden war. Ich hatte es auch nie von jemandem verlangt, aber von allen nur verspottet zu werden, tat weh. Ich hatte mir immer nur einfach eine einzige Freundin gewünscht, mit der ich über die ganze Sache reden konnte. Eine, die mir glaubte und die einfach zu mir stand und mich verteidigte, da ich es selbst nicht konnte.

      Abbygail, meine Biopartnerin, hörte über Kopfhörer Musik, wobei ihr Bein, das sie über das andere geschlagen hatte, zum für mich unhörbaren Takt mitwippte. Im Gegensatz zum Rest der Klasse war sie eigentlich in Ordnung. Sie machte immer ihr eigenes Ding und beachtete kaum jemanden. Sie war schon etwas älter und hatte eine Klasse wiederholen müssen, obwohl sie ganz bestimmt nicht dumm war. Auf jeden Fall hatte sie ihren ganz eigenen Kopf und manchmal wünschte ich mir, genauso viel Selbstbewusstsein wie sie zu haben.

      Ich versuchte mich möglichst unsichtbar zu machen, als ich aufstand und zu ihr ging.

      Sie wirkte nicht erfreut, als sie ihren Kopfhörer in den Nacken schob, weil ich ihr auf die Schulter getippt hatte.

      »Hast du das Plakat mit?«, fragte ich leise und versuchte, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

      Sie nickte kurz und setzte dann den Kopfhörer wieder auf.

      Abbygail war die Einzige aus der Klasse, der ich es nicht übel nahm, wenn sie nicht mit mir redete. Das tat sie bei jedem. Es war einfach ihre Art. Sie war eben einfach lieber für sich.

      Ich zuckte zusammen, als sich Abbygail plötzlich abrupt umdrehte und ihr Arm direkt vor meinem Gesicht in der Luft stehen blieb. Sie hatte eine Papierkugel abgefangen, die offenbar für meinen Kopf bestimmt gewesen war. Sie warf sie mit voller Wucht zurück.

      »Behalt dein Gehirn bei dir«, zischte sie Antonia zu, die den Papierball mit ihren Armen abwehrte.

      Bevor ich Zeit hatte, mich über ihre blitzschnelle Reaktion zu wundern oder mich für ihre Hilfe zu bedanken, betrat unsere Biolehrerin Frau Steinmeyer das Klassenzimmer. Ihre strenge Stimme hallte sofort durch den Raum. »Clarissa, setz dich bitte.«

      Schnell huschte nicht nur ich auf meinen Platz.

      Als sie ihre Aktentasche neben das Pult stellte, standen wir auf, um sie zu begrüßen. Danach breitete sie einen gelben Ordner vor sich aus und blätterte darin herum.

      »Heute stellen die Gruppen Fledermäuse, Erdmännchen und Wölfe ihr Plakat vor«, erklärte sie bestimmt.

      Verdammt, jetzt ging das Theater los.

      Während meine Mitschüler der anderen beiden Gruppen gelassen ihre Präsentationen vortrugen, bebte ich am ganzen Körper und machte mich auf das Schlimmste gefasst. Ich überlegte mir schon mal Kontersprüche für alle möglichen Beleidigungen, die gleich folgen könnten. Aussprechen würde ich sie zwar eh nicht, aber es beruhigte mich einfach, dass sie in meinem Kopf waren.

      »Sehr schön.« Frau Steinmeyer nickte zufrieden, als die zweite Gruppe fertig war.

      Sie sah wieder in den gelben Ordner vor sich und tippte mit ihrem Zeigefinger auf das Blatt. »Als nächstes kommt die Gruppe Wölfe von Abbygail, Cem und Clarissa.«

      Lieber würde ich sechs Stunden Physik haben, als mir gleich das Gelächter der anderen anhören zu müssen. Seit der Psychiatrie, hatte ich extrem wenig Selbstbewusstsein. Um genau zu sein, so gut wie gar keins.

      Mutig, zumindest galt das für mich schon als mutig, stellte ich mich trotzdem vor die Tafel, die Hände in den Jackentaschen versteckt und meinen Blick konzentriert nach unten gerichtet, so, als würde da ein Zehn-Euroschein liegen, den ich gern aufgehoben hätte.

      Cem, der größte Klugscheißer, den die Welt je gesehen hatte, stand lässig neben mir und hielt das Plakat vor seinen breiten Körper. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Antonia und Lara, die mal wieder blöd kicherten, auf mich zeigten. Mir wurde heiß und ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, bevor wir überhaupt angefangen hatten.

      So unauffällig wie möglich, fuhr ich mir mit der Hand über meine feuchte Stirn. Während Cem und Abbygail ihren Teil vortrugen, stellte ich mir die ganze Zeit vor, wie ich von einem Bein auf das andere hüpfte, so hibbelig war ich.

      Als nun ich an der Reihe war, meinen Teil der Präsentation vorzulesen, schaute Abbygail mich erwartungsvoll an. Mich traf es wie ein Blitz, als ich bemerkte, dass ich meine Karteikarten zu Hause auf den Schreibtisch vergessen hatte.

      Improvisiere!

      »Ähm, also …«, fing ich an zu stottern. Doch bevor ich einen richtigen Satz hervorbrachte, musste ich schon den ersten Spruch über mich ergehen lassen.

      »Komm schon, Clarissa, du wirst ja wohl irgendwas über Wölfe wissen. Schließlich kennst du sie doch persönlich.«

      Wie auf Kommando prustete die ganze Klasse los, während es mich wie ein Schlag ins Gesicht traf. Kevin war zwar für seine blöden Sprüche bekannt, aber musste er so langsam nicht mal wissen, dass andere Menschen auch Gefühle hatten?

      Ich verdoppelte die sechs Stunden Physik auf zwölf und bemerkte, wie Abbygail Kevin einen finsteren Blick zuwarf. Nervös nahm ich meine Hände aus den Jackentaschen, tat so, als hätte ich den Spruch überhört und zeigte auf ein Bild, auf dem ein Rudel Wölfe zusehen war. Darunter stand ein kleiner Text.

      Hoffnungslos versuchte ich noch einmal zu improvisieren. »Also … Wölfe sind Rudeltiere und jagen deshalb immer zusammen.« Super, wie originell.

      »Du hattest aber immer nur von einem Wolf gesprochen«, hörte ich es von vorn. Der Spruch kam diesmal von Thomas und wieder lachten alle.

      Allmählich reichte es mir.

      Wenn es sein musste, war ich auch bereit dazu, die ganzen Sommerferien, jeden Tag, vierundzwanzig Stunden lang Physik zu haben. Alles wäre mir lieber, als hier vor der ganzen Klasse zu stehen, mir solche Scheißsprüche anzuhören und gegen meine Tränen anzukämpfen.

      Hilfe suchend blickte ich zu Frau Steinmeyer, die mehrmals Ruhe brüllte und komisch herumfuchtelte, worüber die Klasse aber nur noch mehr lachte.

      Wäre

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