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Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book). Monika Luginbühl
Читать онлайн.Название Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book)
Год выпуска 0
isbn 9783035519921
Автор произведения Monika Luginbühl
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Damit das im Alltag gut gelingt, braucht es Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen: Es geht sowohl um das Erkennen und Nutzen von vorhandenen Arbeitsfeldern als auch um das Initiieren von Denk- und Diskussionsprozessen im Team und in der Institution. Im ganz Praktischen geht es zudem um das Auswählen und Gestalten von geeigneten Lernsituationen. Wann immer möglich sollte die Schwerpunktsetzung zudem partizipativ mit den Klient*innen geschehen. Wie Sie das auf einfache Weise tun können, zeigen wir Ihnen im Folgekapitel. Unser Modell SALSA unterstützt Sie in der Umsetzung einfach und praxisnah.
4. Modell SALSA: Spezifische, alltagskompatible Lernsituationen systematisch finden und anleiten
Wir haben für den Praxisalltag ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe Sie einfach und strukturiert geeignete Lernsituationen finden und gestalten können. Auf den folgenden Seiten erklären wir den Grundsatz des Modells. Unter den thematischen Kapiteln finden Sie jeweils die themenorientierte Umsetzung des Modells sowie im dritten Teil des Buches zusätzlich Beispiele für die Gestaltung von spezifischen Lernsituationen.
Abbildung 1: SALSA-Modell (eigene Darstellung, Copyright Christa und Monika Luginbühl, CC BY-NC-ND 4.0)
Um geeignete Lernsituation zu finden, müssen Sie zuerst die Rahmenbedingungen klären. Es lohnt sich, dass Sie sich hierfür genügend Zeit nehmen, denn die Wahl der Lernsituation ist entscheidend für den Erfolg Ihrer Klient*innen. Klären Sie die Rahmenbedingungen in den Schritten 1 und 2 des Modells.
Schritt 1: Grundhaltung reflektieren
Seien Sie sich im Klaren, mit welchem Menschenbild, welcher Grundhaltung und welchen Grundwerten Sie Ihren Beruf ausüben. Gehen Sie beispielsweise bei allen Klient*innen davon aus, dass es Lernpotenzial gibt? Wo sehen Sie dieses? Wie steht es mit Ihren Berufsambitionen: Wollen Sie Erfolge bei Ihren Klient*innen sehen? Und was werten Sie dabei als Erfolg? Fordern und fördern Sie Ihre Klient*innen oder überfordern Sie sie manchmal? Sind Sie oft im Zeitstress und greifen dadurch (zu) schnell helfend ein? In welchen Situationen sind Sie besonders stolz auf Ihren Beruf, wann macht er Ihnen richtig Spass, und wann finden Sie ihn besonders schwierig? Wer hat in Ihrem Team welche Stärken, und wie können Sie diese bei der Bearbeitung verschiedener Lernfelder sinnvoll nutzen? Wie gehen Sie selbst mit hauswirtschaftlichen Themen um? (Siehe auch Annex 1 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieser Fragen, S. 333.)
Schritt 2: Lernfelder erkennen
Nicht jede eigentlich sinnvolle Lernsituation ist im jeweiligen institutionellen Kontext auch umsetzbar. Es gibt institutionelle Organisationsabläufe, die Lernfelder eher begünstigen oder hemmen. Ist beispielsweise die Küche zentral organisiert, wird es schwierig mit dem Kochen ganzer Menüs. Sie könnten aber trotzdem einen Geburtstagskuchen auf der Gruppe backen. Als potenzielles Lernfeld könnten Sie initiieren, dass jede Gruppe einmal wöchentlich selbst kocht und das dafür notwendige Budget erhält. Analysieren Sie, welche Ressourcen Sie nutzen können, sowohl auf institutioneller Ebene wie auch auf Ebene der Gruppe und individueller Ebene des*der Klient*in. Nutzen Sie vorhandene Optionen, erweitern Sie diese, wo es der institutionelle Rahmen einfach zulässt, seien Sie punktuell visionär und diskutieren Sie ganz neue Organisationsformen und Prozesse. Wichtig ist dabei: Ihre Klient*innen wachsen nur an den Lernsituationen, die sie auch umsetzen – denken Sie also nicht hauptsächlich in Zukunftsszenarien, sondern packen Sie konkret dort an, wo Sie bereits heute Lernchancen ermöglichen können. (Siehe auch Annex 2 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieses Themenfelds, S. 334.)
Lernen im Alltag kann auf zwei Arten geschehen. Implizit, sozusagen «by the way» machen wir jeden Tag neuen Erfahrungen. Diese können auch als Lernerfahrungen gesehen werden, da sie unsere früheren Erfahrungen bestätigen oder auch infrage stellen. Bei Letzterem müssen wir neue Strategien finden, um die Situation zu bewältigen. Diese Momente sind wichtig, um potenzielle Lernfelder und Lernchancen zu erkennen. Daneben gibt es aber auch agogische Lernsituationen, in denen Lernmöglichkeiten bewusst und gezielt kreiert werden, um die Klient*innen zu fördern. Wir sprechen hier von angeleiteten Lernsituationen, welche die Klient*innen dazu befähigen sollen, auch in variablen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Dies betrachten wir auf den folgenden Seiten genauer.
Schritt 3: Lernsituationen auswählen
Damit Sie Ihre Klient*innen zu einem Lernerfolg führen können, muss die gewählte Lernsituation alltagskompatibel sein. Erwarten Sie beispielsweise, dass Ihr Klient nach einem anstrengenden Arbeitstag am Abend noch viel Motivation für eine Lernsituation an den Tag legt, die seiner Arbeit ähnelt, wird es schwierig. Überlegen Sie sich, wann Sie welche Lernsituationen im Tages- und Wochenablauf Ihrer Klient*innen einbauen. Beziehen Sie dabei die Klient*innen in die Entscheidungsfindung mit ein; dieser partizipative Prozess ist ein wesentlicher Faktor für die intrinsische Motivation. Klären Sie zudem die dafür erforderlichen Finanz-, Zeit- und Betreuungsressourcen. In individuellen Lernsituationen dürfen zum Beispiel nicht die gesamten Ressourcen, die der Gruppe zustehen, für eine Einzelperson verwendet werden. Behalten Sie bei der Planung von individualisierten Lernsituationen daher die Gruppendynamik gut im Blick. Denken Sie daran, dass pädagogisch umgesetzte Lernsituationen immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wenn Sie die Aufgabe selbst erledigen. Und auch wenn das Endresultat wichtig ist, steht bei der pädagogischen Umsetzung der Weg dorthin, also der eigentliche Lernprozess, im Hauptfokus und muss entsprechend hoch gewichtet werden. (Siehe auch Annex 3 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieses Themenfelds, S. 335.)
Exkurs: Grundsätzliche Überlegungen zu der Zusammenarbeit mit Menschen mit und ohne Lernschwierigkeiten[22]
Lebensweltorientierung
Je stärker Lernsituationen an die persönliche Lebenswelt anknüpfen, desto eher sind die Beteiligten bereit, sich auf das Lernen einzulassen. Die Verbindung zu eigenen Zielen oder Vorlieben schafft Motivation. Dies können grosse Ziele sein, wie etwa das Erlernen von Kompetenzen, um selbstständig zu wohnen, oder auch kleine Ziele, wie beispielsweise die Lieblingsspeise selbst zubereiten zu können. Lebensweltorientierung ist für alle Zielgruppen wichtig, für Menschen mit einer Lernschwierigkeit aber umso zentraler, um überhaupt einen subjektiv sinnvollen Zugang zu einer Aufgabe zu finden.
Beziehungsarbeit
Die positive, pädagogisch-agogische Beziehung ist zentral für Lernerfolge. Menschen lassen sich eher auf Lernprozesse ein, wenn sie Anerkennung und Wertschätzung erfahren und ihnen von der lehrenden Person Kompetenzen und Know-how zugeschrieben werden. Auch dieser Aspekt ist für alle Zielgruppen wichtig. Doch bei Personen, die wenig abstrahieren können, beispielsweise aufgrund einer kognitiven Beeinträchtigung, wird der emotionale Bezug zu Themen und Aufgaben umso wichtiger und die Beziehungsebene rückt noch stärker in den Fokus. Zudem gilt: Je jünger die Klient*innen, desto wichtiger ist die Beziehungsebene.
Positive, emotionale Zugänge schaffen
Je positiver die Emotionen sind, die in Lernsituationen entstehen, desto mehr intrinsische Motivation entwickeln die Lernenden. Humor ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Komponente. Zudem sollen sich alle Beteiligten über Erfolge freuen und Fehler als Chance zum Lernen sehen. Diese Aspekte sind für alle lernenden und lehrenden Personen wichtig.
Visuelle Zugänge betonen
Kleine Kinder und Menschen mit einer Lernschwierigkeit lernen oftmals stark über Bilder. Visuelle Zugänge in Form von ansprechenden Bildern erhöhen deshalb den Lernerfolg. Sicher haben alle Personen gerne eine ästhetisch ansprechende Visualisierung, insofern ist ein solcher Zugang immer sinnvoll.