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ein Marder oder Fuchs oder auch ein streunender Hund in einen Stall eingedrungen war und ein Tier tötete. Gar manche Nacht hörte ich den lang gezogenen Todesschrei des Hasen und erschauerte in meinem Bett, das ich im Übrigen bis etwa zu meinem 14. Lebensjahr mit meinem Bruder teilen musste.

      Ich erinnere mich, dass wir Kinder helfen mussten, Tabak zu schneiden. Dazu gab es ein spezielles Schneidegerät. Der Tabak wurde auf eine kleine Schneidebank gelegt und mit dem an einem Hebel befestigten Messer in feine Streifen geschnitten. Beim „Feinschnitt“ wurden zuvor die Rippen aus den Blättern entfernt und die Schneidebreite war besonders fein eingestellt. Dieser Tabak wurde zu Zigaretten verarbeitet. Beim „Krüllschnitt“ blieben die Blattrippen in den Tabakblättern, und die Blätter wurden in etwas breitere Streifen geschnitten. So wurde der Pfeifentabak hergestellt. Es gab einige Fläschchen mit Aromen, die dem Tabak beigemischt wurden, um verschiedene Sorten zu erzeugen. Unsere Eltern drehten mit einer kleinen Maschine Zigaretten, eine damals sehr begehrte Tauschware. Der Tabak wurde in kleinen Packungen aus Zeitungspapier verkauft. Wo aber kam der Tabak her? Bald erfuhren wir es.

      Unsere Großmutter fuhr zusammen mit unserer Mutter mit dem Zug nach Baden, wo der Tabak wuchs. Die Entfernung betrug etwa zweihundert Kilometer. Entsprechend lange waren sie bei den damaligen Verkehrsverhältnissen unterwegs. Sie fuhren in den bekannten überfüllten Eisenbahnzügen und übernachteten auf den Bahnhöfen. In Bruchsal und Umgebung, wohnten Verwandte von uns, die dorthin mit dem zweiten Transport aus Perbál hingekommen waren. Was die beiden Frauen zum Tauschen mit hatten, ist mir nicht so genau bekannt. Seit unser Vater wieder bei uns lebte, waren die Grundlage der Transaktionen sicher „Amizigaretten“, „Camel“ und „Lucky Strike“, die mein Vater aus München mitgebracht hatte, und die er vielleicht noch immer von dort bekam. Für diese Zigaretten konnte man auf dem „Schwarzmarkt“ alles eintauschen, was sich zum Tauschen eignete. Öle und Fette waren besonders begehrt. Anfangs wurde sicher auch von dem Schmalz etwas zum Tausch genommen, das meine Großeltern und meine Mutter aus Ungarn heraus geschmuggelt hatten. In der Familie hörten wir Kinder, dass auch gebratenes Fleisch in Töpfen oder Eimern versteckt war und mit flüssigem Schmalz zugegossen wurde, um es vor dem Versderben zu schützen. Schweineschmalz hatten wir zunächst also noch. Alle Beteiligten lebten bei solchen Tauschfahrten in ständiger Angst vor Polizei- und Militärrazzien. Ich habe im Kapitel von meiner Kopp-Großmutter über eine solche Razzia im Hauptbahnhof von Frankfurt berichtet (s. oben). Unser Vater hat sehr bald nach seiner Rückkehr zu seiner Familie auch Schnaps gebrannt, der ebenfalls eine sehr begehrte Tauschware war. Die Brennanlage war ebenfalls in unserem einzigen Zimmer. Sie war so geschickt getarnt, dass sie bei einer möglichen Razzia durch die Polizei nicht leicht entdeckt werden konnte. Am wichtigsten war dabei die Verlegung des Ausflussröhrchens unter der Tapete des Zimmers. Es endete gut versteckt in einer Ecke hinter dem Kinderbett. Der Geruch war aber allgegenwärtig.

      Auch Speiseöl war ein begehrtes Tauschmittel. Eine Möglichkeit, um an Öl zu kommen, war das Sammeln von Bucheckern. Für eine bestimmte Menge Bucheckern bekam man in der Ölmühle in Frankenberg eine bestimmte Menge Öl. Frauen und Kinder gingen in den Wald, Bucheckern zu sammeln, wenn sie im September reif wurden und zu Boden fielen. Ihren Ertrag brachten sie zur Mühle. Das Sammeln war keine Arbeit für Männer. Wer von diesen Kerlen wollte sich schon stundenlang bücken und diese kleinen dreieckigen Früchte einzeln vom Boden aufzuheben. Das war „Weiberarbeit“ und etwas für Kinder. Wie diese Männer Bucheckern sammelten, habe ich im Kapitel „Männer“ geschildert (s. dort)

      In der Kreisstadt gab es auch eine Wollmühle. Dort konnte man alte, auch zerrissene Kleidungsstücke gegen Wolle eintauschen. Wie die Tauschrelationen waren, weiß ich nicht.

      Ich weiß aber sehr gut, dass unsere Mutter uns aus dieser Wolle Handschuhe und Strümpfe strickte. Lange Strümpfe, die bis über die Oberschenkel reichten und an einem Strumpfhalter festgemacht wurden, waren mir sehr verhasst. Sie kratzten fürchterlich, aber unsere Mutter bestand darauf, dass wir sie trugen. Schlimm war es für uns Kinder auch, dass sie überhaupt nicht warmhielten. Der scharfe Wind im Winter blies einfach durch sie hindurch und wir hatten eiskalte Beine. Warum sie uns keine langen Hosen kaufte, weiß ich bis heute nicht. Vermutlich reichte das Geld wieder einmal nicht. Es hat viele Szenen des Widerstandes gegeben, bis sie schließlich darauf verzichtete, uns zum Tragen dieser Strümpfe zu zwingen.

      Mit Schaudern erinnere ich mich daran, wie ich mit diesen Strümpfen in Halbschuhen, am oberen Ende der Schlittenbahn am „Schoppenrain“ stand und völlig durchgefroren darauf wartete, bis ich mal auf dem einen Schlitten, den mein Bruder und ich besaßen, mitfahren konnte, oder dass mich mal einer der Dorfjungen mitfahren ließ. Ich musste dann vorne sitzen und konnte keinen Einfluss auf die Fahrt nehmen. Wenn es zum Sturz kam, fiel der andere auf mich drauf und ich wurde doppelt geschädigt. Eine andere Möglichkeit war, dass mein Bruder auf dem Bauch liegend fuhr, und ich mich auf die Kufen des Schlittens stellen durfte, um so, halb stehend, halb sitzend, den Berg hinunterzusausen. Wenn wir umkippten, flog ich durch die Luft und landete umso schmerzhafter auf dem gefrorenen Boden. Dennoch war mir das lieber als das ewige Warten, und es hat letztlich auch Spaß gemacht.

      Eine richtige Freude war es, wenn ich allein auf dem Bauch liegend den Berg hinuntersausen konnte. Ich ließ den Schlitten so weit wie nur möglich auslaufen und bremste erst ab, als die Asphaltstraße vor mir auftauchte und Gefahr bestand, dass ich unter ein Fahrzeug kommen konnte. Das Schlimmste waren letztlich nicht die Kälte und das Warten-Müssen, sondern das demütigende Gefühl, nicht wie die anderen mitmachen zu können, nicht dabei zu sein, am Rand zu stehen und zu frieren. Allerdings: Die Kälte war bei dem bewegungslosen Herumstehen quälend und hinterließ bleibende Spuren. Kalte Füße und Knie begleiten mich bis heute.

      Die Getreidemühle in Rennertehausen spielte im Leben unserer Familie eine wichtige Rolle. Nicht weit von der dortigen Ederbrücke gelegen, wurde sie vom Wasser des Mühlgrabens angetrieben, der weiter oberhalb von der Eder abgeleitet war. Das große Mühlrad reichte etwa einen halben Meter ins fließende Wasser hinein und wurde so bewegt. Wir brachten Roggen zur Mühle und erhielten vom Müller Mehl und Schrot in vorgegebenen Mengen zurück. Das Mehl war aus Weizen gemahlen. Meine Mutter verwendete nur dieses „Auszugsmehl 605“ zum Backen und Kochen. Roggenmehl benutzte sie nicht, nur den Roggenschrot, der wurde als Schweinefutter den gekochten Kartoffeln beigegeben.

      Der Müller war ein lustiger, kinderfreundlicher Mann. Er stand allgemein zwar im Verdacht, dass er beim Mahlen für sich etwas abzweigte. Dieser Verdacht begleitete die Müller aber, seitdem es Mühlen gab. Für uns Kinder spielte das keine Rolle. Für uns hatte der Müller immer ein wenig Zeit, wenn er uns das Mehl brachte. Er erzählte spannende Geschichten und demonstrierte uns seine Beweglichkeit. Dabei stellte er sich mit den Füßen auf die erste Stufe der Treppe zum Hauseingang und beugte sich so weit nach unten, dass er mit den flachen Händen den Boden berührte. Er forderte uns auf, es ihm gleichzutun, aber wir schafften das nicht.

      Wenn wir Kinder zur Mühle kamen, durften wir zusehen, wie das Mehl gemahlen wurde. Der Müller war stolz auf seine Mühle und erklärte uns, was da alles passierte. Es war ein imponierender Vorgang, wie das Mühlrad über eine gut gelagerte, dicke Holzwelle die riesige Maschinerie in Gang setzte. Überall ächzte, knarrte, knatterte und ratterte es. Ununterbrochener, aber nicht zu starker Lärm entstand, wenn sich das Getreide, über drei Etagen von oben nach unten fallend, schließlich in Mehl verwandelte. Es wurde gerüttelt und geschüttelt, auf Rutschen befördert, über verschiedene Wege geleitet und auf diversen Mühlsteinen feiner und feiner gemahlen. Der grobe Schrot wurde abgeleitet und das fertige Mehl fiel schließlich in einen großen Jutesack. Wenn er voll war, schloss der Müller einen Schieber und stoppte den Mehlfluss. Dann band er den Sack zu und befestigte den nächsten – und der Vorgang wiederholte sich.

      Wenn die Getreidesorte wechselte, ließ er schmalen Schächte, durch die das Mehl herunterkam, zuerst völlig leer laufen. Dann änderte er einige Einstellungen, schüttete anderes Getreide oben in den Mahltrichter und ließ das Mahlwerk wieder anlaufen. Der Vorgang wiederholte sich. Am Ende hielt er die Mühle an.

      Über

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