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Es gab einen, der berühmt und berüchtigt für die seinen war: „Gróf Sándor“ (Graf Schandor). Ihn bewunderte unser Großvater wohl, und von dessen Streichen erzählte er gern. Ich erinnere mich noch daran, dass Grof Sándor, der gerne Wetten abschloss und gewann, es geschafft haben soll, mit Pferdegespannen schneller von Budapest nach Wien zu fahren als die Eisenbahn. Auch dass er vier Hirsche vor seine Kutsche spannen ließ und mit ihnen auf dem Mauergang der Fischerbastei hoch über Budapest spazieren fuhr. Diesen Taten gingen selbstverständlich Wetten voraus.

      Folgende Wette des Grafen erzählte unser Großvater mit sichtlichem Vergnügen. Als er mit seinen gräflichen Kumpanen wieder einmal in gemütlicher Runde beim Trinken beisammensaß, bereitete er eine Wette vor, die seine Kumpane nicht gewinnen konnten. Er nahm seinen Diener mit nach draußen, zog seine gräfliche Hose herunter und befahl ihm, zwischen diese Oberhose und die gräflichen Unterhosen zu scheißen. Dann zog er die Hose wieder hoch und ging zu seinen Kumpanen zurück. Bald merkten die, dass der Graf roch. „Sándor, du hast in die Hose geschissen.“ „Ich nicht.“ „Doch du, du stinkst ja wie eine Mistgrube.“ „Wetten, dass ich es nicht war.“ „Wetten dass doch.“ „Worum geht die Wette?“ „Um ein feuriges Reitpferd.“ „Die Wette gilt!“ Dann ließ der Graf die Oberhose wieder herunter und die Saufkumpane konnten sich davon überzeugen, dass der stinkende Batzen zwischen seinen beiden Hosen lag und nicht in seiner Unterhose. Und wieder hatte er eine Wette gewonnen. Das Pferd wurde ihm übergeben und sein legendärer Ruhm hatte wieder zugenommen.

      Er war nicht nur der berüchtigtste Reiter der k.u.k.-Monarchie. Er hatte auch eine selten schöne Tochter, Paula, die nicht weniger mutig war als ihr Vater. Sie heiratete den Sohn des Fürsten Metternich und schrieb später ihre Memoiren. Auf die Taten ihres Vaters ist sie dabei allerdings nicht eingegangen. Sie erzählt nur, dass der französischen Kaiser Napoleon III., als sie ihm vorgestellt wurde, anerkennend erwähnte: „Oh ja, von dem Grafen Sándor haben wir schon viel gehört.“ Ob all die Anekdoten, die mein Großvater über den Grafen zu erzählen wusste, einen wahren Kern hatten oder sie der Fantasie des Volkes für einen bewunderten Helden entsprangen, vermag ich nicht zu beurteilen. Unterhaltsam waren sie allemal. Er hat sie uns nicht als Kinder erzählt, sondern später, als mein Bruder und ich bereits junge Burschen waren.

      Es gibt ein Foto aus dieser Zeit, auf dem mein Großvater mit großer Geste erzählt und ihm neben mir mehrere Männer gespannt zuhören. Er belehrte die Jüngeren gern und prophezeite dabei öfter. So hat er nach Auskunft unserer Tante Resi auch die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn schon während des Krieges vorausgesagt. Er besaß das Buch eines anderen Bauern-Propheten, „Sibelle oder Sivelle Weiß“ und las nach dem Bericht der Tante oft darin. Nach Aussagen des 1946 in Ungarn verbliebenen Scher János hatten fast alle ungardeutschen Familien dieses Buch. Es ist mir bisher nicht gelungen, ein Exemplar zu bekommen.

      Mit seinem Handel verdiente mein Großvater so viel, dass er nicht nur seine Familie unterhalten, sondern auch Ackergrundstücke dazukaufen konnte. Viel war das allerdings nicht, was trotz fleißiger Arbeit von der ganzen Familie erzeugt wurde. Reich jedenfalls wurden sie davon nicht.

      Der Prophet vor der „Ungarer-Siedlung“ in Berghofen

      Unsere Kopp-Großeltern hatten einen Weingarten und einen Weinkeller. Dieser ging vom Presshaus auf dem Hof ab, das, wie erwähnt, als Sommerküche (Summekuchel) benutzt wurde, und in dem auch der Brunnen war. An die Weinlese meiner Großeltern habe ich eigene kindliche Erinnerungen. Das meiste davon kenne ich aber aus Erzählungen der Erwachsenen.

      Unser Weingarten lag nicht beim Haus. Ich nenne ihn „unser“ Weingarten. Die Familie war das Zentrum im dörflichen Leben. Alles, was der Familie gehörte, war „unser“. Unser Weingarten lag auf einem leichten Hang. Ich weiß nicht mehr, wie weit er vom Haus der Großeltern entfernt war, es war nicht allzu weit. Die Rebstöcke verliefen längs zum Hang, der nur flach anstieg. Die Reihen standen im Abstand von etwa eineinhalb Metern. Die Stöcke waren mannshoch. Zwei bis drei Triebe blieben beim Schnitt stehen und rankten sich an Drähten entlang, die in diese Höhe gespannt waren. Im Sommer entstanden so grüne Wände, nur im Winter konnte man quer hindurchsehen. Im Sommer nur längs. Unten war kein Weinlaub, es wurde mehrmals beseitigt. Übrig blieb nur das knorrige braune Holz mit der längs laufenden faserigen Rinde. Sie war dünn, und die äußeren Schichten ließen sich in Streifen leicht abziehen.

      Zwischen den Reihen der Rebstöcke wuchsen die Obstbäume: Pfirsiche, Aprikosen, (Marillen) Kirschen, Birnen, Äpfel, Pflaumen. Im Frühsommer reiften die Kirschen, im Hochsommer die Marillen und Pflaumen (es waren dicke gelbe, vielleicht Reineclauden), dann die Pfirsiche und Birnen und danach das Herbstobst, Äpfel, Zwetschgen. Es gab aber auch frühe Äpfel, die schon im August oder Anfang September reif waren. Sie waren besonders saftig und hatten einen intensiven Geruch und Geschmack. Feigen wuchsen bei unseren Großeltern nicht. Es gab wohl in anderen Weingärten vereinzelt Bäume, frostfeste Sorten. Maulbeerbäume wuchsen überall an den Straßenrändern ich erinnere mich nur an weiße. Die Bauern sahen sie nicht als ein Zucht- und Speiseobst an. Manche brannten Schnaps daraus (Pálinka). Allenfalls die Häuslerbauern machten Marmelade aus den Früchten, „Leckwar“. Das war bei uns die Bezeichnung für jegliche Marmelade, ein ungarisches Wort (lekvár). Wir Kinder aßen die Maulbeeren gern. Ich erinnere mich ganz gut an den leicht säuerlichen Geschmack.

      Neben verschiedenen Weißweinrebsorten wie Muskateller, Riesling und Furmint gab es auch rote Trauben von eigentümlichem, intensiven Geschmack, Othello und „Noache“ (Noah). Später erfuhr ich, dass es sich um amerikanische Wildreben handelte, die nach der Reblauskatastrophe nach Europa kamen. Sie waren resistent gegen die Reblaus. Fortan wurden sie als Pfropfunterlage für die Edeltrauben benutzt. Viele kleinere Weinbauern kultivierten sie auch unveredelt. Die Zubereitung von Wein aus solchen Trauben ist heute – mit geringen Ausnahmen – verboten, weil bei ihrer Gärung Methylalkohol entsteht, dessen Genuss zur Verblödung führen kann.

      Die ganze Familie half zusammen, bis auf die jungen Männer, die im Krieg waren. (Später werde ich wissen, dass drei von ihnen zu dieser Zeit schon tot sind, „gefallen“, wie die Volksbetrüger den Völkern immer noch einreden wollen.) Dann waren weitere Verwandte dabei, die „Freindschoft“, die Freundschaft, wie wir sagen, und der eine oder die andere aus der Nachbarschaft half auch mit. Auch größere Kinder halfen schon kräftig mit. Die Trauben werden in Eimern und anderen Gefäßen gesammelt und in Kiepen aus Weidengeflecht geschüttet. Die Burschen tragen sie auf dem Rücken und, wenn sie voll sind, werden sie zum Wagen gebracht. Darauf steht ein großer Bottich, „a Schaffl“. Einer von den kräftigeren jungen Burschen nimmt die Kiepen auf dem Wagen an und schüttet die Trauben ins Schaff. Er ist barfuß, und von Zeit zu Zeit, wenn das Schaff überlaufen will, steigt er hinein und tritt die Trauben mit den Füßen zusammen. Es schlürft, matscht und quatscht dabei. Wenn das Schaff voll ist, wird es auf den Hof gefahren und die Trauben werden weiter getreten oder gestampft und anschließend gepresst. Der Most wird in die Fässer gefüllt und beginnt dort nach kurzer Zeit zu gären. Die Weinernte dauert lange. Jetzt trinken und singen die Erwachsenen bis spät in die Nacht.

      „Wie fehlst Du mir, pannonischer Sommer, wie fehlst du mir, staubige Hitze, wie fehlt ihr mir, Melonen, frisch vom Feld, wie fehlt ihr mir, Düfte der Kindheit. Es ist der Verlust dieses Sommers, der so schmerzt, des Staubs zwischen den Zehen der barfußen Füße, der zitternden Sonne am blassblauen Himmel, der Gerüche der Felder, der Wärme von frischem Maisstroh, des Dufts der baumgereiften Früchte.“ – Vielleicht war es aber auch der Verlust der Kindheit in Ungarn, die durch unsere Vertreibung so abrupt endete, der so schmerzte.

      Eine Ahnung von dem ungarischen Sommer hatte ich gelegentlich in Nordhessen, wenn die Julihitze glühte und die Kornfelder trocken knisterten. Fern nur war die Ahnung, aber doch viel näher als oben im Norden, wo es selten einen richtigen Sommer gab. Einmal nur, in einem wirklich heißen Sommer, war ich auch im Norden eingetaucht in einen Ozean von Duft. An einem heißen Sommertag bei einer Radtour durch einen Kiefernwald in der Südheide bin ich schier ersoffen in dem warmen, würzigen Pinienaroma. Aber das waren seltene Ausnahmen, Ahnungen nur von dem, wie eine Landschaft, ihre Pflanzen und Früchte, ihre Blüten und Säfte riechen

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