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einem Konflikt zwischen ihr und unserer Mutter gekommen, ergriff er, ohne die Angelegenheit zu hinterfragen, sofort die Partei seiner Mutter und stellte seine Frau zur Rede. Die bestand dann auf ihrer Version des Vorfalls und im Nu war der heftigste Streit zwischen den Eltern im Gange. Es blieb nicht bei lautstarken Beschimpfungen. Manchmal hatte unsere Mutter auch ein blaues Auge. Die heftigste Szene ereignete sich, als meine Mutter einmal die Treppe hinaufrannte, um sich dort oben vor den beiden zu rechtfertigen und die Oma zu beschimpfen. Unser Vater stieß sie zurück, und sie fiel die Treppe hinunter. Das hat er sicher im Affekt getan. Dennoch war unsere Mutter von diesem Sturz wochenlang gezeichnet, der aber doch ein gutes Resultat hatte: Bald darauf zog die Oma zurück nach Roda, wo sie zunächst bei einem Bauern zur Miete wohnte und später zusammen mit einer Schwester ein Haus kaufte. Im Streit mit unserer Mutter fasste unser Vater seine Prioritäten voller Wut einmal so zusammen. „Erst kommt meine Mutter, dann komme ich, dann kommt lange gar nichts und dann kommst du.“ Uns Kinder erwähnte er in seiner Rangordnung nicht. Wir fielen wohl unter das „lange Gar nichts“.

      Am Wochenende fuhr unser Vater mit meinem Bruder und mir ziemlich regelmäßig zu seiner Mutter in das etwa vierzehn Kilometer entfernte Dorf Roda. Er befördert uns auf seinem Fahrrad. Einer saß hinten auf den Gepäckträger und einer auf der Stange oder, später, auf einem vorne am Lenker angebrachten Kindersitz. Wir übernachteten meistens von Samstag auf Sonntag dort, wohl im Bett des verstorbenen Opas. Um uns einzuschläfern, las uns die Großmutter aus der Bibel vor, häufig aus der Genealogie, lange Passagen aus der Geschlechterfolge, die für uns völlig unverständlich waren. Irgendwann fielen uns dabei die Augen zu. Den Sonntagvormittag brachten wir mit Friedhofs- und Verwandtenbesuchen zu. Meistens waren wir bei Cousinen der Großmutter – eine langweilige Pflicht. Widerlich war mir dabei, dass uns die alten Frauen an sich rissen, ein „Busserl“ wollten und uns abknutschten. Gern besuchten wir dagegen die „Resibasl“, unsere Großtante Theresia. Sie wohnte mit unserer Großmutter im gleichen Haus und war kinderlos. Ihren Mann, Marton, hatte sie im Krieg verloren und mochte uns Kinder. Sie verbreitete eine wohlige Atmosphäre, erzählte von ihrem Leben, zeigte uns Fotos und gab uns öfter auch eine Kleinigkeit. Ein „Busserl“ erwartete sie dafür nicht. So wie wir verpflichtet waren, unsere Oma zu besuchen, so war sie verpflichtet, uns beim Abschied ein kleines Taschengeld zu geben. Mein Vater hatte dafür gesorgt. Käuflich, wie wir waren, nahmen wir es gerne an. Peinlich war es immer dann, wenn die Oma einmal pflichtvergessen war. Wir drückten uns dann so lange herum, bis es ihr wieder einfiel oder ihr unser Vater ihr mehr oder weniger deutlich ein Zeichen gab. Mir war diese Situation immer peinlich.

      Unsere Schwester besuchte mit unserem Vater Perbál. Aus ihrem Bericht: „An der ungarischen Grenze mussten wir lange warten. Vater sprach zunächst nicht. Vielleicht hatte er Angst, dass er wegen seiner Vergangenheit in Perbál festgenommen würde. Ich beruhigte ihn deswegen. ‚Die kennen dich doch gar nicht.‘ Als er dann mit dem Grenzer ungarisch sprach, wurden wir sofort abgefertigt. In Perbál suchte Vater zuerst den Weinkeller der Wiest-Familie. Als er ihn in der Kellergasse identifiziert hatte, kletterte er obendrauf. Offenbar war er sehr stolz. Dann ging er mit mir in die ‚Gurgel‘, das war ein (Hohl-)Weg am Rande des Dorfes, zum Berg hin. Dort hatte einer unserer Wiest Vorfahren einmal in einer Art Lehmhöhle gewohnt, bevor Vaters Großvater das Haus im Dorf baute. Es gab dort mehrere solche Höhlen. Ich erinnere mich, dass noch Reste davon zu erkennen waren.“

      Das Geld für das Haus hat der Urgroßvater wohl von seinem Vater erhalten, der zu den reichen Leuten gehörte, wie uns der Vater öfter erzählte. Unsere Wiest-Großeltern waren im Dorf nicht angesehen. Unser Kopp-Opa widersetzte sich daher der Heirat unserer Mutter mit unserem Vater, bis sie schließlich heiraten „mussten“ (November 1940). Die Armut war aber nicht der Hauptgrund seines Widerstandes gegen die Heirat. Unser Wiest-Opa war ein großer Trinker. Das hat ihm auch seine Magen- und Darmprobleme eingebracht. Ein Trinker war auch sein Bruder Franz, der Feldhüter.

      Fast alle Männer im Dorf tranken Wein oder verdünnten Wein (Spritzer). Sie deckten damit in der Regel ihren Flüssigkeitsbedarf. Kaffee oder Tee waren Getränke „für die Weiber“. Nur Wasser tranken die wenigsten. Bevor jemand als Trinker bezeichnet wurde, musste er mehr als das übliche Quantum zu sich nehmen. Die kräftig zulangten, brachten es auf mehrere Liter am Tag. Trotz ihres Alkoholkonsums waren die Männer in der Regel noch alltagstauglich. Die Tage reichten im Sommer von vier Uhr morgens bis zehn Uhr in der Nacht. Problematisch wurde das Trinken dann, wenn der Weinkonsum noch höher als der übliche war und Schnaps hinzukam. In Ungarn ist es heute noch so, dass man auf dem Dorf vor der Arbeit einen Schnaps trinkt. Häufig auch vor den Mahlzeiten. Wir haben das bei der Weinlese so als Regel kennen gelernt. Überrascht waren wir jedoch, als uns beim Besuch einer lieben Freundin in Budapest vor dem Frühstück ein Schnaps angeboten wurde, also auch in der Stadt.

      Der Großvater seines Großvaters hieß Franz Wiest. Der Vorname seines Urgroßvaters, war ihm nicht bekannt. Er kannte ihn nur als „der fromme Joob“. Vermutlich hieß er auch Lorenz. Er war wohl ein größerer Bauer und hatte Wechsel unterschrieben, die er nicht einlösen konnte. So hat er seinen Grund, eine „Halbsession“, verloren. Die Großmutter unseres Vaters hieß mit Mädchennamen Dietrich. Deren Vater war ein Schmied. Sie war die einzige Tochter und heiratete einen Josef Fress, Vaters Fress-Opa. Der war wohlhabend.

      Die Wiest-Großeltern lebten zunächst zur Miete („in Zins“), danach im Haus des Fress-Opas in der Jägerstraße 5 in Perbál. Er hatte sich ein neues Haus gebaut. Vater sagte zunächst, es sei in der „Gurgel“ gestanden, dann verneinte er das wieder. Es stand dort noch bis in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Dann hat es eine junge, ungarische Familie gekauft und umgebaut. Nur auf dem Hof befanden sich noch alte Schuppen und Ställe.

      Die Wiest-Großeltern, hier ein Foto, das wohl kurz nach ihrer Hochzeit aufgenommen wurde.

      Vom Unterdorf zu den Häusern auf den Hügeln führte eine Art Feldweg. Dort oben, für uns Kinder sehr weit entfernt, stand das Haus unserer Wiest-Großeltern. Glaubt man den Erzählungen meiner Mutter, die dort als Schwiegertochter unangenehme Erfahrungen gemacht hatte, dann waren diese Großeltern Habenichtse. Wenn später die Rede auf die verschiedenen Familien kam und auf ihren Besitz und unsere Mutter unserem Vater wegen dessen ärmere Abkunft allzu sehr zusetzte, deutete der eine große Geste an, drehte auf dem Absatz eine halbe Pirouette und sagte in fehlerlosem Hochdeutsch: „Habe nichts und lebe doch!“

      „Wir können ja mal klingeln. Vielleicht lassen sie uns herein“, sagte mein Cousin Ferenc, mit dem ich vor dem Neubau stand. Eine

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