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„Wem ist es denn so wichtig, die ohnehin kaum wahrgenommenen Figuren eines unveröffentlichten Buches in ein ‚Nichtiges Reich’ zu versetzen? Ergibt das irgendeinen Sinn? In deinem Buch wären sie sowieso unentdeckt geblieben!“, fauchte er.

      „Das verstehe ich auch nicht ganz…“, gab Lisa versöhnlich zu. Vielleicht will sie irgendjemand vernichten, weil ihr Vorkommen selbst in einem unveröffentlichten Buch zu beunruhigend ist. Das war vielleicht nicht einmal für dieses geflügelte Wesen vorauszusehen…“

      „Ich seh’ auch gleich etwas nicht mehr voraus… “, meinte er nun ebenfalls sanfter. Mit Logik kam er ohnehin nicht mehr weiter. Aber in welche Wahnidee sich seine Frau auch immer verloren zu haben schien, er wollte sie nicht alleine lassen.

      Als sich die beiden küssten, knipste er die Nachttischlampe aus.

      Und unbemerkt zog Geier Willi noch immer seine Kreise am dunklen Himmel über London…

       Kapitel 6 Im Nichtigen Reich

      Eulalia war in einem bemitleidenswerten Zustand. Sie weigerte sich einen Schritt zu tun.

      „Hätten wir sie doch Bel Raven mitgegeben!“, fluchte Elester.

      „Na... hicks ... das haben wirsch glisch!“ Jim fand die Situation „gaaar nischt“ so schlimm. „Eine Madame musch mannn tragen, und sie ist meine Lands… hicks …frau! Komm Brüderschen hilf merrr!“

      Jim packte die willenlose Amerikanerin unter den Schultern, und Merlot nahm sie an den Beinen. Von den vielen Stürzen muss hier nicht erzählt werden, es sei nur so viel erwähnt, dass Eulalia das Ganze als Läuterung ihrer Sünden ansah. Schließlich gelangte sie immerhin unverletzt bis zum nächsten Rastplatz. Da sie auf einem nach Nadelhölzern riechenden Waldboden landete und nicht auf dem Höllenspieß eines hungrigen Feuerteufelchens lächelte sie sogar.

      „So... Meladdy, brauch… hicks …nun ein gleinnnes Päuschen, Sccchhhwesterchen, ein klitzelekleines Minni-Päuschen!“ Jim sackte auf das weiche Moos und war schon im Land der Träume.

      „Junger Mann, vielleicht sollten Sie sich doch überlegen, zu Eisenpräparaten zu greifen!“, meinte Eulalia liebenswürdig an Merlot gewandt. Aus Höflichkeit schlug sie ihm nicht vor, sich die Zähne abschleifen zu lassen.

      „Ach, meine Liebe, ich spüre so eine sanguine Lust in mir aufsteigen...!“ Mit einem beinahe irren Blick starrte Merlot in die Dunkelheit, schnüffelte und war verschwunden. Elester hatte ihn einen Eid schwören lassen, keinen der Gruppe anzusaugen. Da dieser Eid mit Blut geschrieben war, musste er sich daran halten, obwohl er ihn natürlich sofort aufgeleckt hatte.

      Eulalia lächelte Elester, der mit einer aufgespießten Wühlmaus hinter dem nächstgelegenen Felsblock hervorkam, nervös an.

      „Gar nicht hungrig, Miss?“, fragte er beinahe fürsorglich. „Es sind genug Wühlmäuse da!“

      „Danke, sehr liebenswürdig, Mister Claw, morgen früh gehe ich Pilze sammeln.“

      Nachdem die Wühlmäuse verzehrt waren, wachten nur noch Elester, Pat und Penny Lo. Sie starrten in ein kleines Feuer, Pat schmiss dürre Äste in die Flammen. Lange schwiegen sie.

      „Lord Waxmore fehlt!“, sagte Pat schließlich.

      „Ich weiß, aber er wird uns schon wieder finden.“ Elester zuckte mit den Schultern.

      Bald rollten sie sich in ihre Mäntel und Jacken ein, froh vor der Kälte geschützt zu sein. Ein Käuzchen schrie, kurz darauf kam auch Merlot wieder zurück, setzte seine Augenbinde auf und schlief ein.

      Das Feuer war am Erlöschen, nur die Glut gab noch Wärme und spuckte vereinzelt Funken aus, während ein matter Schein im Osten durch die Bodennebel kroch. Doch noch etwas anderes kroch durch die Bodennebel. Wie gut, dass alle schon schliefen. Es war wirklich traurig anzusehen! Ein dünnes halblanges Etwas, das am vorderen Ende Verdickungen aufwies, schleppte sich ausgehungert durch das Unterholz. Sucky! Da während des Marsches kaum einer gesprochen hatte und es außer ein paar Entsetzensschreien von Eulalia nichts zu futtern gegeben hatte, war er hinter den anderen zurückgeblieben. Jetzt war Sucky so erschöpft, dass er nicht einmal mehr ans Fressen dachte. Was denn auch schon! Das Knistern der Feuerstelle gab maximal ein paar Appetitanreger ab. Suckys Vorderspitze war staubtrocken und wund. Wie mit einer Wünschelrute ortete er die Aura der Gruppenmitglieder, um sich dann mit letzter Kraft dicht zu Eulalia zu legen. Er hoffte, nach dem Aufwachen wenigstens ein gutes Frühstück vorzufinden. Für ein paar Stunden schliefen alle friedlich.

      „Aaahhh!“

      Suckys Hoffnung erfüllte sich, und die ganze Gruppe wach war.

      „Die Nebel sind dichter geworden“, stellte Elester bei der Morgenrunde fest und sah mit ernster Miene um sich.

      „Das bedeutet, dass wir von Geistern umgeben sind?“, fragte Eulalia vorsichtig nach.

      „Das bedeutet…“ Elester hätte sich jetzt gerne mit einer ganz normalen Fingerkuppe gekratzt. Da das jedoch unmöglich war, führte er seine Metallspitzen zur Wange und strich sich zweimal in Zeitlupentempo über die Haut.

      „Das bedeutet, dass die Grenze auf uns aufmerksam geworden ist.“

      „Die Grenze… auf uns aufmerksam?“, fragten Penny Lo und Pat fast gleichzeitig.

      „Ja… ihr müsst wissen, im Nichtigen Reich ist letztendlich jedes Gehen ziellos…“

      „Dann hätten wir doch mit den anderen gehen können oder uns gleich nicht von der Stelle bewegt!“, erklang eine erschöpfte Stimme. Hinter dem nächstgelegenen Felsblock knackte das Unterholz und ein keuchender Lord Waxmore kam zum Vorschein.

      „Oh, Mylord, ich hoffe, es geht Ihnen gut! Ich war gestern Nacht leider etwas absent, sonst wäre mir sicher aufgefallen, dass Sie fehlen!“ Eulalia sprang auf den erschöpften Lord zu und half ihm bei den letzten Metern Fußmarsch.

      „Sie waren nicht gerade schnell!“, meinte Pat vorwurfsvoll.

      „Er ist genauso schnell gegangen wie wir, aber – wie ich schon sagte–, jedes Gehen hier ist letztendlich ziellos. Ausschlaggebend für ein Fortkommen ist es trotzdem, ein Ziel zu haben. Aber Sie, Lord Waxmore, Sie hatten wohl nicht wenigstens das Ziel, bei der Gruppe zu bleiben?!“, fragte Elester nicht eben freundlich.

      „Nun ja, zunächst einmal möchte ich den hier Anwesenden mitteilen, dass es meiner Gewohnheit entspricht, mich auf meinem Reittier fortzubewegen. Und um die Wahrheit zu sagen, habe ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen, ob es nicht vielleicht klüger wäre, als Großgruppe zusammenzubleiben und die anderen vielleicht doch zu überreden… Aber plötzlich war überhaupt niemand mehr zu sehen. Ich irrte stundenlang herum!“ Der erschöpfte Lord setzte sich auf einen Felsblock.

      „Mister Claw, wenn die Grenze auf uns zukommt weil unser Gehen null und nichtig ist, dann ist es doch wirklich besser, wir bleiben hier!“, meinte Eulalia spitz und stellte sich neben den Lord.

      „Nein, das können wir nicht! Wir müssen uns bewegen, sonst bewegt sich auch die Grenze nicht auf uns zu. Und außerdem: Nach mehr als sieben Stunden an einer Stelle würden wir beginnen uns langsam aufzulösen!“

      „Ach ja, wenn das so ist…!“ Eulalia, die nichts mehr fürchtete als den Tod – wie wahrscheinlich die meisten Menschen –, sah an sich herunter. Waren es die Nebel, eine beginnende Weitsichtigkeit oder ihre schwachen Nerven? Sie hätte schwören können, dass sie schon dabei war sich aufzulösen! Sie packte den Lord, riss ihn hoch und heischte die anderen an: „Na los, worauf warten wir!

       Kapitel 7 Richtung Norden

      Am nächsten Morgen wussten Lisa und Alwin, dass zirkuläre Bewegungen einiges auszurichten imstande sind.

      Lisa hatte noch die Augen geschlossen, als sie zu sprechen begann: „… durch eine hohe Verdichtung kinetischer Energie entstandener Sog, welcher

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