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wegen. Besonders bei Franziska frage ich mich, weshalb sie eigentlich nicht Berufssoldat geworden ist. Im Nahen Osten werden doch immer Leute gesucht, die Minen wegräumen müssen. Da würde sie gut hinpassen, meine ich.

      Nörrestrand blickt verwirrt auf, fasst sich an die Brille. »Ähem, ja natürlich, meine Damen.«

      »Macho!«, schrillt es von hinten.

      Nörrestrand scheint nicht recht zu wissen, was er damit anfangen soll.

      »Neurophysiologie des Bewusstseins, Herrschaften … äh, und Damen.« Er blättert durch sein Skript. »Eigentlich weiß nur der Laie genau, wovon er spricht, wenn von Bewusstsein die Rede ist«, stottert er so leise, dass man trotz der Mikrofonverstärkung genau hinhören muss. Dann blickt er in die verblüfften Gesichter der Zuhörer im Saal.

      Was soll der Scheiß?, fragt sich jeder und genau das erwartet Nörrestrand wohl auch von uns.

      »Als Neurochirurg«, fährt er sichtlich zufrieden fort, »braucht man sich für derartig philosophische Fragen wie 'Was ist Bewusstsein?' zum Glück nicht zu interessieren.«

      Nicht? Warum liest er dann darüber?

      »Als Neurochirurg interessiert lediglich die Frage, ob jemand wach ist oder nicht. Und wenn er nicht wach ist, wie wenig wach ist er? Wenn er hingegen wach ist, ist er dann aufmerksam?« Ein süffisantes Lächeln schleicht sich in sein Gesicht. Der Mann spricht in Rätseln. Immerhin hat er es geschafft, dass die Touchphones einen Moment an Priorität verloren haben, bis auf diejenigen, die zwecks Doku direkt auf ihn gerichtet sind, was eigentlich untersagt ist.

      »Wir beschäftigen uns mit der Frage, was im Gehirn geschieht, sobald wir einen Zustand zu erkennen glauben, von dem wir sagen, er sei mit Bewusstsein verknüpft. So wie beim Wachzustand. Und was geschieht, wenn wir einen Zustand erkennen, von dem wir annehmen, er sei nicht mit Bewusstsein verknüpft, etwa im Tiefschlaf oder im Koma. Wir reduzieren also ganz 'bewusst' die Definition des Begriffes 'Bewusstsein' auf ein laienhaftes Verständnis, weil wir sonst aus dem Grübeln gar nicht mehr herauskämen.«

      Merkwürdiger Typ. Er bastelt am Gehirn rum und fragt sich erst hinterher, was er eigentlich erforscht. Es wird unruhig im Saal.

      »Was wir sicher wissen«, fährt Nörrestrand fort, »ist, dass bestimmte Gehirnstrukturen einen erhöhten Stoffwechsel aufweisen, wenn wir einen Zustand feststellen können, in dem das Vorhandensein von Bewusstsein angenommen wird, etwa vor einer langen Vorlesung.« Einzelne Lacher von Leuten, die den Witz verstanden haben. Die anderen filmen entweder oder sind bereits wieder über ihre Screens gebeugt. Der Typ beginnt mir zu gefallen.

      »Die Herrschaften, die jetzt aufmerksam ihre Whatsapp-Nachrichten studieren, sind sicherlich teilweise bei Bewusstsein ...«, blitzt er in den Saal, wobei seine Stimme fester wird, »doch wir können von ihnen annehmen, dass ihr Bewusstsein nicht aufmerksam auf ein Vortragsthema fokussiert ist ...« Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment brüllt es von hinten: »Gibt es in deinem Hirn nur Männer?«

      Au, Mann!

      »Könnten Sie bitte mit den Zwischenrufen aufhören?«, versucht es Nörrestrand nun leicht verärgert.

      Es wird unruhig im Saal. Nachdem alle anderen Zuhörer ihre Köpfe nach hinten gedreht haben, gebe ich widerwillig nach und schau auch hin. Da haben die »Damen« in der letzten Reihe ein Transparent entrollt, Betttuch mit roter Krakelschrift: »Nieder mit der Machoherrschaft!« und intonieren den Spruch wie einen Schlachtruf, die Fäuste in die Luft schleudernd. Woran erinnert mich das? Ho-Ho-Ho Chi Ming oder so. Ich find es prollig.

      Nörrestrand kratzt sich am Kopf. Die anderen Studenten brechen in unwilliges Gemurmel aus.

      »Wenn Sie nur hierhergekommen sind, um die Vorlesung zu stören, dann haben Sie erreicht, was Sie wollten! Sie können jetzt damit aufhören!« Erstaunt schaue ich Nörrestrand an. Wow! Der kann sogar laut sprechen! Das hätte ich nicht von ihm gedacht. Auch die Störerinnen sind verunsichert und schauen kurz zu Franziska hin. Doch die fängt nun an, eine neue Parole zu intonieren.

      Ich höre nicht mehr hin. Vertane Zeit hier. Ich gehe lieber.

      Als ich den Hörsaal verlassen habe, schluckt die Tür den Tumult, der sich inzwischen dort drinnen entwickelt hat. Die kahlen Betonwände der Uni und der graue Bodenbelag legen sich wie ein schützender Film über meine Sinne. Kann eine Maschine ein Bewusstsein haben? Könnte EVA wissen, dass sie existiert? Woher weiß ich eigentlich, dass ich existiere? »Nörrestrand soll mal gesagt haben, das Bewusstsein sei wie eine Taschenlampe«, sagte Kutub neulich. »Wenn sie angeknipst ist, gibt es Licht, und was sie beleuchtet, kann wahrgenommen werden.« Wobei das Wörtchen »kann« von Bedeutung ist. Es muss nicht wahrgenommen werden. Kutub meinte, das wäre eine Frage der Verarbeitungskapazität des Gehirns. Da es nicht in der Lage sei, alle Informationen in angemessen kurzer Zeit zu verarbeiten, filtere es nur die wichtigsten aus. Das ist wie bei der DPA, der Deutschen Presse Agentur. Die bietet auch vieles an, von dem nur weniges in der Tageszeitung oder den Nachrichten auftaucht. »Das Bewusstsein leuchtet nur einen kleinen Teil der Welt aus?«, fragte ich Kutub. Kutub verehrt Nörrestrand, soviel ich weiß. Wenn EVAs Augen sehen können, wenn sie mich erkennen kann, ist das dann Bewusstsein oder ist das nur Aufmerksamkeit? Ist ein aktiver Videosensor aufmerksam oder nur eingeschaltet? Wenn ich so betrunken bin, dass ich nur sehen kann, aber nichts mehr checke, bin ich dann bei Bewusstsein oder nur eingeschaltet? Weiß ich nicht. Aber ist das wirklich wichtig? Reicht es nicht aus, wenn ich das Gefühl habe, dass EVA versteht, was ich sage, solange sie mich beim Reden anschaut und ich Gefühlsregungen auf ihrem Gesicht erkennen kann, auch wenn die nur einprogrammiert sind? Ist das denn bei uns Menschen anders? Laufen da nicht auch nur Programme ab? Der Verhaltensforscher Eibel-Eibesfeldt hat mal festgestellt, dass bestimmte mimische Ausdrücke in allen Völkern gleich sind, zum Beispiel Lachen und Weinen. Lachen würde man sogar bei Affen richtig deuten, zumindest wenn sie lachen. Weinen Affen eigentlich? Aber traurig aussehen tun sie schon. Was ist das anderes als ein Programm, das abgerufen wird? Der Unterschied ist, sagt Kutub, Nörrestrand meine, unser Bewusstsein bemerke Lachen erst, wenn wir es bereits tun.

      »Wie jetzt?«, hab ich gefragt.

      »Na, du merkst erst, dass du lachen willst, wenn dein Gehirn bereits die Lachmuskeln aktiviert hat. Mit Verspätung, verstehst du?«

      »Nö?«

      »Wir sind immer eine Viertelsekunde zu spät mit unserem Bewusstsein, sagt Nörrestrand. Wir werden uns unserer Reaktion erst bewusst, nachdem sie bereits im Gehirn gebahnt ist. Wir glauben, dass wir aus freien Stücken lachen, aber der Körper oder das Gehirn tut es bereits, bevor wir uns dazu entscheiden. Wir stellen es nur fest und glauben, wir täten es aus freien Stücken!«

      »Wer sagt denn so einen Scheiß?«, entfuhr es mir. Kutub nannte mir ein Dutzend Titel über das Thema. Die hätte er alle zu Hause, sei aber selbst noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Deshalb verehrt er Nörrestrand, glaub ich, weil der das alles vorträgt, ohne dass man sich durch englischsprachige, wissenschaftliche Texte durcharbeiten muss.

      Armer Nörrestrand, wie der wohl mit dem Emanzenclub fertig wird jetzt? Ich drehe mich unwillkürlich um und schaue in den Gang zurück. Doch dort ist die Tür noch nicht aus den Angeln gefegt worden. So schlimm wird es wohl nicht sein. Ich zucke mit den Achseln. Wenn bloß EVA bald wieder richtig funktioniert.

      8. Kapitel: Sehen

      # # #

      #Standby.

      #Input: Audioinputlevel Hoch, #Geräusch

      #Set on.

      #Systemcheck: Bios. Okay,

      #Betriebssystem: Kyborg2052, Neues Update 2052-2,

      #Autostart: Gesichtserkennung.kyb,

      #Lautsprecher: Voicedecoder.kyb,

      #Netzwerk: nicht verbunden.

      # Alert!

      #Fehlermeldung 202, 'unautorisierter Eingriff'.

      #Gehe online:

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