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verzweifelte bei der Auswahl der Kleidung, die er mitnehmen wollte. Lieber Wandersachen oder etwas Feineres für das Restaurant? Da er sich nicht entscheiden konnte, warf er einfach von jedem etwas in die Tasche, nahm zwei Paar Schuhe in die Hände und stürmte die Treppe des Hotels hinunter zum Wagen, ohne gefrühstückt zu haben. Wenige Minuten später war er bereits am verabredeten Kreisverkehr, etwas zu früh, wie er feststellte. Also parkte er seinen Wagen im Schatten einiger Bäume am Straßenrand, stellte das Radio an und wartete auf sie, auf Suzanne. Der Tag versprach, heiß zu werden, die Sonne brannte von einem wolkenlosen, strahlend blauen Himmel herunter und die Luft über der dunklen Fahrbahn begann trotz der frühen Stunde schon zu flimmern. Weil es trotz des Schattens im Wagen zunehmend unerträglich heiß wurde, öffnete er die Fenster und atmete die meersalzgeschwängerte, würzige Luft ein. Er überlegte, dass es möglicherweise am besten sein könnte, einfach an irgendeinen Strand zu fahren, anstatt den Tag im Auto zu verbringen. Zwar hasste er das müßige Herumliegen in der Sonne inmitten bunter Sonnenschirme, schreiender Kinder, fluchender Eltern, bereitwillig dargebotener Fettleibigkeit, aber die Aussicht einen lüsternen Blick auf Suzannes wunderbaren Körper werfen zu können, erfüllte ihn mit erwartungsvoller Erregung. Wenn sie nur überhaupt käme! Wenn er sich nur ein etwas repräsentativeres Auto genommen hätte als bloß einen durchschnittlichen Kleinwagen! Vielleicht wäre sie enttäuscht, in so einer Nuckelpinne zu fahren? Er schalt sich selbst einen Dummkopf, auf der anderen Seite ermahnte er sich, nicht den jugendlichen Casanova zu spielen, der er einfach nicht war. Er war er und das musste sie letztlich genauso akzeptieren, wie er sich selbst zu akzeptieren gezwungen war. Nervös trommelte er auf das Lenkrad. Wieso wollte sie nicht vor ihrer Wohnung abgeholt werden? Er hätte sich gerne noch einmal den genauen Weg dorthin erklären lassen. Auch in einer Bar oder vor einem Restaurant wäre ein guter Treffpunkt gewesen, aber an einer Straßenkreuzung, an der weit und breit außer einem Campingplatz und einem Ferienressort nichts weiter zum Verweilen einlud? Frauen sind merkwürdige Wesen, dachte er. Die Zeiger seiner Uhr schritten unaufhaltsam auf 10 Uhr zu. Er blickte sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Ab und zu kam ein Wagen aus der Ferne angerollt, bremste vor dem Kreisverkehr ab und verschwand wieder in die ein oder andere Abfahrt. Vielleicht kam sie sogar mit dem Auto oder wurde gebracht? Schade, dass er nicht rauchte, dachte er. Mit einer Zigarette im Mundwinkel hinter dem Steuer zu hängen würde eine gute und lässige Pose abgeben und seine Nervosität überspielen. Er stellte das Radio an. Ein wehmütiger Tango erfüllte das Wageninnere. ‚Volver‘ hieß er, soweit er sich entsann. Er beschloss, sich die Zigarette vorzustellen, legte den Sitz ein wenig zurück, ließ den Ellenbogen aus dem Fenster hängen und schloss halb die Augen. Der rosafarbene Orleander auf der gegenüber liegenden Straßenseite erglühte im Licht der Sonne zu einer Farbexplosion. Er sog langsam den Duft der Macchie ein, den die etwas kühlere Meeresluft herantrug. Der Süden sollte eigentlich seine Heimat sein, dachte er. Nirgends waren die Farben lebhafter, die Gerüche intensiver als im mediterranen Süden Europas. »Bon jour!«Er fuhr herum. Neben der Fahrertür stand eine weiß gekleidete Frau mit großer Sonnenbrille, die fast das ganze Gesicht verdeckte, weißem großrandigen Sonnenhut und einer kleinen bunten Strandtasche. »Suzanne?«Sie nahm die Sonnenbrille ab und lächelte ihn fröhlich an. »Oui. Überrascht? Wir waren doch verabredet.« »Wo kommst...?«, im Aussteigen beendete er seinen Satz jedoch nicht, sondern nahm ihre Hände in die seinen, hob ihre Arme ein wenig hoch und betrachtete sie erfreut. »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie neckisch. »Du bist wunderschön. Ich hatte dich gar nicht kommen hören«, und mit Blick auf die Sonnenbrille, »und dich beinahe gar nicht erkannt.«Er umarmte sie heftig und drückte sie herzlich an sich, was sie geschehen ließ. »Surprise!«, lachte sie. »Das ist dir gelungen!«, lächelte er erleichtert, sie nun leibhaftig vor sich zu sehen. »Doch nun, subitu, mein Lieber, ich möchte so schnell wie möglich hier weg!« Er führte sie zur Beifahrerseite, öffnete galant die Tür, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Sie warf die Strandtasche schwungvoll auf den Rücksitz, ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten und schlug ihre schlanken, makellosen Beine übereinander. Dabei rutschte ihr eine ihrer zierlichen Sandaletten mit dünnen weißen Riemchen und funkelndem Strassbesatz vom Fuß und fiel vor dem Auto auf den Boden. Er beeilte sich, ihn ihr zu reichen. Aber anstatt ihn entgegenzunehmen, streckte sie ihm nur mit einer neckischen Geste ihren nun bloßen Fuß entgegen und spielte mit breitem Grinsen mit den Zehen. Er bückte sich zu ihr hinunter, um ihr die Sandalette wieder anzuziehen, strich dabei übertrieben lange über ihren Fußrücken, bevor er sich wiederaufrichtete. Sie quittierte es mit einem wohlwollenden angedeuteten Lächeln und leichtem Nicken ihres Kopfes und zog den Fuß balletös zurück. »Nun, können wir los?« »Bitte sofort, bitte gleich!«, verneigte er sich in der Geste eines Chauffeurs, eilte übertrieben manieriert um das Auto, ließ sich steif am Steuer nieder und fragte: »Wo darf ich die Dame hin chauffieren?« Dann brachen beide in prustendes Lachen aus. »Du kannst ja auch komisch sein!«, freute sie sich. »Na, schönen Dank!«, protestierte er gespielt. Sie schauten sich eine Weile abwartend in die Augen, bevor sie ihre Sonnenbrille wieder aufsetzte. »Möglichst schnell, möglichst weit von hier weg!«, schlug sie vor.Er ließ den Motor an, froh, dass sie über den Wagen, den er gemietet hatte, kein abfälliges Wort verloren hatte. »Wollen wir an einen Strand fahren?«Sie überlegte. »Lass uns nach Canella fahren. Da kenne ich einige nette Stellen.«Der Strand bei Canella war, soweit er wusste, genau am gegenüberliegenden südlicheren Teil Korsikas gelegen. Sie müssten also die Insel einmal durchqueren. Das würde eine längere Fahrt bedeuten. »Ehrlich gesagt, würde ich gerne vorher ein kleines Frühstück zu mir nehmen, ich habe mich sehr beeilt«, gestand er. »Oui, bien, lass uns in Corte halten, das liegt ziemlich in der Mitte.«, war sie einverstanden. Er gab also Gas, etwas zu heftig, so dass die Vorderräder auf dem sandigen Untergrund geräuschvoll durchdrehten und der Wagen beim Anfahren leicht schlingerte. »Muss mich noch dran gewöhnen!«, entschuldigte er sich mit einem vorsichtigen Seitenblick. Sie hielt nur ihren Sonnenhut fest, der ihr fast vom Kopf gerutscht wäre. »Du hast ein Rennauto gemietet!«, stellte sie mit gespieltem Erstaunen fest. Er räusperte sich. »Ja, scheint so!« Er fädelte sich auf der Hauptstraße in den spärlichen Verkehr ein, froh darüber, dass die Stimmung von Anfang an so gut war und sich ihre Verabredung so amüsant anließ. »Wie gut kennst du dich in Korsika aus?«, fragte er. »Oh, ein wenig. Ich bin einige Male zu Verwandten zu Besuch gefahren. Die leben allerdings überwiegend in der Gegend von Bastia oder aber in von Bonifaciu.« »Und wie lange lebst du denn schon hier in Korsika?«Sie legte ihm den Zeigefinger zart auf den Mund. »Keine Fragen zur Vergangenheit, Cheri, wie vereinbart. Das war versprochen.«Er zuckte mit den Schultern. »Fällt mir schwer, ich möchte alles über dich wissen.« »Das, was du wissen musst, ist nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Was nützt es dir, etwas über mich zu erfahren, was ich mal war, anstatt zu erleben, was ich jetzt bin?« »Da hast du recht.«, stimmte er etwas unwillig zu. »Der Weg ist das Ziel. Leben im Hier und Jetzt, oder so.« »Si!«, bestätigte sie bestimmt und wandte den Kopf zur Seite, um stumm die Landschaft an ihnen vorbeigleiten zu sehen, die sie nun passierten. Die Straße, N197, eine der Hauptverkehrsadern, führte einige Zeit am Steilhang, nahe dem Meeresufer, vorbei, um sich dann wie eine Schlange langsam ins Hochland zu winden. Als die Straße schließlich nahezu rechtwinklig die Richtung nach Bastia änderte, um das Inland zu durchqueren, ließen sie das Meer hinter sich.Sie seufzte, ließ sich auf ihrem Sitz zurückgleiten, nahm Sonnenbrille und Hut ab und dehnte zufrieden ihre Arme. »Erzähl von dir!«, brach sie das Schweigen.Er zuckte mit den Schultern. »Was soll ich erzählen?« »Irgendwas. Magst du Korsika?«Er zögerte. »Ja, im Moment mag ich Korsika sehr.« »Wie, sonst nicht?« »Doch, doch, ich finde Korsika sehr schön, sehr interessant.« »Ich nicht!«, gab sie zurück. »Nicht?« »Nein, nicht mehr.« »Weshalb? Du bist doch Korsin?« »Eben drum.« »Das verstehe ich nicht.« »Es gibt zu viele Mauern.« »Mauern? Wo?« »Überall. Du siehst sie nicht, weil sie dich wie unsichtbare Wände einschließen.«Er schaute sie verständnislos an. »Korsika ist ein riesiges Gefängnis, mehr nicht.« »Na, hör mal«, fragte er vorsichtig nach. »Wovon sprichst du? Von den Einheimischen?«Sie nickte. »Ich finde sie alle ganz nett. Sehr freundlich.« »Tja, solange du als Tourist dein Geld da lässt!«, erläuterte sie. »Und sonst?« »Mauern, überall Mauern, hinter denen Missgunst und Gewalt herrschen.« »Hat, glaube ich, Napoleon schon über die Korsen gesagt. Er soll in Paris gefragt haben, ob die Korsen immer noch damit beschäftigt seien, sich gegenseitig umzubringen«, dozierte er. Sie grunzte abfällig. »Napoleon. Alle verehren

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