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einfach kann die Welt sein, wenn man nur will!

      Die verbleibende Zeit bis zum Rendezvous schlendere ich durch die alte Stadt, teilweise noch umgrenzt von einer Stadtmauer, die auf einer Insel liegt. Sie war 1944 durch das Eingreifen eines einzigen Mannes vor der Bombardierung durch die Franzosen gerettet worden. Ich kannte ihn noch vom Stammtisch seines Gasthauses her, wo er einen Ehrenplatz hatte und auf Lebenszeit Freibier. Die Alliierten standen vor der Stadt, in diesem Bereich die Franzosen, und es hieß, am nächsten Tag würde bombardiert. Ebenjener Mann, damals noch jung und der französischen Sprache mächtig, schaffte es, in das Hauptquartier der Soldaten zu kommen und zum Kommandanten. Diesem erzählte er von der Schönheit der Stadt, ihren historischen Bauwerken, den Menschen. Da die Kapitulationsgespräche schon in Gang waren, willigte der Oberkommandant ein, auf Grund ‚technischer Schwierigkeiten‘ die Bombardierung um einen Tag zu verschieben. Und an diesem Tag wurde die Kapitulation unterzeichnet!

      Pünktlich war ich im Amt. Jovialer Empfang des Zuständigen. Worum es gehe. Ich legte ihm die Bootspapiere vor. „Es ist ein winziger Sun Fast 17, ein kleiner Jeannau-Jollenkreuzer“, erkläre ich ihm, „ich will die deutschen Seen befahren, weil ich mal hier gelebt habe.“ „Hier wird in Zentimetern gemessen“, klärt er mich auf, „und hier steht 5 Meter und 5 Zentimeter! Bei einem Boot über 5 Metern Länge brauchen sie aber das Bodenseepatent!“ „Fünf Zentimeter zu groß?“, frage ich ungläubig tuend, obwohl ich im Internet schon sowas gelesen hatte. „Da braucht man ja nicht so genau hinschauen, das sieht doch sowieso niemand!“, schlage ich vor. „Schauen sie, die erlaubte maximale Segelfläche ist sogar um einen Quadratmeter überschritten!“ „Ich kann ja ein Reff einstecken!“, erwidere ich, „Und heute geht überhaupt kein Wind!“ „Regeln sind da, um eingehalten zu werden!“, klärt er mich auf. „Und vorher muss das Boot umgeschrieben werden. Es können nur Boote mit deutschen Papieren zugelassen werden!“ „Aber mein Auto, ein Japaner, in Frankreich zugelassen, muss ich das jetzt auch noch umschreiben lassen, wenn ich in Lindau fahren will?“, frage ich ihn ungläubig. „Wir sind hier nur für die Boote zuständig.“ Er blättert in einem Ordner. „Sie haben Glück! In vierzehn Tagen findet ein Dreitage-Kursus zum Erlangen des Bodensee-Schifffahrt-Patentes statt, da ist noch Platz. 350 Euro. Soll ich sie einschreiben?“ „Ich wollte eigentlich nur heute etwas segeln und morgen weiter zum Alpsee. Schade, ich hatte einen Kumpel zum Mitsegeln eingeladen, der auch ein Boot auf dem See hat“, werfe ich ein. „Hat ihr Bekannter den Segelschein?“, will er wissen. „So wie sie mir erklärt haben, muss er den wohl haben, sonst hätte er ja kein Boot auf dem See. „In diesem Fall können sie das Boot ins Wasser lassen, nur muss er es fahren. Aber nicht auf der Insel! Hier findet morgen eine Regatta statt, da ist der Bootshafen voll! In Bad Schachen ist eine Rampe, dort können sie das Boot ins Wasser schaffen“.

      Was für ein Paragraphen-Reiter! Ich fahre also nach Bad Schachen, nachdem ich meinen Kumpel angerufen habe. Wir treffen uns an der Einfahrt. Durch den niederen Wasserstand des Sees reicht diese aber nicht mehr ganz ins Wasser und wird durch eine Betonröhre abgelöst, anscheinend ein Abwasserkanal. Rein bekämen wir das Boot schon. Aber sicher nicht mehr raus, so geneigt wie das Gelände unterhalb der Rampe ist. „Schade, ich hätte so gerne ein paar Aufnahmen für meinen Film gemacht!“, sage ich. „Weißt du was, wir nehmen mein Boot, ein Duffour 7, der ist ja in gewisser Weise auch französisch!“, meint mein Freund. Und so machen wir es!

      Es ist wenig los auf dem See. Die meisten Boote dienen anscheinend auch hier nicht zum Segeln. Es geht kaum Wind. Ein Patrouillenboot der Wasserschutz-Polizei ist das einzige Fahrzeug, das den glatten See beunruhigt. Sie fahren an uns vorbei, einen forschenden Blick herüberwerfend. Ihre Bugwelle bringt unseren Baum zum Schlagen und erweckt die Takelage zu kurzem Leben. „So wenig Boote, warum sind die überhaupt unterwegs?“, frage ich. „Schau, das Boot, das da mit eingeholten Segeln treibt. Da werden die Leute am Feiern sein. Wetten, dass die Wasserpolizisten dort anhalten, um einen Alkoholtest zu machen?“ Und so war es!

      ALPSEE

      ALPSEE

      Mein nächstes Ziel war der Alpsee bei Immenstadt, ungefähr 250 Hektar Fläche. Es war Mitte September und überall Almabtrieb. Die Kühe blockierten die Straßen und versahen sie mit einem frischen, grünen Belag. Internet hatte gesagt, dass man am Campingplatz in Bühl Boote ins Wasser lassen kann. Dort war das Mädchen vom Empfang ganz entsetzt. „Schauen sie selber, die Fußgänger-Passage ist der einzige Zugang zum See.“ Da sie nicht von hier war, konnte sie mir auch nicht weiterhelfen. Also fragte ich Passanten, die nach Einheimischen aussahen. „Da hinten, den Privatweg rein, ganz am Ende ist ein Bauer, der hat Boote auf einer Wiese. Versuchen sie es mal dort!“

      Ich hielt vor einem typischen Allgäuer Bauernhof an, wo Stallungen und Wohnung alle unter einem riesigen Dach vereint sind. Die Wände des Gebäudes waren mit Schindeln bedeckt, die Fenster mit Geranien verziert, in einer Wiese erhob sich eine Kapelle, auch geschindelt, mit einem winzigen Glockenturm. In den saftigen, grünen Wiesen standen träge Kühe, genau wie die unseren. Es roch nach Heimat und Willkommen. Der Alt-Bauer kam herausgeschlurft und wir begrüßten uns. Ich sagte, dass ich daheim, in Frankreich, die gleiche Kühe hatte, worauf er mich durch den Stall und den Heuboden führte. Seine Kühe hatten sogar das gleiche Anbinde-System wie unsere! Da hatten wir natürlich viel zu bereden!

      Klar, dass ich das Boot zu Wasser lassen könnte. Nur muss es nachts wieder raus, so seien die Regeln am See. Er zeigte mir die Wiese mit der kiesigen Einfahrt ins Wasser. Ich schnitt ihm ein Stück Käse ab. Also gleich den Mast gestellt, das Boot ins Wasser und losgesegelt. Ich war so geil auf Segeln, dass ich für die umliegenden Berge und den oberliegenden Himmel noch keinen Blick übrig gehabt hatte. Plötzlich legte mich eine Böe fast um, es donnerte und ein paar dicke Tropfen fielen. Mein dadurch zum schwarzen Himmel gewandter Blick ließ mich schleunigst die Pinne umlegen und das hin und her geworfene Boot mit Mühe wieder auf die Rampe steuern. Doch als ich das Reff eingesteckt hatte, war das Gewitter schon weitergezogen und leerte seine Wolken über dem hinter mir aufragenden Immenstädter Horn aus, es meinem Blick verhüllend. Was hatten wir damals da oben für schöne Touren gemacht, was für wilde Feste gefeiert, selbst in eisigen Winternächten bei Schneesturm!

      Ich mache das Reff wieder raus und schiebe das Boot zurück ins Wasser! Wie immer, erst ein paar Mal vor dem Anlegeplatz kreuzen, um den Ort später auch wiederzufinden. Denn aus der Ferne gesehen sind sich alle Ufer gleich, und es ist wichtig, sich ein Merkmal einzuprägen, einen Baum, ein Haus oder anderes. Viele der Alpenseen sind Gletscherseen und deshalb nicht sehr tief. Damals war ein Starfighter F104, ein amerikanischer Jagdbomber von der Bundeswehr in den See gestürzt. Ein anderer war unweit am Hochgrat, einem Berg zerschellt. Auch da fand man nicht mehr viel. Erst als der Sohn des Verteidigungsministers, auch Pilot, mit einem abstürzte, stellte man die Flugtauglichkeit dieser fliegenden Särge in Frage. Doch da waren schon über 100 runtergefallen…

      Mit solchen Gedanken steuerte ich über den eher kleinen, tiefbraunen Moor-See, dessen Ufer teilweise von Seerosen und trockenem Schilf gesäumt waren. Ein Teil des Sees war, wie bei allen deutschen Gewässern, als Naturschutz-Zone für Segeln, Baden und Fischen verboten. An einem Ufer standen Pfahlbauten, bunt gestrichene Wochenendhäuschen. Rundum erhoben sich die hauptsächlich von Almen bedeckten Berge von der Nagelfluh Kette, nur an den steilsten Stellen bewaldet. Auf den unteren Lagen grasten noch die Kühe, parallelen Streifen folgend, im Laufe der Jahrhunderte von den Hufen in die Hänge getreten.

      Hier bleibe ich drei Tage. Ich treffe mich mit Peter, den ich das letzte Mal auf der Seemannschule gesehen hatte, wo sich anschließend unsere Wege trennten. Er irrte fünf Jahre über die Weltmeere, während derer er nicht einen einzigen Brief nachhause schickte. Seine Welt hatte nichts mehr gemeinsam mit der, die er hinter sich gelassen hatte. Dennoch schaffte er es, wieder an Land zu gehen und versuchte sich im Kaufmännischen. Jetzt in Rente, begleitet er mit seiner Freundin Wanderer durch die Oberstaufener Berge.

      Bei dem anhaltend schlechten Wetter besuchte ich noch andere Freunde, hatte ich doch lange in dieser Gegend gewohnt, kaufte mir höhere Gummistiefel, nachdem meine letztens vollgelaufen waren. Nichts ist unangenehmer, als nasse Füße, zumal die Nächte kalt waren und, wenn es mal nicht regnete der morgendliche Reif die Bauern veranlasste, die Kühe

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