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der ockerne Farbklecks einer alten Scheune oder die grünen Zacken von den hochgeschossenen Tannen aufleuchten, die eigentlich mal als Christbäume gedacht waren. Und dann diese hellblaue Himmelskuppel, die all das wie eine schützende Glocke bedeckt!

      DER PYRENÄEN-KÄSE

      Oberhalb von Moulis hatten wir eine Familie kennengelernt, die schon seit 10 Jahren hier ansässig ist. Sie haben 40 Ziegen und drei Kühe. Ihr Stall ist ein luftiger Neubau aus Holz, mit erhöhten Futterständen, die auch als Melkstand dienen können, wenn man die Hälse der Tiere darin blockiert, indem man ein Brett nach unten klappt. Bisher melken sie noch von Hand in Eimer, planen aber, bald eine Melkanlage einzubauen, um mehr Zeit für die anderen Arbeiten zu haben. Denn zusätzlich haben sie noch zwei Ferienwohnungen, die sie vermieten und außer ihren eigenen drei Kindern mehrere Pflegekinder, die ihnen das Sozialamt schickt. Diese machen nicht nur eine Menge Arbeit, sondern bringen auch gut Geld ein, was ihnen hilft, den Hof zu modernisieren!

      Ihre Käserei ist verhältnismäßig klein und mit hellblauer Schwimmbadfarbe ausgestrichen, weil ja Wände und Boden abwaschbar sein müssen. Doch ist diese Farbe nicht zum Darüberlaufen gemacht und muss öfters erneuert werden. Und billig ist sie auch nicht gerade! Der ganze Hof macht einen guten Eindruck, man sieht, dass Lulu mal Agronomie studiert und dann ein paar Jahre in Afrika gearbeitet hat, in der Wiederaufforstung der massakrierten Regenwälder. Dadurch, dass sie auch Kinder haben und auf dem Weg nach St. Girons liegen, besuchen wir sie bisweilen. Dann sind die Kinder unter sich und wir können uns in Ruhe den Problemen der Landwirtschaft, der Erde und des Weltalls widmen, von der leblosen Materie bis hin zur lebendigen Natur, vom leeren Raum bis hin zum vollen Bewusstsein…

      *

      Es sind weniger die samstäglichen Wochenmärkte, die uns in die Stadt ziehen, sondern die Viehmärkte, die jeden zweiten und vierten Montag in St. Girons stattfinden. Auf dem Marsfeld und dem Platz vor der Kirche St. Vallier bauen dann Maschinenhändler und Eisenwarenhändler ihre Stände auf oder stellen ihre Traktoren zur Schau. Unweit des Flusses befindet sich der Hühnermarkt, wo man außer Eiern auch alles Federvieh bekommt, das den Bauernhöfen ihren Charme verleiht oder in den Bürgerhäusern sonntags als Braten im Backrohr schmort.

      Auf dem Forail, dem Viehmarkt treffen sich, außer den paar Touristen, die Neos und die Einheimischen, die Tiere haben. Doch diesmal ist der Marktplatz und die Halle verlassen. Wir sind die einzigen, die mit den kettenbereiften Rädern Spuren durch den Schnee ziehen. Am Marsfeld stehen ein paar Händler um ein Blechfass herum, in dem sie Holzreste verbrennen und sich wärmen. Wahrscheinlich haben sie die Nacht in ihren Lieferwagen verbracht. Die ganze Stadt sieht aus wie ein Weihnachtskalender und riecht nach Holzfeuer. Die wenigen Autos mahlen sich langsam durch den Schnee, die paar Fußgänger bewegen sich auf der Straße vorwärts, um nicht den Dachlawinen ausgesetzt zu sein, die hier und da niedergehen. Ich hatte in der Früh die Großen zur Schule gebracht, hole sie am Mittag wieder ab. Das Auto ist voller Zeug. Sperrholzplatten, Salzblöcke, Elektrokabel, Sachen aus dem Prisunic, dem Supermarkt. Halt all das, was man auf dem Land braucht und nicht selbst herstellen kann…

      *

      Viele unserer Freunde hatten sich auf das Käsemachen verlegt, vor allem die, welche wenig Fläche zur Verfügung hatten. Die meisten machen Ziegenkäse, was mit sich bringt, dass auf den Wochenmärkten in St. Girons und der Umgebung ein Überangebot herrscht. Die einen haben schöne Stände mit bunten Marktschirmen, andere haben ihre Waren auf alten Gemüsekisten ausgelegt, manche ihre Käsle auf ein paar Farnblättern direkt auf dem Boden. Die einen machen einen fast professionellen Eindruck, andere sehen eher ziemlich ausgeflippt aus, und wegen der Hunde, die in der Nähe liegen, machen manche Kunden lieber einen weiten Bogen um ihren Stand! Es gibt einen Zuteiler für die Plätze, doch wer später kommt quetscht sich irgendwo in eine Lücke und bietet seine Waren an. Das Gesundheitsamt kommt nur sehr selten. Und wenn die Inspektoren auftauchen, verbreitet sich die Nachricht schneller als die kontrollierenden Beamten. Viele schnappen ihren Stand und verziehen sich, oder sie verschwinden nur selber eine Weile, und die Kontrolleure wissen nicht, was sie mit dem herrenlosen Stand anfangen sollen…

      Außer den vielen Ziegenleuten kennen wir nur zwei Bauern in Ariège, die Schafskäse herstellen und ein halbes Dutzend Neubauern, die Kuhkäse fabrizieren. Unser neuester Plan ist, von jeder Tierart etwas zu haben, Käse herzustellen und möglichst in der näheren Umgebung zu verkaufen. Im Laufe der Zeit haben wir natürlich etwas Erfahrung gesammelt, aber noch ist unser Optimismus grösser als unser Wissen! Wir sind uns alle einig, einen guten, naturbelassenen Käse herstellen zu wollen, so, wie er früher hier gemacht worden ist. Und jeder hält natürlich seinen eigenen Käse für den besten. Auch gibt es in St. Girons zwei Käsefabriken, die Pyrenäenkäse herstellen, einen davon mit dem hochtrabenden Namen ‚Montsegur‘, mit der klassischen schwarzen Kruste. Doch bei genauerem Hinschauen entpuppte sich die schwarze Rinde als ein Plastikfilm. Logisch wäre eher, den Käse nach St. Girons zu benennen, nicht nach dem 70 Kilometer entfernten Ort Montsegur, wo es noch nicht einmal Milchvieh gibt! Dort war 1244 der Schauplatz des letzten großen Kartharer-Massakers, wo über 200 ‚Reine‘ oder ‚Perfekte‘, wie sie sich nannten, von den katholischen Kirchenvertretern auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. „Tötet sie alle, Gott wird die Seinen erkennen!“, war die Devise der Schlächter. Würde man in Polen einen Käse ‚Auschwitz‘ nennen, oder ‚Holocaust‘? Vielleicht in 800 Jahren schon, je nachdem, wie die Menschheit bis dahin ihre Geschichte ‚aufgearbeitet‘ hat…

      Wenn man die Nummernschilder der Lieferlastzüge, deren Milch in die turmhohen Vorratstanks der Käsefabrik gepumpt wird, anschaut, sind sehr wenig mit 09, dem Kürzel für Ariège darunter. Es läuft da ein riesiger Traffic ab, der ganz normale Standart-Milch in Qualitätsmilch aus den Pyrenäen verwandelt! Wir hingegen wollen mit eigener Milch den echten Käse von hier wieder neu erfinden!

      In den Tälern gibt es viele Kuhherden. Für jemanden aus Toulouse sind diese natürlich alle gleich, wenn sie auch manchmal andere Farben haben. Doch die meisten Herden sind Fleischtiere und dienten zur Mast von Kälbern oder Rindern. Wenige Bauern haben noch Milchkühe wie Elie in unserem Dorf. Im Nachbarort gibt es eine Käserei. Diese sammelt im Tal die Milch ein. Das ergibt natürlich nicht viel, und je nach Jahreszeit auch mal nichts. Dann füllt der Käser seinen Tank an einem der Sammel-LKWs der Großkonzerne auf. In Luzenac gibt es eine weitere Käserei, auch in Seix, seit kurzem auch in Engomer, die guten Käse herstellen. Doch fangen manche langsam an zu schummeln. Nicht, indem sie Milch zukaufen, sondern sich von den Fabriken die ‚Rohlinge‘ liefern lassen! Diese bringen sie in ihren Kellern zur Reife, kleben dann ihr traditionelles Etikett drauf, und fertig ist der ‚Pyrenäenkäse‘!

      Natürlich wissen die Einheimischen das. Doch nicht die Städter oder die Touristen, die auf der Suche nach Spezialitäten sind! Das Dumme ist nur, dass einer der Großkonzerne sich als den Eigentümer der Bezeichnung ‚Pyrenäen-Käse‘ ansieht, und den Kleinen verbieten will, diesen Namen zu benutzen! Außerdem werden all diese Industriekäse mit pasteurisierter Milch hergestellt. Wir Neos wollen nur Rohmilch verkäsen, denn nur darin sind alle spezifischen Geschmacksstoffe einer Gegend erhalten, und auch alle Vitamine, Enzyme und so viel mehr, von dem wir noch keine Ahnung haben! Unser größtes Lob ist, wenn einer der Einheimischen beim Probieren unserer Käse sagt: „So hat er früher bei uns auch geschmeckt, als die Eltern noch Käse gemacht haben!“

      In mehreren Dörfern unseres Tales ist früher Camembert hergestellt worden. Camembert liegt nicht in den Pyrenäen, das weiß sogar ein Toulouser. Doch denen, die ihn kauften, war das egal, denn sie wohnten weit weg, in Algerien. Von hier war es viel näher nach Afrika als von der Normandie, und findige Leute hatten so ein System entwickelt, das den hiesigen Milchbauern eine Existenzmöglichkeit gab, und durch die kürzeren Transportwege für den Konsumenten in Afrika ein optimales Produkt. Die Dauer des Transportes entsprach der Reifezeit der Käse. Doch Algerien ging ‚verloren‘, die Kolonialisten, die Pieds-noirs, kamen zurück ins Vaterland, der Pyrenäen-Camembert war aus der Mode, die Käsereien machten zu.

      Ebenfalls bedingt durch den immer mehr fallenden Butterpreis, machten die ‚Frutières‘, die Molkereien zu, in denen die Milch der Bauern entrahmt wurde. Die Bauern bekamen die Magermilch zurück,

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