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italienischen Komponisten darzustellen. Die ausführlichsten Äußerungen über Gesangssolisten und sonstige Interpreten sowie über Fragen der Theaterpraxis finden sich in der Korrespondenz Giuseppe Verdis mit seinen zahlreichen Briefpartnern. Diese Dokumente decken einen Zeitraum von rund sechzig Jahren ab und sind als völlig unbeschönigte Aussagen zu werten, da Verdi beim Verfassen seiner Briefe nicht mit deren Veröffentlichung liebäugelte, im Gegenteil. Doch auch gegen seinen Willen greift die Musikforschung zwangsläufig auf diese Dokumente zurück und hält es mit Johann Wolfgang von Goethe: „Von bedeutenden Männern nachgelassene Briefe haben immer einen großen Reiz für die Nachwelt, sie sind gleichsam die einzelnen Belege der großen Lebensrechnung, wovon Thaten und Schriften die vollen Hauptsummen darstellen“[59], ein Gedanke, dem sich auch Arnold Schönberg anschloß: „Erstens ist bei einem großen Menschen nichts Nebensache. Eigentlich ist jede seiner Tätigkeiten irgendwie produktiv. In diesem Sinne hätte ich sogar Mahler zusehen wollen, wie er eine Krawatte bindet, und hätte das interessanter gefunden und lehrreicher, als wie irgendeiner unserer Musikhofräte einen „heiligen Stoff“ komponiert.“[60]

      Ein weiterer unschätzbarer Vorteil bei Verdis Äußerungen über seine Interpreten liegt in dem Umstand, daß Tondokumente etlicher von ihm geschätzter Sänger, darunter solche von Uraufführungen, vorliegen, anhand derer man die Urteile des Komponisten und seiner Mitarbeiter mit der akustischen Realität vergleichen kann.

      Vorwegnehmend kann ganz allgemein gesagt werden, daß sich bei den Sängern über die Jahrhunderte hinweg kaum etwas geändert hat: Überragendes Talent, höchste Interpretationsintelligenz, fabelhaftes gesangstechnisches Können, grandiose stimmliche Voraussetzungen, wunderbare Musikalität, aber auch Eitelkeit, gepaart mit pomadiger Selbstgefälligkeit und dreister Selbstüberschatzung, intellektuelles und bildungsmäßiges Elend, musikalische und gesangstechnische Inkompetenz, dumpfes Unverständnis dem Beruf gegenüber, die Gesangsleistung beeinträchtigende Geldgier, alles ist schon dagewesen und war und ist wohl auch zum Teil als Reaktion der Betroffenen auf die Haltung der Gesellschaft ihnen gegenüber zu verstehen, von welcher sie entweder als Zieraffen vorgeführt oder als Götter angebetet wurden und werden. Kurz gesagt: Gut und schlecht gesungen wurde zu allen Zeiten.[61] Aber auch: Darstellungs-, Interpretations- und Gesangstalent hängt mit Intellekt und Bildung nur lose zusammen. Und eines darf man nicht vergessen: Singen kann man nicht wollen, singen muß man müssen. Soll heißen: Eine Sängerkarriere kann man nicht wie eine Beamtenkarriere anstreben und durchlaufen, sondern man muß, im Besitz der erforderlichen physischen Voraussetzungen, den ausgeprägten Drang, ja den unwiderstehlichen Zwang verspüren, sich auf diese Weise mitzuteilen und die beträchtlichen Risiken dieses Berufs auf sich zu nehmen.

      Der Anteil des Phonationsorgans an einer erfolgreichen Sängerkarriere ist relativ gering. Den überwiegenden Anteil haben Gesangstechnik, Musikalität, Rhythmusgefühl, Stil- und Sprachkenntnis, Sensibilität, Eloquenz, Phantasie, Interpretations- und Kommunikationstalent (Singen hat vor allem mit Kommunikation zu tun), Fleiß, Intelligenz, ständig weitergeführtes Studium (nicht nur reines Rollenstudium), Selbstkritik, die Bereitschaft, objektive, lobhudeleifreie Kritik von Personen des Vertrauens anzunehmen, hohe physische und psychische Belastbarkeit, gutes Gedächtnis, Reiselust inklusive der Bereitschaft, Wochen und Monate auch fern der Familie (in zumeist lauten Hotels) aus dem Koffer zu leben, die Fähigkeit zur richtigen Rollenauswahl, die Stärke, zu Angeboten auch öfter nein zu sagen, Konfliktbereitschaft, auch Glück. Kurzum: Ein Stimmbesitzer ist noch lange kein Sänger.

      Ein heute in der Sängerausbildung an führender Stelle tätiger berühmter Sänger hat die aktuelle Situation pointiert zusammengefaßt: „Non mancano le voci, mancano le teste.“ Das heißt, daß es nicht an Stimmen mangelt, wie oft behauptet wird, sondern am Verstand: an der Summe der erwähnten Voraussetzungen und der Bereitschaft, sich diese für die erfolgreiche Berufsausübung zu erarbeiten.

      Die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson (1918-2005) gründete einige Jahre vor ihrem Tod die Birgit Nilsson Foundation, die – ähnlich dem Nobelpreis oder dem Ernst von Siemens Musikpreis – einen hochdotierten Preis an Künstler verleiht, die auf ihren Gebieten Herausragendes geleistet haben. Der Präsident dieser Stiftung begründet das wie folgt: „Birgit Nilsson was very concerned with the general decline of cultural values, in particular with the decline of performance standards in classical music.“[62]

      Dieser von vielen Seiten angesprochene Verfall impliziert, daß den seit Jahrhunderten beschworenen Krisen der Gesangskunst in der Gegenwart eine Krise bei großen Teilen des Publikums und der Kritik gegenübersteht. Immer öfter wird auf diese reale Krise mit drastischen Worten in Fachpublikationen hingewiesen, wobei die zunehmend undifferenzierte Zustimmung des Publikums zu qualitativ stark schwankenden musikalischen und gesanglichen Darbietungen auf gesellschaftspolitische Faktoren zurückgeführt wird. (Angesichts unverständlicher Publikumsreaktionen sagte Jean Cocteau einmal: „Heute war das Publikum wieder untalentiert!“) Der Tenor dieser Aussagen ist, daß die in vielen westlichen Gesellschaften (auch im Musikbetrieb) verbreitete Leistungsfeindlichkeit[63], das schwindende Bildungsniveau und die immer schlechtere Ausbildung der Studenten an Massenuniversitäten, der immer stärker zurückgedrängte Musik- und Kunstunterricht an Schulen sowie die willfährige Anpassung vieler Bereiche an wenig gebildete bis bildungsfeindliche Bevölkerungsschichten (das letzte eklatante Beispiel aus einem anderen Bereich: die deutsche Rechtschreibreform[64]) zur unkritischen Akzeptanz eines objektiv inakzeptablen künstlerischen Niveaus[65] und, parallel dazu, zum Aufkommen rein kommerziell orientierter, dubioser, musikalisch völlig wertloser Erscheinungen wie Crossover führen, eine Art verlogen-verkitschter Schunkel-Klassik-Pop, dargeboten von exzellent gemanagten Instrumentalisten, denen bestenfalls ein Platz an einem hinteren Pult eines Provinzorchesters zustände, oder Sängern, die bei manchem Vorsingen für eine Choristenstelle abgewiesen würden. Das Begriffspaar „Qualität“ und „Erfolg“ sollte, wie man naiverweise anzunehmen geneigt ist, im Idealfall in einer untrennbaren Verbindung leben. In der Praxis ist dies allerdings immer seltener der Fall: Die Partner folgen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, denn es kommt immer öfter zu Trennungen und Scheidungen, wonach die beiden als unabhängige Singles auftreten. Während das Single „Qualität“ oft ein Mauernblümchendasein fristet und aggressiv beworben werden muß, um überhaupt wahrgenommen zu werden und überleben zu können, feiert das Single „Erfolg“ fröhliche Urständ, indem es ein luxuriöses Dasein, vielfach ohne jeglichen nachvollziehbaren Anlaß, führt. Die Folgen dieses Phänomens sind jedenfalls geeignet, die Situation nachhaltig zu verschlimmern[66], denn wer wollte es strikt wirtschaftlich agierenden Operndirektoren verübeln, daß sie folgerichtig reagieren und zweitklassige Künstler engagieren (die wesentlich billiger einzukaufen sind als ihre erstklassigen Kollegen), da sie doch die gleiche ungeteilte Zustimmung erhalten?

      All das sind Phänomene der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts. Wie zu sehen sein wird, war auch im 19. Jahrhundert – eine der interessantesten Epochen, was Musik in ihren verschiedensten Erscheinungsformen anlangt, und gleichzeitig eine Endzeit – auf diesem Gebiet nicht alles Gold, was da glänzte, doch stand, auch abseits herausragender Erscheinungen wie Verdi, das handwerkliche Können bei produzierenden wie reproduzierenden Künstlern auf hohem Niveau. Aus diesem Grund schien es mir gerechtfertigt, den Protagonisten des vorliegenden Buches, wie auch seine Mitarbeiter und Interpreten, so oft wie möglich in erster Person zu Wort kommen zu lassen.

      Wie zu sehen sein wird, war Verdi kein Theoretiker der Musikästhetik, sondern ein genialer Theaterpraktiker („Im Theater ist lang ein Synonym für langweilig, und Langeweile ist das schlimmste aller Übel“[67]), der es vorzog, Musik zu schreiben und sie für sich selbst sprechen zu lassen anstatt sich verbal über sie zu verbreitern. Er gehörte darüber hinaus zu den wenigen Komponisten, die die eigenen Arbeiten nicht für die besten von allen hielten und die imstande waren, ihre Werke zumeist richtig einzuschätzen, und nicht zu jener großen Gruppe, die von Musik nicht mehr verstehen als ein Vogel von der Ornithologie.[68] Die Bühnenwerke dieses populärsten Opernkomponisten der Musikgeschichte sprachen und sprechen das Publikum unvermittelt an, kein Zuhörer befand sich bei Verdi je in dem von Joseph Hellmesberger[69] in Wiener Dialekt formulierten Dilemma: „Was geberten die då drunt jetzt drum, wånn’s wisserten, wia’s ihna gfoi’n håt.“[70]

      Um Verdis Größe zu verdeutlichen,

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