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King Lear oder Byrons The Corsair. Beide Opern waren, wie erinnerlich, schon im Frühjahr 1843 im Gespräch, als Verdi für das Teatro La Fenice dann doch letzendlich den Ernani komponierte.

      Doch Verdi ist nicht in der Lage, Reisen zu unternehmen. Er sagt seine Verpflichtungen ab, läßt sechs Monate lang tatsächlich alle Arbeit liegen, nimmt seine Arzneien, unternimmt lange Spaziergänge, macht im Sommer eine Trinkkur in Recoaro und geht seiner Umgebung, darunter dem treuen Muzio, mit abwechselnden Anfällen von Lethargie, Langeweile und Gereiztheit auf die Nerven.

      Ende des Sommers kehren Verdis Lebensgeister langsam wieder zurück und er beginnt wieder, sich mit Verträgen, Libretti, Impresari und Sängern zu beschäftigen. Da er keine langen und anstrengenden Reisen unternehmen will, ändert er seine Pläne: Neapel entläßt ihn auf seinen Wunsch aus dem Vertrag, London und Paris stimmen Verschiebungen der jeweiligen Projekte zu.

      Im Frühjahr 1846 hatte Alessandro Lanari, der Impresario des Teatro della Pergola in Florenz, bei Verdi um eine neue Oper für die Karnevalssaison angefragt. Schon bei den ersten Kontakten kommt man überein, daß Verdi einen „phantastischen“ Stoff[281] vertonen wird: Darunter versteht der Komponist etwas außerhalb der Norm der Opernstoffe Liegendes, etwas Seltsames, einen Stoff, der mehr Traumhaftes als Reales bietet. Sein Freund Andrea Maffei, der ihn nach Recoaro begleitet hat, und der seit 1827 an einer Übersetzung der Schillerschen Theaterstücke arbeitet, beschäftigt sich gerade mit den Räubern und spricht mit Verdi über diese Arbeit. Die Vorstellung, dieses Drama als Grundlage für ein Opernlibretto zu verwenden, fasziniert Verdi, doch wie immer zieht er mehrere Projekte in Erwägung.

      Der signor Maestro beschäftigt sich mit dem Libretto für Florenz. Er hat drei Stoffe zur Wahl[282]: L’avola[283], I masnadieri[284] und Macbeth. – Wenn er Fraschini bekommt, dann macht er L’avola; gibt man ihm jedoch, wie es aussieht, Moriani anstelle von Fraschini, dann macht er Macbeth und benötigt dann keinen stimmstarken Tenor mehr. Wenn Moriani noch über seine stimmlichen Mittel verfügte, dann könnte man ihm eine Hauptrolle anvertrauen, doch es heißt, er sei ausgesungen. Der Maestro wird ihn sich jedoch in Bergamo anhören und dann eine Entscheidung treffen.[285]

      O

      bwohl der Tenor Napoleone Moriani (Florenz 1806-1878) kein Uraufführungssänger einer Verdi-Oper war, erlangte er Bedeutung als Verdi-Interpret. Er debutierte nach einem Jusstudium 1832 in einem Konzert an der Mailänder Scala, 1833 in Pavia auf der Bühne (Gli arabi nelle Gallie von Pacini) und wurde rasch als Interpret von Opern von Donizetti berühmt, der für ihn den Enrico in Maria de Rudenz (1838) und den Carlo in Linda di Chamounix (1842) komponierte. Nach Lehrjahren in Padua, Parma, Genua, Turin, Neapel und Bologna wurde er bereits 1836 in Florenz in der italienischen Erstaufführung von Donizettis Marin Faliero besetzt. In der Stagione 1839-40 trat er an der Mailänder Scala auf (Lucia di Lammermoor). Er sang von 1840 bis 1844 häufig in Wien (wo er 1841 vom Kaiser zum Kammersänger ernannt wurde) und war zwischen 1844 und 1846 oft in London (wo er in der Erstaufführung des Ernani auftrat) und Madrid (hier wurde er mit dem Isabellenorden ausgezeichnet) zu Gast. 1843 sang er unter der Leitung von Richard Wagner an der Dresdener Hofoper. Felix Mendelssohn Bartholdy nannte ihn „mein Lieblingstenor Moriani“.

      Abb. 26 – Napoleone Moriani (1806-1878), der tenore della bella morte, Felix Mendelssohn Bartholdys Lieblingstenor.

      Er hatte, auch als Verdi-Interpret, eine glanzvolle Karriere an den großen Opernhäusern in Mailand, Dresden, Prag, Budapest, Berlin, London, Paris, Lissabon, Barcelona. Für die Wiederaufnahme des Attila in Mailand 1847 komponierte Verdi für ihn eine alternative Arie („O dolore! ed io vivea“) für den letzten Akt. Seine weiteren Verdi-Rollen waren der Oronte in I lombardi, der Jacopo Foscari in I due Foscari sowie der Ernani. Sein Repertoire bestand hauptsächlich aus Werken von Donizetti, Bellini, Mercadante, Pacini.

      Morianis Stimme vereinte einen schönen, als „süß“ beschriebenen Ton mit großer dramatischer Intensität. Er wurde in Italien als „tenore della bella morte“ bezeichnet, als der Tenor mit den schönen Sterbeszenen, die besonders in Donizettis Lucia di Lammermoor[286] und Pia de’ Tolomei beeindruckten und mehrere Komponisten dazu inspirierten, lange, effektvolle Sterbeszenen für ihn zu komponieren: so Nicola Vaccaj in La sposa di Messina (1839) und Federico Ricci in Luigi Rolla (1841). Er trat in mehreren Uraufführungen auf: in Mercadantes Le due illustri rivali, in Donizettis Maria de Rudenz (beide Venedig 1838), in Otto Nicolais Enrico II. (Triest 1839), in Federico Riccis Luigi Rolla (Florenz 1841, mit Giuseppina Strepponi), in Giovanni Pacinis Il duca d’Alba (Neapel 1842), in Donizettis Linda di Chamounix (Wien 1842) sowie in Achille Peris Dirce (Reggio Emilia 1843).

      1847 stellten sich erste stimmliche Schwierigkeiten ein, seine letzten wichtigen Engagements waren in der Saison 1849-50 in Paris (Théâtre Italien) und in Madrid. Danach mußte er seine Karriere beenden. Der für seine exzessiven Urteile bekannte englische Kritiker Henry Chorley befand: „[...] his voice was superb and richly strong, with tones full of expression as well as force [...], but either he was led away by bad taste or fashion into drawling and bawling, or he had never been thoroughly trained.“ Ab 1851 war Moriani als Gesangspädagoge in Florenz tätig.

      Verdis Präferenz für Shakespeare

      W

      ährend die Avola und Macbeth dem „phantastischen“ Genre zugerechnet werden können, gehören die Masnadieri nicht dazu. Für die Avola wie für die Masnadieri würde Verdi einen guten Tenor (für die Partien des Jaromir bzw. Karl Moor) benötigen. Als sich herausstellt, daß Fraschini nicht frei und Moriani, den sich Verdi in Bergamo angehört hat, in miserabler stimmlicher Verfassung ist, verlagert Verdi seine Aufmerksamkeit von der Avola, die er bereits ad acta gelegt hat, und den Masnadieri, an denen er bereits zu arbeiten begonnen hat, auf Macbeth. Zwischen den Zeilen seiner Korrespondenz ist aber schon zu lesen, daß sein Interesse vor allem dem Macbeth gilt, auch wenn er es strikt vermeidet, den Titel der Oper zu nennen.

      Die Zeit drängt und man muß eine Entscheidung treffen: um eine Arbeit von einiger Bedeutung zu machen, genügen die verbleibenden Monate gerade noch. Nun, wenn Du den Vertrag mit Fraschini ausgehandelt und abgemacht hast, so ist das ausgezeichnet, und ich werde dann eines von den Sujets, die ich Dir angedeutet habe, machen. Falls Du Fraschini nicht fest engagiert hast, möchte ich kein Risiko mit anderen Tenören eingehen und mir ihretwegen Sorgen machen müssen: aus diesem Grund habe ich ein Sujet im Auge, bei dem man auf den Tenor verzichten kann. In diesem Fall würde ich unbedingt die zwei Künstler benötigen, die ich Dir hier nenne: die Loewe und Varesi. Varesi ist heute der einzige Künstler in Italien, der die Partie, die ich im Sinne habe, ausführen kann, und zwar wegen seiner Art zu singen, wegen seines Ausdrucks und auch wegen seiner Erscheinung. Alle anderen Künstler, auch die, die besser sind als er, könnten diese Rolle nicht so ausführen, wie ich es will, ohne Ferri[287] seine Meriten abzusprechen, der eine schönere Erscheinung und eine schönere Stimme hat, und, wenn Du so willst, auch der bessere Sänger ist, der aber in dieser Rolle mit Sicherheit nicht die Wirkung erzielen könnte wie Varesi. Versuche also, einen Tausch zu machen und Ferri abzutreten, und damit ist alles geregelt. Das Sujet ist weder politisch, noch religiös: es ist phantastisch. Entscheide also: entweder nimmst Du Fraschini (und in diesem Fall würde mir die Barbieri[288] besser passen) oder, wenn Du Fraschini nicht bekommen kannst, unternimm alles Menschenmögliche, um Varesi zu engagieren. Wenn Du meinst, werde ich, um die Dinge zu vereinfachen, diese Angelegenheit selbst mit Varesi aushandeln, sofern Du mich dazu ermächtigst. Der Rest der Truppe kann aus guten zweiten Sängern zusammengesetzt sein, aber ich brauche einen sehr guten Chor ...; doch darüber reden wir später. Antworte mir sofort postwendend und sieh zu, daß alle meine Bemühungen und Vorarbeiten für diese vermaledeiten Sujets nicht fruchtlos bleiben.[289]

      Es liegt also auf der Hand, daß Verdis Präferenz dem Shakespeare-Stoff gilt, für den er vor allem eine erstklassige ausdrucksstarke Sopranistin

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