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geherrscht. Kunst, Reli­gion und Wissenschaft wurden gemeinsam gefördert. Vorbildlich für ganz Europa waren Handwerk, Schulen und Bibliotheken. Ein Netz von guten Straßen und Wasserleitungen durch­zog das Land. Im christlichen Europa kannte man damals solchen Luxus kaum. Das Emirat von Granada hing zwar poli­tisch und wirtschaftlich weitgehend von Kastilien ab. Doch hier fand die viel­seitig verflochtene maurische Kultur auf europäischem Boden ihre letzte späte Blüte. Die Katholi­schen Könige brachten mit der Reconquista diese Entwicklung mit dem Vorsatz zu Fall, ganz Spanien unter die Herrschaft des Christentums bringen zu wollen. Vielleicht nicht zufällig im gleichen Jahr 1492, als sich Kolumbus nach Amerika aufmachte, fiel diese letzte Bastion der Mauren auf der iberi­schen Halbinsel.

      Im anschließend erlassenen Alhambra-Edikt befahlen die Katholischen Könige die Vertreibung aller nicht bekehrungswilligen Juden aus dem Königreich und bald danach aus allen spanischen Besitzun­gen. Die nun folgende Schreckensherrschaft der christlichen Inquisition brachte Juden und sogenannten Ketzern lange Zeit grausame Verfolgung. Viele, viele Menschen wurden lebendig auf Scheiterhaufen ver­brannt. Ebenso landeten arabische Bücher im Feuer. Fundamentalistische Christen zwangen die zu jener Zeit vergleichsweise liberale islamische Bevölkerung brutal, ihren Glauben anzunehmen.

      Der Anblick dieser eindrucksvollen Festung jenseits des Tales berührte Igor zutiefst. Was war das? Ging es um die Festung oder um ihn selbst? Er konnte keine schnelle Antwort geben. Sollte das über­haupt unmöglich sein? Weitere Fragen purzelten wie ein Wasserfall über ihn. Um was ging es bei der Festung? Um Glauben, um Macht, um Schönheit, um den Bergvorsprung, auf dem sie lag? Ging es um seine eigenen Gedanken, um seine Gefühle, um seine eigene „Power“, oder „ganz einfach“ darum, in das dazwischen liegende Tal selbst hinunter und auf der anderen Seite wieder steil hinauf zu steigen, und dies bei erheblicher Hitze? Diente eine solche Festung der Verteidigung gegen äußere Einflüsse, oder ermöglichte sie in ihrem Inneren vor allem das Entstehen von etwas Neuem? Warum hatten die Verteidiger der Festung letztendlich verloren, hatten die Eroberer wirklich gesiegt?

      Wieder kam ihm das gerade zuvor Gelesene in den Sinn. Kunst, Reli­gion und Wissenschaft wurden gemeinsam gefördert. Er merkte, wie sehr ihm diese Vorstellung gefiel. War das nicht auch während seines eigenen Lebens immer mehr eine Leitlinie geworden? Aber warum in einer Festung? Und warum war dieser Plan scheinbar gescheitert? Auch heute gab es nur recht wenige Menschen, denen die gemeinsame Beschäftigung mit Kunst, Reli­gion und Wissenschaften wichtig erschien. War das wirklich unwichtig?

      Wer sich mit Kunst beschäftigt, dem oder derjenigen sind religiöse Auseinandersetzungen meist zu verstiegen, zu kompliziert für ein normales menschliches Hirn. Bei „wirklicher“ Kunst,- was auch immer damit gemeint sein mag,- geht es aber doch gewiss nicht nur um den Kopf. Die Gefühle spielen eine vielleicht ähnlich große Rolle. Kunst hat auch eine Menge mit Sex und Power zu tun. Und letztendlich muss sie ein gekonntes „Hand“werk sein, hat mit der eigenen schaffenden Aktivität erheblichen Zusammenhang, zum Beispiel dem, was die eigenen Hände tun. Doch was halten denn religiöse Menschen und Wissenschaftler von Kunst? Oh ja, beide sagen, dass sie Kunst sehr schätzen, aber sie sei ihnen persönlich zu schwierig, zu komplex, um sich aktiv damit zu befassen. Es herrscht Skepsis gegen Kunstakademien, aber nicht gegen Kunst.

      Und wie steht es mit Menschen, die in religiöse Bereiche einzudringen versuchen? Bei „wirklicher“ Religion,- hier sagt wohl das Wort Religiosität eigentlich besser, was gemeint ist,- geht es doch genauso wenig nur um den Kopf. Die Gefühle spielen eine vielleicht ähnlich große Rolle. Auch Reli­gion,- und wenn das noch so oft geleugnet werden mag,- hat eine Menge mit Sex und Power zu tun. Und auch Religion hängt durchaus von eigener „Aktivität“ ab. Darf man Suche nach Transzendenz, Meditation und selbst Liebe nicht so bezeichnen?

      Wenn wir aber nach der Einstellung derjenigen fragen, die einen ganz anderen Weg für ihre Suche eingeschlagen haben, was halten Wissenschaftler von Religion? Wenn hier von Wissenschaftlern geredet wird, sind entsprechend dem englischen Sprachgebrauch des Wortes sciences damit im wesentlichen die Naturwissenschaftler gemeint. Anhänger des weiten Bereichs der Geisteswissenschaften und insbesondere der Literatur sollen sich nicht vergessen fühlen. Alle Belletristik, also das, was die eigentliche Literatur genannt wird, sei schlicht und einfach der Kunst zugeordnet, die Sachbücher aber dem wissenschaftlichen Bereich. Ähnlich beschäftigen sich viele Geisteswissenschaftler vor allem mit Themen, die eher der Kunst zuzurechnen sind. Doch in anderen Bereichen, vor allem der modernen Anthropologie, kommen mehr und mehr Naturwissenschaften zum Einsatz.

      Die häufig gehörte Antwort auf die gestellte Frage klingt verblüffend ähnlich wie zuvor bei den Künstlern. Religiosität bedeutet den Naturwissenschaftlern durchaus etwas. Aber religiöse Fragen seien ihnen zu kompli­ziert, nicht nachvollziehbar, vor allem nicht experimentell nachprüfbar. Solch ver­schiedene Menschen wie Künst­ler und Wissen­schaftler scheinen sich jedoch im Grunde in einem gewiss wichtigen Punkt völlig einig zu sein, nämlich einer tiefen Skepsis gegenüber religiösen Organisationen, aber nicht gegenüber eigent­licher Religiosität. Jene nur vage definierbare „eigentliche“ Religiosität könnten wir wohl auch als primäre Religiosität bezeichnen.

      Kunst, Religion und Wissenschaften quasi als gleichwertige Basisbereiche bei der Suche nach einem gesamten Weltverständnis anzuerkennen, das scheint aber vor allem großen Widerspruch bei vielen Wissenschaftlern zu finden. Woher rührt dieser Protest? Ist bei ihnen eine Entwicklung noch nicht gelaufen, die die beiden ande­ren Gebiete längst durchgemacht haben? Selbstsicher stellen sie fest, Naturwissenschaften seien nun einmal für den Kopf sehr schwierig, erfordern ein langes Studium, welches Künstler und religiöse Suchende meist nicht absolviert haben. Und mit Gefühlen scheinen sie wenig zu tun zu haben, ebenso wenig mit Sex und Power, falls diese Bereiche nicht gerade spezielle Untersuchungsgebiete sind. Am ehesten kommt man noch im Bereich der Aktivitäten zu einer Anerkennung. Auch Naturwissenschaften kommen durch die verlangte Bestätigung von Theorien durch Experi­mente nicht ohne handwerkliche,- pardon: technisch genannte,- Aktivitäten und Fähigkeiten aus.

      Haben Naturwissenschaften wirklich nichts mit Gefühlen und mit Sex und Power zu tun? Igor erinnerte sich beim Anblick der Alhambra an einen Besuch der gewaltigen Teilchen-Beschleuniger des CERN in Genf. Welche Gefühlsausbrüche hatte er dort beim Bekanntwerden von neuen Forschungsergebnissen miterlebt! Und welches Gefühl von Macht schien die dortige monströse Anlage den Wissenschaftlern zu geben! War jene riesige unterirdische Maschine nicht das moderne Äquivalent einer solchen mittelalterlichen Festung? Nein, so einfach konnte dieser Vergleich nicht gehalten werden. Denn Grundlagenforschung und militärische Verteidigung sind natürlich zwei grundverschiedene Dinge. Trotzdem schien ihm etwas sehr Wahres an diesem Vergleich zu sein. Diente jene moderne Anlage von solch gewaltigen Dimensionen, die unglaubliche finanzielle Mittel erforderte, nicht auch der Verteidigung von etwas? Ja, was sollte dort denn verteidigt werden?

      Ließen sich etwa Forschung und jene wohl gewiss nicht militärische Verteidigung gar nicht so gut voneinander trennen, wie allgemein geglaubt wurde? Im Moment konnte Igor sich keinen weiteren Reim aus seinen Gedanken machen. War das nicht nur ein Gedankending? Wieder kam ihm in den Sinn, dass man in der Alhambra Kunst, Religion und Wissenschaften gemeinsam fördern wollte. Hatte etwa jede der drei Disziplinen zu diesem Thema einen Beitrag zu geben?

      Alle drei Disziplinen ermöglichen diese Suche, nur mit verschiedenen Mitteln. So müssen zwischen ihnen auch einigende Elemente bestehen. Sie müssen im Prinzip zu den gleichen Ergebnissen führen. Diese Idee scheint auf den ersten Blick völlig fernliegend zu sein, ist es aber vielleicht gar nicht.

      Jene primäre Religiosität gibt uns ein Gefühl dafür, dass die Welt eine einfache Basis haben muss, die sich aber wohl nicht mit den uns antrainierten Denkoperationen erfassen lässt. Welche dieser erlernten Denkweisen aber eher hinderlich als wegweisend sind, darüber können wir zunächst nichts sagen. Einfachheit scheint aber auch heute noch und besonders ansichtlich der immer weiter zunehmenden Komplexität der uns umgebenden Welt ein wichtiges Postulat zu sein. Wie ohnmächtig steht die Mehrzahl der Men­schen den komplizierten Aussagen der modernen For­schung gegenüber,- ganz besonders, wenn es um die Grundlagen unserer Welt, die Kosmologie, geht.

      Wissenschaft sollte nicht nur einfach vermittelbar sein, wie schon vor vielen hundert Jahren mit dem Prinzip von Occam's razor gefordert

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