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und die Dunkelheit überraschte sie, ehe der Berggipfel in Sicht kam. »Wenn wir nur morgen dahingelangen, hat alle Sorge ein Ende,« dachte der Junge und bohrte sich tief ins Stroh hinein, um wärmer zu liegen.

      Die Kuh hatte während der ganzen Zeit in ihrem Stand rumort. Jetzt begann sie plötzlich mit dem Jungen zu reden: »Ich meine, einer von denen, die hier hereinkamen, sagte, er sei ein Kobold. Verhält sich das so, dann muß er sich wohl darauf verstehen, eine Kuh zu besorgen.« – »Was fehlt dir denn?« fragte der Junge. – »Mir fehlt alles mögliche,« sagte die Kuh. »Ich bin weder gemolken noch ordentlich besorgt. Ich habe kein Nachtfutter in meine Krippe bekommen, und es ist nicht unter mir ausgemistet worden. In der Dämmerstunde kam die Hausfrau hier herein wie gewöhnlich, um alles bei mir in Ordnung zu bringen, aber sie war so krank, daß sie gleich wieder gehen mußte, und sie ist nicht wiedergekommen.« – »Es ist traurig, daß ich so klein bin und keine Kräfte habe,« sagte der Junge. »Ich glaube nicht, daß ich imstande bin, dir zu helfen.« – »Du brauchst mir nicht einzubilden, daß du keine Kräfte hast, weil du klein bist,« sagte die Kuh. »Alle Kobolde, von denen ich habe erzählen hören, sind so stark gewesen, daß sie ein ganzes Fuder Heu ziehen und eine Kuh mit einem Schlag ihrer geballten Faust töten konnten.« Der Junge konnte es nicht lassen, darüber zu lachen. »Das waren wohl Kobolde anderer Art als ich,« sagte er. »Aber ich will deine Halskette losmachen und dir die Tür öffnen, dann kannst du hinausgehen und aus einer der Wasserpfützen draußen auf dem Hof trinken, und dann will ich versuchen, auf den Heuboden hinaufzuklettern und dir etwas Heu in die Krippe hinabzuwerfen.« – »Hm, das ist ja immer eine Hilfe,« meinte die Kuh.

      Der Junge tat, wie er gesagt hatte, und als die Kuh mit der vollen Krippe vor sich dastand, dachte er, daß er nun wohl endlich schlafen dürfe. Aber kaum war er wieder ins Bett gekrochen, als sie von neuem mit ihm zu reden begann:

      »Du wirst gewiß ganz ärgerlich auf mich, wenn ich dich nun noch um etwas bitte,« sagte die Kuh. – »Nein, wenn es nur etwas ist, was ich kann,« erwiderte der Junge. – »Dann möchte ich dich bitten, ob du nicht in das Haus hier gerade gegenüber hineingehen und dich danach umsehen wolltest, wie es meiner Herrin geht. Ich fürchte, daß ihr ein Unglück zugestoßen ist.« – »Nein, das kann ich nicht,« sagte der Junge. »Ich kann keinem Menschen vor Augen kommen.« – »Du wirst dich doch nicht vor einer alten kranken Frau fürchten?« sagte die Kuh. »Du brauchst auch gar nicht ins Haus hineinzugehen. Stelle dich nur draußen vor die Tür und guck durch den Türspalt!« – »Wenn du nichts weiter von mir verlangst, so muß ich es wohl tun,« sagte der Junge.

      Damit öffnete er die Stalltür und ging auf den Hof hinaus. Es war eine schreckliche Nacht, in die er hinauskam. Da waren weder Mond noch Sterne am Himmel. Der Sturm heulte und der Regen strömte hernieder, Das schlimmste aber war, daß da sieben große Eulen in einer Reihe auf dem Dachrücken des Wohnhauses saßen. Es war schrecklich, sie nur anzuhören, wie sie da so saßen und über das Wetter heulten, noch schlimmer aber war es, daran zu denken, daß, wenn nur eine einzige ihn erblickte, es mit ihm aus war.

      »Der Ärmste, der so klein ist!« dachte der Junge, als er auf den Hofplatz hinauslief. Und er hatte wohl Grund, das zu sagen. Zweimal wurde er umgeweht, ehe er nach dem Wohnhause hinüberkam, und einmal fegte ihn der Wind in eine Wasserpfütze hinein, die so tief war, daß er fast ertrunken wäre. Aber er kam doch hinüber.

      Er kletterte ein paar Stufen hinauf, kroch über eine Türschwelle und gelangte auf eine Diele. Die Stubentür war geschlossen, aber unten in der einen Ecke war ein großes Stück herausgenommen, damit die Katze aus und ein gehen konnte. Es war also leicht genug für den Jungen, nachzusehen, wie es da drinnen stand.

      Kaum hatte er einen Blick in die Stube geworfen, als er zusammenzuckte und den Kopf zurückzog. Auf dem Fußboden lag eine alte, grauhaarige Frau lang ausgestreckt. Sie rührte sich nicht und stöhnte auch nicht, und ihr Gesicht schimmerte wunderlich weiß. Es sah so aus, als wenn ein unsichtbarer Mond sein Licht darauf werfe.

      Der Junge mußte daran denken, daß, als sein Großvater gestorben war, dessen Gesicht auch so wunderlich weiß gewesen war. Und er begriff, daß die alte Frau, die da in der Stube auf dem Fußboden lag, tot war. Der Tod hatte sie offenbar überrascht, so daß sie sich nicht einmal auf ihr Bett hatte legen können.

      Er wurde so schrecklich bange, als es ihm klar geworden war, daß er sich mitten in der Nacht allein mit einer Leiche befand. Über Hals und Kopf stürzte er die Treppe hinab und wieder in den Kuhstall hinein.

      Als er der Kuh erzählte, was er in der Stube gesehen hatte, hielt sie mit dem Fressen inne. »Ja, dann ist meine Herrin tot,« sagte sie. »Dann ist es wohl auch mit mir bald vorbei.« – »Es wird sich wohl jemand finden, der sich deiner annimmt,« sagte der Junge tröstend. – »Ach, du weißt ja nicht,« sagte die Kuh, »daß ich schon doppelt so alt bin, wie eine Kuh zu sein pflegt, ehe sie auf die Schlachtbank kommt. Aber ich mache mir auch nichts mehr daraus zu leben, wenn die da drinnen nicht mehr kommen und für mich sorgen kann.«

      Dann schwieg sie eine Weile, aber der Junge konnte wohl merken, daß sie weder schlief noch aß. Es währte denn auch nicht lange, bis sie wieder zu sprechen begann: »Liegt sie an der Erde?« fragte sie. – »Ja, das tut sie,« antwortete der Junge. – »Sie hatte die Gewohnheit, hierher in den Kuhstall zu kommen und mit mir über alles zu reden, was sie bekümmerte. Ich verstand, was sie sagte, wenn ich ihr auch nicht antworten konnte. In den letzten Tagen ging sie umher und sprach davon, daß sie befürchte, es würde niemand bei ihr sein, wenn sie stürbe. Sie ängstigte sich, daß niemand ihr die Augen zudrücken und ihr die Hände kreuzweise über die Brust legen würde, wenn sie tot sei. Du würdest wohl nicht hineingehen und das tun?« Der Junge besann sich. Er erinnerte sich noch sehr wohl, wie sein Großvater gestorben war; da hatte seine Mutter ihn mit großer Sorgfalt zur Ruhe gebettet. Er wußte, daß dies etwas war, was geschehen mußte. Aber auf der andern Seite wußte er auch, daß er nicht den Mut hatte, in dieser schrecklichen Nacht zu der Toten hineinzugehen. Er sagte nicht nein, rührte sich aber auch nicht vom Fleck.

      Die alte Kuh schwieg eine Weile, als warte sie auf Antwort. Als der Knabe aber nichts sagte, wiederholte sie ihre Bitte nicht. Sie begann im Gegenteil, mit ihm von ihrer Herrin zu sprechen.

      Darüber war viel zu sagen. Zuerst erzählte sie ihm von allen den Kindern, die sie großgemacht hatte. Die kamen ja jeden Tag in den Stall, und im Sommer hüteten sie die Kühe auf dem Moor und auf den Wiesen, so daß die alte Kuh gut von ihnen Bescheid wußte. Es waren alles ausgezeichnete Kinder, fleißig und fröhlich. Eine Kuh wußte recht gut, wie ihre Hüter beschaffen sind.

      Und auch von dem Gehöft war viel zu erzählen. Das war nicht immer so verfallen gewesen wie jetzt. Es gehörte viel Land dazu, wenn auch der größte Teil sumpfig und steinig war. Kornfelder waren da nicht viele, dahingegen war da überall ausgezeichnetes Weideland, Es gab Zeiten, wo in jedem Stand im Kuhstall eine Kuh angekettet war, und wo der Ochsenstall, der jetzt ganz leer stand, voller Ochsen gewesen. Und damals herrschte Freude und Frohsinn in Stube und Stall. Wenn die Hausfrau die Stalltür öffnete, sang und trällerte sie, und alle Kühe brüllten vor Freude, wenn sie sie kommen hörten.

      Aber der Hausherr starb, als die Kinder noch so klein waren, daß sie noch keinen Nutzen schaffen konnten, und die Hausfrau mußte alle Arbeit und Fürsorge übernehmen. Sie war stark wie ein Mann und sie pflügte und erntete. Am Abend, wenn sie in den Stall kam, um zu melken, war sie manchmal so müde, daß sie weinte. Aber wenn sie an ihre Kinder dachte, wurde sie wieder fröhlich. Dann trocknete sie die Tränen und sagte: »Es macht nichts, ich werde schon wieder gute Tage bekommen, wenn meine Kinder erst erwachsen sind. Ja, wenn die erst erwachsen sind!«

      Aber sobald die Kinder erwachsen waren, befiel diese eine wunderliche Sehnsucht. Sie hatten keine Ruhe mehr daheim, sie reisten nach fremden Ländern. Ihre Mutter bekam niemals Hilfe von ihnen. Ein paar von den Kindern waren schon verheiratet, als sie fortreisten, und sie ließen ihre kleinen Kinder in dem alten Heim zurück. Und nun liefen diese Kinder mit der Hausfrau in den Kuhstall, genau so, wie es ihre eigenen getan hatten. Sie hüteten die Kühe und es waren gute und tüchtige Kinder. Und am Abend, wenn die Großmutter so müde war, daß sie mitten beim Melken einschlief, konnte sie sich mit dem Gedanken an sie ermuntern und neuen Mut schaffen: »Ich werde schon gute Tage bekommen,«

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