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fragte Lotta.

      Die junge Frau stand auf.

      »Wir wollen zu Bett gehen, Lotta,« erwiderte sie mit einem kurzen, bitteren Lachen. »Es geht schon auf elf Uhr, und du mußt morgen zeitig heraus und deine Tiere füttern.«

      Am nächsten Tag lag Sigrun zu Bett und klagte über Halsschmerzen. Kein Mensch außer Lotta durfte zu ihr hereinkommen. Auch bat sie Lotta, ihren Mann darauf vorzubereiten, daß sie lange krank sein werde.

      Sie blieb dann den ganzen Tag liegen. Erst nach dem Abendessen, als die Hausbewohner zur Ruhe gegangen waren, stand sie auf, kleidete sich an und kam zu Lotta ins Brauhaus heraus.

      »Fühlst du dich jetzt wohler?« fragte diese.

      Sigrun lächelte. –»Ja, Lotta, viel wohler,« antwortete sie.

      Lotta hatte einen schweren Tag hinter sich. Es war ihr allmählich ein Licht aufgegangen, daß Sigrun ihr Heim verlassen wollte. Und sie hatte sich seitdem unausgesetzt besonnen, wie sie dieses Unglück verhindern könnte.

      »Ich habe mir heute etwas ausgedacht,« sagte sie jetzt. »Ich meine, du solltest über Weihnachten heim nach Stenbroträsk fahren. Das wäre viel besser und richtiger, als hier im Brauhaus zu bleiben.«

      Sigrun schien nicht ganz abgeneigt zu sein. Zuerst sagte sie nein, aber als Lotta von dem herrlichen Weihnachtsfest in der Propstei zu sprechen begann, war ihr, als sei dieser Vorschlag doch des Überlegens wert.

      Auch an diesem Abend wurde es spät. Sigrun saß still da und grübelte über etwas nach, über das sie sich anscheinend nicht recht klar werden konnte, und Lotta wagte nicht, sie zu stören.

      Als es einige Minuten nach elf Uhr war, wurde plötzlich die Tür aufgerissen, eine Frau stürzte herein, machte noch ein paar Schritte und sank dann auf den Fußboden, wo sie mit ausgestreckten Händen auf den Knieen liegen blieb.

      »Wenn hier Menschen wohnen, dann helft mir!« rief sie. »Ich bin so krank, so krank! Ich habe Feuer im Körper.«

      Jetzt war es mit Sigruns Müdigkeit und Kraftlosigkeit vorbei. Im nächsten Augenblick stand sie neben der Frau, half ihr wieder auf die Beine, legte den Arm um sie und stützte sie:

      »Kommt mit mir!« sagte sie mit sanfter Stimme. »Kommt um alles in der Welt mit mir zur Lampe hin, damit ich sehe, was Euch fehlt.«

      Zitternd vor Kälte und von heftigem Fieber geschüttelt stand die Fremde da. Sie konnte die Füße nicht heben und schleppte sich nur mühsam vorwärts. Und sie wäre wohl ein Mal ums andere umgefallen, wenn Sigrun sie nicht gehalten hätte.

      Als Sigrun die Kranke bis zur Lampe hingeführt hatte, sah sie, daß deren Gesicht ganz verschwollen und im höchsten Grad entstellt war. Ganz, ganz dicht bedeckt mit dunkeln, offenen Eiterbeulen! Und an den Händen war es ebenso.

      »Lotta!« rief Sigrun mit leiser, zitternder Stimme. »Lotta, was ist das?«

      Aber Lotta brauchte ihr nicht zu antworten. Denn Sigrun sah ebensogut wie sie, was für eine Krankheit das war.

      Sie wußte wohl auch, daß sie sich in Todesgefahr begab, wenn sie die arme Frau anrührte, aber sie riß ihr doch entschlossen die Kleider herunter, und während Lotta Hedman das Bett zurechtmachte und reine, kühle Bettücher ausbreitete, die dem heißen, schmerzenden Körper wohltun sollten, zog Sigrun der Kranken frische Wäsche an, und bald hatten sie die wimmernde und vor Frost zitternde Frau zu Bett gebracht.

      Dann saßen sie bei ihr und bemitleideten sie, während sie sich vor Schmerzen hin und her warf. Sigrun versuchte, ihr Wasser zu geben, aber sie schien nicht schlucken zu können. Dann kehrte die Pfarrfrau zu Lotta zurück, und nun blieben die beiden, angesichts der Macht dieser fürchterlichen Krankheit, Hand in Hand stumm und entsetzt nebeneinander sitzen.

      Nach einer Weile atmeten sie etwas auf. Die Kranke wurde zusehends ruhiger, sie schien weniger zu leiden.

      Und wieder nach einer Weile, kaum eine Stunde, nachdem sie zu ihnen hereingekommen war, wurde sie ganz still und rührte sich nicht mehr. Die keuchenden Atemzüge waren verstummt.

      Die beiden Freundinnen standen auf, legten die Tote im Bett zurecht und drückten sich alsdann, von dem Anblick dieser furchtbar entstellten Toten wie versteinert, von neuem dicht aneinander.

      »In einigen Tagen werde ich ebenso aussehen,« dachten sowohl Sigrun als auch Lotta. »Genau so wie diese Frau. Niemand wird mich kennen, niemand wird wissen, daß ich das bin.«

      »Wer mag sie sein?« fragte Lotta flüsternd, und Sigrun antwortete ebenso leise, es sei wohl eine arme Obdachlose.

      »Ihre Kleider sind nicht gerade schlecht,« sagte sie, »aber sehr abgetragen. Ihre Stiefel sind naß und ausgetreten. Sie muß lange im Schnee gewandert sein, die Krankheit hat sie dann auf der Landstraße überfallen, und sie ist in ihrem Fieberwahn auf den weiten öden Feldern umhergeirrt. Schließlich hat sie wohl der Schein unserer Lampe hierher geführt.«

      Wieder saßen sie schweigend da und schauten starr auf die Tote. Und da, da erwachte ein schrecklicher Gedanke in Sigrun.

      »Wenn nun ich hier läge!« dachte sie zuerst. »Warum sollte ich es nicht so einrichten können, daß ich es bin?« fuhr sie fort.

      Es war, als hätte Lotta Hedman ihre Gedanken gehört. Sie wendete sich plötzlich nach Sigrun um und schaute sie erschrocken und in atemloser Spannung an.

      »Niemand weiß, wer sie ist,« begann Sigrun mit einer Stimme, die nicht mehr leise und flüsternd, sondern fest und entschlossen klang. »Niemand weiß, woher sie gekommen ist, niemand hat sie zu uns hereingehen sehen. Sie ist eine arme Wandrerin ohne Haus und Heim.«

      Lotta sagte kein Wort. Sie wollte nicht verraten, was sie befürchtete. Wenn Sigrun nicht selbst an so etwas dachte, dann war es am besten, sie schwieg.

      »Das sind die schwarzen Pocken, das weißt du wohl,« fuhr Sigrun im selben Ton fort. »Jetzt liegt die Tote in meinem Bett, dieses und das ganze Brauhaus muß desinfiziert werden, und wir können nicht mehr hier bleiben. Wir müssen ins Wohnhaus übersiedeln. Es ist ja möglich, daß sie mich angesteckt hat, und daß ich an dieser Krankheit sterbe, und dann wäre ja alles gut. Aber es kann auch sein, daß ich am Leben bleiben muß, und dann bin ich wieder mitten in meinem alten Elend.«

      »Aber es wird gewiß jetzt besser nach all dem Schweren, das ihr durchgemacht habt,« sagte Lotta eifrig. »Dein Mann sieht sein Unrecht dir gegenüber ein. Er wird sich mehr zusammennehmen.«

      Sigrun stand auf, griff nach der Lampe und trug diese ins Brauhaus.

      »Wir wollen die hier nicht stören,« sagte sie.

      »Ihr habt noch viele schöne Jahre vor euch,« fuhr Lotta fort. »Sobald ihr nur ein bißchen älter seid, bekommt ihr Ruhe. Und er ist doch ein so prächtiger, tüchtiger, hervorragender Mann.«

      Sigrun stand im vollen Lampenschein, und Lotta Hedman sah sie staunend an. In wenigen Minuten war ihre ganze Schönheit wiedergekehrt, ja, mehr als das: strahlender Glanz, Hoheit und Macht lag über ihr. Unabweisbar überkam Lotta das Gefühl, Sigrun sei besser als andere Menschen, und sie müsse vor allen anderen beschützt und geliebt werden.

      »Lotta,« sagte Sigrun, »du verstehst doch wohl, daß du nur deshalb von Stenbroträsk hierher geschickt wurdest? Du solltest mir dabei helfen.«

      Diese Art Sprache verstand Lotta gut, aber sie ließ sich nicht so leicht fangen.

      »Es könnte sich auch anders verhalten,« bemerkte sie. »Vielleicht hab' ich hierher gemußt, um dich daran zu hindern.«

      Sigrun bat Lotta, sie möge sich in den einen Korbstuhl setzen; dann kniete sie vor ihr nieder, ergriff ihre Hände und sagte mit einer von tiefster Überzeugung durchdrungenen Stimme:

      »Ich habe Eduard einst gelobt, ihn nicht zu verlassen, bis der Tod uns scheidet. Und deswegen hab' ich ihn auch bis jetzt nicht verlassen. Und diese ganze Woche hindurch hab' ich Gott angefleht, mich lieber sterben zu lassen, als

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