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in den Sinn, nach der eine Ampel die Menschen hüben wie drüben jeweils für kurze Zeit zu einer Gemeinschaft mache: Man sehe sich an, warte gemeinsam, starre zusammen auf denselben Punkt, habe dasselbe Ziel. Wie bedauerlich, dass auf dieser Insel niemand in den Genuss dieser spontanen Gemeinschaften komme. Über diesen Gedanken Ullbrichts wisse er auch nur durch einen Zeitungsartikel über Kim Jong Un. In diesem wurde auch kurz dessen legendärer Großvater porträtiert. Kim Il Sung habe alle Bücher und Schriften des großen Ullbricht studiert, und deshalb sei auf sein Geheiß Pjöngjang zur Stadt mit den meisten Ampeln pro Einwohner geworden, obwohl dort kaum Autos führen. Alle Pjöngjangnesen hielten sich sklavisch an die Verkehrsregeln, auch wenn nur Steppenbusch vom Wind über die Straße gefegt würde. Gruppenbildende Maßnahmen, sozusagen. Kim Il Sung habe sich davon einen größeren Zusammenhalt in der Gesellschaft erhofft, mehr sozialistische Brüderlichkeit mit Kuss von Mund zu Mund unter Männern. Später habe er aber festgestellt, dass Gewehre für denselben Zusammenhalt sorgten. Die Asiaten würden in Sachen Ampeln zum Extremen neigen. Die Hauptstadt von Bhutan, jenes verwunschenen Landes im Himalaya und Shangri-Las der Reichen, sei die einzige Hauptstadt der Welt ohne Ampel. Den Tractatus socialistico-philosophicus von Ullbricht, der seine großartigsten Überlegungen zu Gott und der Welt beinhalte, habe er nie gelesen. Kim Il Sung, also der Vater von Kim Jong Il, dem Vater von Kim Jong Un, habe der DDR sämtliche gedruckten Exemplare noch vor der Veröffentlichung für Unsummen abgekauft, bis auf ein einziges, dass im Besitz seines Autors geblieben sei. Dieser habe es bei der Übergabe des SED-Vorsitzes an Honecker mit persönlicher Widmung versehen und seinem Nachfolger geschenkt. Nach dem Ende der DDR sei das Exemplar mit seinem Besitzer nach Chile gelangt. Dort sei es kurz nach dem Tod des sächselnden Saarländers gestohlen worden; zum Unmut Helmut Kohls, der den gesamten Nachlass Honeckers habe kaufen wollen, nach der Nachricht vom Diebstahl aber davon abgesehen habe. Außerhalb Nordkoreas gebe es nur dieses eine Exemplar, und das sei mittlerweile in den Händen einer Splittergruppe des Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfads, einer militanten maoistischen Gruppe aus Peru, deren Anhänger zum Teil vor den Regierungstruppen nach Chile geflohen waren. Natürlich ließen sämtliche kommunistischen Regierungen dieser Welt ihren Geheimdienst nach diesem Buch suchen. Zumal bekannt geworden sei, dass Kim Jong Il sämtliche auffindbaren Exemplare des Buches habe vernichten lassen, weil er ein Zeichen gegen das Buch und für den Film habe setzen wollen. Bücherverbrennung aus ideologischen Gründen, sozusagen. Er sei ein großer Filmliebhaber gewesen. Einmal habe er sogar einen japanischen Regisseur entführen lassen, damit dieser ihm persönlich Filme drehte. Aber das, so sagt Trogbert, sei eine andere Geschichte. Jedenfalls seien Ampeln eine sterbende Spezies. Überall auf der Welt würden jetzt Kreisverkehre gebaut. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis der Times Square auch in einen Kreisverkehr umgewandelt würde.

      Stallmeister ertappt sich dabei, wie er nach einem Stein Ausschau hält, mit dem er dieses Geschwätz verstummen lassen kann.

      Jims Gesicht hat sich bei den Ausführungen über die DDR immer mehr verdunkelt. Überhaupt lässt seine Miene jetzt darauf schließen, dass er Trogbert für einen Kommunisten hält. Seine Freundlichkeit dem dicken Architekten gegenüber ist binnen Sekunden nichts weiter mehr als Fassade. Die Stimmung ist nun aber auch am Gefrieren, weil Stallmeister hungrig ist, die Bedienung aber nicht mit seinem Schweineschenkel kommen will. Trogbert isst bereits und nimmt die Tatsache, dass sein Mund voll mit Fleisch ist, zum Anlass, einmal nicht zu reden. Jim hat sich ein Tofusteak geben lassen und kaut lustlos auf diesem herum.

      Stallmeister knurrt zusammen mit seinem Magen. Kerstin isst bereits. Sie hat gegrillte Paprika mit „Weißbrot“ bestellt. Missgünstig sieht er Trogbert beim Herunterschlingen seines Steaks zu. Warum hat man einen Mann vor ihm bedient, der noch Tage von seinem Körperfett zehren könnte? Dann sieht er sich Jim an. Warum nur hat Gott einen Menschen zum Mann gemacht, der falsches Fleisch aus Tofu isst?

      Jim, Kerstin und Trogbert sind fertig mit dem Essen, als er seinen Schweineschenkel bekommt, der außen ziemlich verkohlt ist; so verkohlt, dass man nicht mehr bestimmen kann, von welcher Art Tier er eigentlich stammt.

      Mit vollem Mund muss er nun Jim Rede und Antwort stehen. Es geht um den Beinahe-Badeunfall. Stallmeister spielt das Ereignis herunter, während Trogbert dessen Dramatik mit seinen Worten befeuert. Schließlich sagt Jim, sie müssten den Kurs nur bewerten, so ließen sich alle Probleme am schnellsten lösen. Er schiebt den dreien jeweils einen vierseitigen Fragebogen zu. Stallmeister schiebt seinen unter sein Platzdeckchen.

      Dann kommt Nicola. Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt gelbe Hotpants, eine Jeansjacke wie aus den Achtzigern und grellroten Lippenstift. Sie scheint sich gefangen zu haben. Als sie sich Kerstin und Trogbert vorstellt, lächelt sie sogar schwermütig. Zurückhaltend macht sie sich mit Kerstin bekannt. Bei Stallmeister verbirgt sie, dass sie ihn schon gesehen hat. Schließlich setzt sie sich zu ihnen, sagt aber, dass sie keinen Hunger habe.

      „Hawaii ist wunderschön“, verkündet Trogbert urplötzlich. „Ich kann schon verstehen, warum die Marine der Westküste hier stationiert war und nicht in Oregon“, sagte er, an Jim gewandt. „Wussten Sie eigentlich, dass die Idee, Hawaii anzugreifen, Hitlers Idee war? Das ist gar nicht auf dem Mist der Japaner gewachsen. Die wollten die Amerikaner gar nicht angreifen, weil dies einem Gesichtsverlust gleichgekommen wäre. Sie wollten sich ehrenhaft verkaufen. Aber wie damals Kaiser Wilhelm die Österreicher in den Krieg gebettelt hat, lag Hitler dem Tenno, dem japanischen Kaiser, so lange in den Ohren, bis dieser sich bereit erklärte, Hawaii zu überfallen, also genauer Pearl Harbour. Die Lösung für das Problem des Ehrverlusts durch Angriffskrieg war schnell gefunden: Hawaii wurde zu genuin japanischem Gebiet erklärt. Waren die Hawaiianer nicht auch Asiaten? Waren die Ainu, die rundäugigen Bewohner Hokkaidos nicht genauso Japaner wie der Tenno selbst? Und war nicht Japan von allen asiatischen Ländern das, das Hawaii geographisch am Nächsten lag? Diese Fragen waren schnell beantwortet. Die Stationierung amerikanischer Soldaten auf dem Archipel wurde umgehend als Kriegserklärung gewertet. So konnten die japanischen Kamikaze bald ruhigen Gewissens Richtung Hawaii aufbrechen. Es war ein bisschen wie zwischen England und Argentinien beim Falklandkrieg, nur umgekehrt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Stallmeister versteht, will aber trotzdem nicht weiter zuhören. Er ist so eingelullt, dass er nicht mehr bestimmen kann, wen der Architekt mit den ganzen Storys beeindrucken will. Vielleicht am Ende sich selbst? Er braucht ein Bier.

      Jims folgende Äußerungen zu Trogberts Spekulationen lassen darauf schließen, dass er die Argentinier, Japaner und Hitler für Kommunisten hält und Trogbert für mit diesen geistig im Bunde. Er straft den Architekten mit einer Freundlichkeit, der man die Verlogenheit umgehend anmerken soll.

      Stallmeister bestellt sein zweites Bier. Dann lässt er sich von Jim die Erlaubnis geben, zu rauchen. Sein Rauch weht Nicola ins Gesicht, aber ihr scheint nicht nach Zigaretten zumute zu sein.

      Kerstin versucht die Konversation wieder in Gang zu bringen. „Barack Obama kommt ja auch von dieser Insel“, flötet sie versöhnlich zu Jim.

      Der guckt eisig. „Obama kommt aus Ofrika, moine Frau.“

      „Aber er ist doch Amerikaner.“

      „In soinem Pass, ja.“

      „Aber du als Kind von Einwanderern, Jim, müsstest doch stolz auf so einen Präsidenten sein.“

      „Ik bin stolz auf moinen Voter. Ör üs Omerika ümmer troi göwesen. Obama hot Omerika verroten.“

      „Verraten? Wodurch?“

      „Durk die Gösundhoitsreform.“

      Jim trägt seiner Laune Rechnung und meldet sich ab. Nicola sieht sich auch nicht mehr in der Lage, in Gesellschaft zu weilen, und so bleiben sie beide allein mit dem Architekten sitzen. Ein von Jims Akzent erleichterter Stallmeister bestellt Bier.

      „Eine tolle Frau“, tönt Trogbert, nachdem Nicolas hochhackigen Schuhe auf den Steinplatten verklungen sind. „Ich könnte mir schon vorstellen... Aber wahrscheinlich hat sie einen Mann. Und leider sind die Leute so grässlich... Wie soll ich sagen? Verklemmt? Jeder hat ein Problem damit, seinen Partner mal für eine Nacht abzugeben. Früher, als ich jung war, in den Siebzigern, war das noch kein Ding. Aber die Leute sind so spießig geworden, so konservativ. Jedenfalls

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