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jeder phantastische Roman Wolfgang Hohlbeins baut eine oder mehrere Parallelwelten auf. Besonders eindrücklich manifestiert sich eine Parallelwelt im bereits erwähnten Roman “Unterland”. Als Heike und Wolfgang Hohlbein anlässlich einer Einladung durch den Ueberreuter Verlag sich etwas mehr Zeit als üblich nahmen, um die Stadt Wien zu besuchen, waren sie beeindruckt von den riesigen Gewölben, den Katakomben unter dem Stephansdom, insbesondere von den Pestgruben, in die früher die Opfer der Seuche hineingeworfen wurden. Es ist historisch belegt, dass manchmal die Pestgruben missbraucht wurden, um darin auch lebende Menschen verschwinden zu lassen, die mächtige Feinde hatten. Aus dieser Beobachtung entwickelte Heike Hohlbein eine Roman-Idee, die ihren Mann zunächst nicht überzeugte. Aber wenige Jahre später fand auch er den Einfall interessant. Er gründet - wie so oft bei den Hohlbeins - in der Frage: “Was wäre wenn ...?”

      Was also könnte geschehen sein, wenn es einigen der Überlebenden in den Gruben gelungen wäre, sich dort unten anzusiedeln und eine eigene Kultur herauszubilden, die mit der Zeit völlig vergessen hat, dass es eine Welt über ihnen gibt? Um dieses Szenario zu entwickeln bedarf es selbstverständlich phantastischer Elemente, denn rational ließe sich eine solche Unterwelt nicht behaupten.

      Parallelwelten bilden die Kontinuität in Wolfgang Hohlbeins Werk, das der Autor selbst als frei von modischen Strömungen definiert.

      Die Frage, “was wäre, wenn?” lässt sich immer stellen. Sie wird von den Hohlbeins unabhängig vom Zeitgeist gestellt, weshalb diverse Themen keiner Chronologie folgen. Verschiedenste Erzählmotive tauchen im Werk der Hohlbeins in allen Jahrzehnten auf. Die Frage ist zeitlos. Sie macht Unmögliches möglich. Sie erlaubt, Dinge jenseits der Vernunft und strapaziert manchmal die Vorstellungskraft.

      Einleitungen

      Manche Anfänge der Hohlbein-Romane sollten einmal in einer Anthologie zusammengefasst werden, denn sie sind oft so originell, dass man weiterlesen will, um die Hintergründe oder die Ursachen der Ausgangkonstellationen zu verstehen. Bemerkenswert ist der Auftakt in “Raubkopie”: Wir befinden uns mit der jungen Heldin im Krankenhaus, wo sie nach vier Jahren Koma erwacht. Gleich zu Beginn zeigt Wolfgang Hohlbein seine Flexibilität als Autor. Einfach und präzise schildert er das ungewöhnliche Setting, den gerätemedizinischen Alltag in der Klinik. Und unmerklich führt er die Leser hinaus in eine bedrohlich wirkende Welt, deren Vorhandensein nach den Ereignissen um das Schaf “Dolly” immer wahrscheinlicher erscheint.

      Die junge Frau erfährt, dass sie einen Autounfall hatte, dass sich ihr Mann in der Zwischenzeit hat scheiden lassen und eine andere geheiratet hat. So etwas kennt man aus anglo-amerikanischen Filmen, allerdings wurde “Raubkopie” schon 1985 veröffentlicht. Das Unbegreifliche bricht erst jetzt in die bis dahin noch möglich, ja fast vertraut erscheinende Situation ein: Heimlich verlässt die junge Frau die Klinik, um ihren Ex-Mann zu treffen. Da entdeckt sie, dass seine zweite Frau ihr wie eine Zwillingsschwester gleicht. Sie recherchiert und erfährt, dass es sich nicht um eine zufällige Ähnlichkeit handelt, sondern ihre Nachfolgerin ein geklontes Wesen ist. Man hat sie im Labor neu geschaffen und mit einigen Eigenschaften ausgestattet, die sich ihr Mann zusätzlich gewünscht hat.

      Bei der jungen Heldin - und bei den Lesern - sitzt der Schreck tief. Die neue Rivalin ist wie sie selbst und noch ein bisschen besser - zumindest aus der Perspektive ihres Ex-Gatten. Wolfgang Hohlbein lässt nicht locker. Er verfährt, wie es von Drehbuchautoren erwartet wird: Beginne den Film mit einer (emotionalen) Explosion und steigere dann langsam Action und Spannung. Also hat die junge aus dem Koma erwachte Frau den Schock ihres Lebens noch vor sich. Der tritt ein, als sie vier Jahre alte Fotos von ihrer eigenen Beerdigung entdeckt. Lag sie nicht vier Jahre im Koma? Endlich begreift sie, dass auch sie selbst nur geklont ist. Wolfgang Hohlbein gestaltet den Fortgang so, dass sich die um ihre Identität betrogenen Frauen gegen den (Ex-) Mann solidarisieren.

      Ein heute noch modern anmutender Plot, der einmal mehr das zentrale Thema Wolfgang Hohlbeins nach dem wahren Ich umkreist, bzw. es von genetischer Seite konsequent durchspielt. Denn käme eine Fee und gäbe Wolfgang Hohlbein die Möglichkeit, sich etwas zu wünschen – ganz egal, was – möchte der Autor nur eines: Eine Zeitlang in ein anderes Wesen schlüpfen, in einen anderen Menschen, um zu fühlen, wie das ist und zugleich sich selbst aus dessen Perspektive zu erleben. So erzählte er mir in Neuss und nahm noch einen Schluck Kaffee. Wolfgang Hohlbein geht es also nicht nur um die verschiedenen Realitätsebenen, sondern vor allem auch um die Frage nach der eigenen Existenz und nach der (Selbst-) Wahrnehmung.

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