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kommen. Zwischen den Fahrspuren war gerade noch Platz für einen Menschen – oder eben ein Motorrad.

      Tamara gab Vollgas und schloss recht schnell zu Jessica auf. Die Vampirin sah sie kommen. Mit einem wütenden Fauchen packte sie im Vorbeilaufen den nächstbesten kutschenähnlichen Oldtimer und riss ihn herum. Tamara staunte, welche Kraft Jessica besaß. Sie wich dem Fahrzeug aus und war wieder hinter der Vampirin her. Jessica stieß weitere Autos um, als wären sie nur Spielzeug.

      Tamaras Killerinstinkte waren jedoch geweckt, unbarmherzig war sie auf der Jagd, nichts konnte sie aufhalten. Blitzartig wich sie allen Hindernissen aus und kam immer näher an Jessica heran. Die Vampirin sprang über ein Auto hinweg, packte es mit aller Kraft und warf es aufs Dach. Tamara konnte es einfach nicht glauben. Sie stellte ihre Maschine quer und entging dem tödlichen Zusammenprall nur um Haaresbreite. Jessica rannte weiter, sprang auf das nächste Autodach, von dort gleich zum nächsten und immer so weiter, rasend schnell, als wäre das nichts weiter als ein leichter Hürdenlauf.

      Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig brausten inzwischen Tom und Veyron heran. Die Leute sprangen voller Panik und mit lauten Ausrufen zurück. Veyron drückte pausenlos die Hupe, kümmerte sich aber nicht weiter um die Flüche und Verwünschungen, die man ihnen hinterherrief. Sie sahen Jessica von einem Auto zum nächsten springen, schnell und elegant wie eine Raubkatze. Veyron streckte die Hand aus und erwischte eine kleine Holzstange, die vor einem Café stolz die grüne Fahne Talassairs flattern ließ. Er riss sie aus und drückte sie Tom in die Hände. »Stoß ihr damit zwischen die Beine, wenn wir nahe genug sind. Keine Sorge, sie wird sich nur ein paar Knochen brechen. Vampire halten so etwas locker aus, ich hab es selbst erlebt«, rief er.

      Tom klemmte sich die Stange wie eine Lanze unter den Arm und konzentrierte sich ganz auf Jessica. Sie näherten sich ihr Meter für Meter, und er machte sich für den Stoß bereit. Jessica blickte kurz in ihre Richtung, die Zähne fletschend. Plötzlich sprang sie hoch in die Luft, und weit über Veyron und Tom hinweg. Elegant wie ein Flughörnchen landete sie an der Mauer eines hohen Wohngebäudes und krallte sich in den Putz. Veyron hielt an, um ihr interessiert zuzuschauen.

      »Eine clevere Alternative. Ich weiß allerdings bereits, was sie vorhat«, sagte er und beschleunigte wieder.

      Tom war jetzt vollkommen verwirrt. »Wo fahren Sie denn hin? Sie klettert das Haus hinauf! Wenn Sie das Dach erreicht, erwischen wir sie niemals«, jammerte er, wütend darüber, wieder einmal nicht in Veyrons Pläne eingeweiht zu werden.

      »Das Ziel ist immer noch der Hafen, wir brauchen nur ein wenig Vorsprung, das ist alles!«, erwiderte sein Pate schnell.

      Tamara versuchte dagegen eine andere Strategie. Sie fuhr um das Gebäude herum, als Jessica die Hausmauer hinaufkletterte, und gelangte in den Hinterhof. Genau wie sie sich gedacht hatte, befand sich dort eine Rettungsleiter. Tamara sprang vom Motorrad und hastete, so schnell sie konnte, die Sprossen hinauf. Sie wusste, wie schnell Jessica im Klettern war. Wenn sie vor ihr auf dem Dach sein wollte, brauchte sie alle Kraft und Geschwindigkeit.

      Ein Schatten kam um die Hausecke, schnell wie ein Tier, doch zweifelsfrei von menschlicher Gestalt. Jessica! Sie machte einen gewaltigen Satz und landete auf der Rettungsleiter. Blitzschnell hangelte sie sich nach oben. Tamara musste sich richtig anstrengen, um mitzuhalten.

      »Reed! Jessica, stopp!«, rief sie schwer schnaufend. Die Vampirin hielt für einen Moment inne und blickte nach unten. Tamara kletterte ihr so schnell entgegen, wie sie konnte.

      »Geben Sie auf, Sie können nicht entkommen! Noch haben Sie niemanden getötet oder ernsthaft verletzt. Geben Sie auf, dann wird man Sie gnädig behandeln!«

      Jessica erwiderte Tamaras Blick voller Furcht. »Sie kennen Nemesis nicht. Er wird mich töten, wenn ich ihm dieses Juwel nicht bringe«, winselte sie.

      Tamara kletterte weiter. Jessica war nur noch ein paar Meter über ihr. »Die Elben können Ihnen helfen, ich weiß es. Es ist noch nicht zu spät«, erwiderte sie.

      Jessica verharrte regungslos, zögernd, mit ihrer Angst ringend. Im nächsten Moment wurde ihr Gesichtsausdruck wieder kalt, die Angst hatte gesiegt. Sie kletterte weiter. »Nein, mir kann niemand helfen. Ich bin eine Ausgestoßene, genau wie Sie. Glauben Sie wirklich, dass Sie jemals Vergebung finden werden, wenn Sie in die Menschenwelt zurückkehren? Sie sind eine Terroristin! Sie sind doch überhaupt erst Schuld daran, dass alles so weit kommen musste«, zischte die Vampirin.

      Mit einem letzten Satz sprang sie aufs Dach, doch Tamara war dicht hinter ihr. Sie warf sich nach oben, bekam ihren rechten Stiefel zu fassen. Jessica strauchelte und landete hart auf dem Dachbeton. Tamara setzte ihr sofort nach, sprang hoch in die Luft, die Fäuste geballt.

      Jessicas Reaktionen waren jedoch schneller als die jedes Menschen. Sie rollte zur Seite. Wie eine Sprungfeder katapultierte sie sich in die Luft, landete auf ihren Füßen und rannte davon. Tamara trat nach ihr, doch sie erwischte nur Luft. Jessica sprang vom Rand des Daches, hinüber auf das nächste Gebäude.

      Tamara schnaufte, nahm Anlauf und warf sich in die Luft. Sie schrie vor Anstrengung. Es war ein Sprung, der all ihre Kraft kostete. Krachend landete sie auf dem anderen Hausdach. Ihr ganzer Körper schmerzte, doch sie verzog keine Miene. Jessica, die dem Ganzen überrascht zugesehen hatte, wirbelte herum und rannte weiter. Tamara hetzte ihr hinterher, aber die Vampirin war zu flink.

      Mit einem gewaltigen Satz, als hätte sie nur das Gewicht einer Feder, sprang sie einfach auf das nächste Hausdach und Tamara – erfüllt von ihrem unerbittlichen Instinkt – stürmte ihr hinterher. Erneut brauchte sie alle Kraft, um den Abstand zwischen den Dächern zu überwinden. Er betrug gut und gerne fünf oder sechs Meter – einer Leistungssportlerin wären kaum mächtigere Sprünge gelungen. Im Gegensatz zu Jessica, die solche Anstrengungen kaum zu belasten schienen, schwitzte Tamara inzwischen aus allen Poren. Ihre Muskeln brannten und zitterten. Sie keuchte ungläubig, als sie sah, wie die Vampirin sofort weiter auf ein drittes Dach sprang und dabei einen Abstand von fast zehn Metern überwand.

      Hier ist Schluss, dachte Tamara erschöpft. Eine solche Distanz konnte sie selbst mit den letzten Kraftreserven unmöglich überwinden.

      Jessica stoppte urplötzlich und blieb ratlos am Rand des flachen Dachs stehen. Sie stand auf dem letzten Gebäude in einer langen Reihe mehrstöckiger Wohnhäuser. Dahinter fiel die Dachlinie dramatisch ab. Die Hauptstadt ging in eine flache, fast ländlich anmutende Wohngegend mit kleinen Häusern und großen Gartenanalgen über. Neue Hoffnung keimte in Tamara. Wenn die Polizei oder Floyds wahnsinnig gewordene Armee schnell genug waren, hatten sie die Vampirin hier in der Falle.

      Jessica schien das ebenfalls zu begreifen. Anstatt aufzugeben, tat sie nun etwas vollkommen Unerwartetes. Sie zog sich aus, riss sich die schwarze Lederkluft vom Körper und schlüpfte aus ihren Stiefeln, bis sie nur noch in Unterwäsche auf dem Dach stand. Tamara verstand nicht, was die Vampirin damit bezwecken wollte. Die Zwerge werden sich davon sicher nicht verführen lassen, egal wie gut du aussiehst, dachte sie verwirrt.

      Dann streckte Jessica die Arme aus, Tamara schrak zurück. Arme und Finger der Vampirin wuchsen rasend schnell in die Länge. Schwarzer Dampf trat aus den Poren ihrer hellen Haut, umgab sie wie ein Nebel. Aus diesem wuchsen nun Flughäute, die sich zwischen den immer länger werdenden Fingern und den Knien der Vampirin spannten. Die Verwandlung dauerte keine Minute. Aus Jessica war eine dämonische Kreatur geworden, teilweise noch menschlich, teilweise eine gigantische Fledermaus. Tamara war zu schockiert, um irgendetwas zu tun. Sie stand da wie eine Salzsäule und sah zu, wie die Vampirin ihre finale Flucht vorbereitete.

      Plötzlich flog hinter Jessica die Dachluke auf. Tamaras Herz hüpfte vor Aufregung. Beinahe erwartete sie die bewaffneten Soldaten des Königs, doch heraus schoss ein weißes Polizeimotorrad. Auf dem breiten Sattel saß ein grimmig dreinschauender Veyron Swift, hinter ihm ein vollkommen verängstigter Tom Packard.

      Veyron hatte einfach die Tür des letzten Wohngebäudes eingefahren und war dann mit Vollgas das Treppenhaus hinaufgeholpert. Tom wäre fast abgeworfen worden wegen der ganzen Rüttelei. Aber jetzt standen sie auf dem Dach, Jessica Reed gegenüber – in einen wahrhaftigen Albtraum verwandelt.

      »Fahren Sie

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