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dachte er.

      »Farin? Farin! Lass die Armee auf diese Vampirfrau los! Bringt sie zur Strecke! Dieses Weib hat mir einen höllischen Schrecken eingejagt! So was muss verboten werden!«, schimpfte Floyd soeben voller Entrüstung los.

      Tom rannte nach draußen, stieß dabei beinahe mit Farin und den Soldaten der Palastwache zusammen. »Wo ist Veyron hin?«, fragte er.

      »Hintereingang, da drüben, dann um die Ecke«, rief Farin im Vorbeilaufen und wedelte mit der Hand in die entsprechende Richtung.

      Tom stürmte los. Er sollte wirklich die Beine in die Hand nehmen, wenn er seinen Patenonkel noch einholen wollte.

      In Hauptstadt wurde Großalarm gegeben. Sirenen begannen zu heulen. Auf den Dächern hoher Gebäude wurden riesige Scheinwerfer eingeschaltet, die ihre Lichtkegel in den Nachthimmel richteten oder hinaus auf die Küste, von wo am wahrscheinlichsten ein Angriff erfolgen würde. Polizisten standen auf den Straßen, ließen ihre Pfeifen trillern und forderten die Menschen auf, nach Hause zu gehen. In Hauptstadt herrschte ein reges Nachtleben. Seit fünfzig Jahren hatte es keinen solchen Alarm mehr gegeben.

      »Invasion, Invasion, Invasion!«, schrien einige aus der Menge.

      »Maresia ist gekommen!«

      Im Nu brach Panik aus. Leute sprangen von den Stühlen auf, stießen sich gegenseitig um, jeder versuchte, so schnell wie möglich zu seinem Auto zu gelangen. Die vielen Straßencafés leerten sich schlagartig, das hysterische Kreischen und Schreien der Menschen vermischte sich mit dem lauten Geheul der Alarmsirenen.

      Tom erwischte Veyron gerade noch rechtzeitig am Hintereingang des Palastes. Tamara war den beiden voraus und rannte bereits die Straße runter.

      »Wie sollen wir Jessica überhaupt finden? Das ist doch aussichtslos«, schrie Tom, um den Lärm zu übertönen.

      Veyron packte ihn am Arm und zerrte ihn hinter sich her. Sie liefen die Stufen des Palastes hinunter, hinaus auf die Straße. Vor ihnen parkte ein schneeweißes Polizeimotorrad, ein uraltes Modell aus den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts. »Aufsteigen, Tom. Ich weiß genau, wohin sie will. Wir fangen sie ab«, rief Veyron, als er sich auf die Maschine schwang.

      Tom sprang hinter ihm auf und hielt sich fest. Ein Polizist entdeckte die beiden. Mit gezogenem Knüppel kam er auf sie zu. Veyron trat den Kickstarter durch. Die Maschine machte einen gewaltigen Satz nach vorn und schoss schlingernd auf die Straße hinaus.

      Der Polizist brüllte ihnen hinterher. »Diebe! Plünderer! Haltet sie auf!«

      Der Lärm des Alarms, ließ seine Worte untergehen. Im Nu hatten sie den armen Mann weit zurückgelassen. Sie jagten wie eine Rakete die Straße hinunter, vorbei an der rennenden Menschenmenge und Oldtimern, die in panischer Angst gestartet wurden und kreuz und quer herumfuhren, alle Verkehrsregeln vergessend.

      Tamara, die in heller Wut vorausgerannt war, willens, Jessica um jeden Preis aufzuhalten, staunte nicht schlecht, als sie ihre beiden Reisegefährten mit einem Polizeimotorrad davonschießen sah. Sie blickte sich kurz um und entdeckte eine zweite Maschine, die gerade von einem anderen Beamten gestartet wurde, um Tom und Veyron zu verfolgen. Tamara rannte hinüber. Ohne ein Wort zu sagen, packte sie den Polizisten und zerrte ihn von seiner Maschine. Mit einem einzigen Schlag war der Mann bewusstlos. Sie sprang auf das startbereite Motorrad und gab Gas. Veyron und Tom waren weit vor ihr, doch nirgendwo eine Spur von Jessica Reed. Tamara vertraute jedoch darauf, dass Swift wusste, was er tat.

      Tatsächlich: Gar nicht so weit vor Veyron konnte sie eine schwarz gekleidete Frau die Straße runterrennen sehen. Mit der Kraft einer Löwin stieß Jessica andere Passanten beiseite und schleuderte sie in die Tischgruppen der Straßencafés.

      Tamara holte alles aus dem Motorrad raus, was in der alten Kiste steckte. Sie mussten um jeden Preis der Welt verhindern, dass die Vampir-Diebin das Juwel des Feuers zu Nemesis brachte. Was für eine Ironie, dachte sie bei sich. Noch vor einer Woche war ich die Terroristin, stets auf der Flucht vor der Polizei – jetzt jage ich selber einer gefährlichen Feindin hinterher.

      Auch Floyd setzte alles an das Ziel, sein Juwel zurückzuholen. Er hatte Großalarm für ganz Talassair ausgegeben, eine Maßnahme, die für gewöhnlich nur im Fall einer Invasion vorgesehen war. Darum machte sich neben den nur mit Knüppeln bewaffneten Verkehrspolizisten jetzt auch die Armee Talassairs kampfbereit. In der Stadtkaserne wurden altertümliche Jeeps und die ganze Panzerflotte des Königs startklar gemacht. Alte Shermans, deutsche Panther- und Tiger-Panzer und jede Menge andere Museumstücke wurden bemannt. Sie rollten, bereit für eine Schlacht, die es gar nicht gab, aus den Garagen. Ohne Rücksicht auf Verluste wurden Mauern durchbrochen, Gärten und Zäune niedergewalzt. Das ganze Inselreich war in heller Aufregung. Vor der Küste glaubte man, schon die Galeeren Maresias zu sehen, andere meinten dagegen, es seien wohl eher Piraten oder Sklavenjäger. Alles nur wegen einer einzelnen, frechen Diebin, die in ihren Händen nicht weniger hielt als das Schicksal ganz Elderwelts.

      Dieser Tatsache waren sich auch Tom und Veyron bewusst. Jessica war nur noch ein paar Meter vor ihnen. Sie rannte, als wäre ein Rudel Fenriswölfe hinter ihr her. Tom konnte gar nicht fassen, dass irgendjemand so schnell sein konnte.

      Das hängt sicher mit ihren vampirischen Kräften zusammen, sagte er sich. Wie sie es überhaupt mit ihr aufnehmen wollten, war ihm ein Rätsel, aber Veyron hatte hoffentlich eine Idee.

      »Sie will zum Hafen«, erkannte sein Pate in diesem Moment.

      »Will sie ein Boot stehlen?«

      »Nein, aber von dort aus kennt sie den Weg zurück zu Nemesis. Jeder andere Fluchtweg würde nur in die Irre führen. Sowie die Sonne aufgeht, müsste sie sich auf Talassair verstecken. Darum will sie um jeden Preis zum Hafen, das ist der einzige Weg für sie. Sobald wir sie einholen, springst du ab und wirfst dich auf sie. Sie wird stolpern und stürzen, dann haben wir sie«, gab Veyron zurück.

      Tom hielt das für vollkommen verrückt und schüttelte energisch den Kopf. »Auf keinen Fall! Springen Sie doch selber!«, schimpfte er.

      Veyron drehte leicht den Kopf und wollte eine Antwort geben, doch dazu kam er nicht mehr.

      Im selben Moment durchbrach ein paar Blocks vor ihnen ein riesiger Tiger-Panzer eine Hausmauer. Ziegelsteine flogen durch die Gegend, Staub wirbelte auf. Es knallte infernalisch laut, eine Explosion sprengte direkt vor ihnen einen Krater in den Boden. Veyron bremste scharf ab, stellte das Motorrad quer. Beinahe wären sie gestürzt, doch Veyron behielt die Kontrolle. Der riesige Panzer drehte mit knirschenden Ketten herum, feuerte gleich noch einmal, hinein in ein Haus, dem es die halbe Wand wegsprengte. Die Panik auf den Straßen wurde noch größer, die Leute rannten verzweifelt hin und her.

      »Panzer! Floyd hat den Verstand verloren. Er wird uns alle umbringen, dieser Irre!«, stieß Tom voller Schrecken hervor.

      Veyron beschleunigte und nahm die Verfolgung wieder auf. Jessicas Vorsprung war gewachsen. »Floyd ist in Panik, und seine Truppen sind es auch. Die schießen auf alles, was sich bewegt. Lass uns Jessica schnell einfangen, bevor diese Narren die ganze Stadt zerstören«, sagte Veyron finster.

      Weit vor ihnen bog Jessica in eine Seitenstraße und war verschwunden. Die Panzerfahrer, selbst von Panik erfüllt und mit der Situation vollkommen überfordert, verwechselten die Steuerhebel. Anstatt der Vampirin zu folgen, nahmen sie die falsche Richtung. Donnernd krachten sie in das nächste Haus und brachten es fast zum Einsturz. Veyron musste dem riesigen Panzer scharf ausweichen. Tom schrie der Besatzung wütend zu, was er von ihnen hielt – nämlich reichlich wenig.

      Der klägliche Auftritt von Floyds mächtiger Panzerwaffe verschaffte Tamara dagegen die Zeit, zu den anderen aufzuschließen. Sie raste eben an Tom und Veyron vorbei, legte das Motorrad in die Kurve und schoss in die Seitenstraße, in der Jessica verschwunden war. Weit vor ihr bog die Vampirin in eine andere Straße ein. Tamara beschleunigte noch einmal, holte weiter auf. Sie jagte um die nächste Ecke und …

      … musste eine Vollbremsung hinlegen, um nicht in die Seite eines Oldtimers zu krachen. Der irrsinnige Großalarm hatte dafür gesorgt, dass sich so ziemlich alle

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