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zwei weiße Gänse, achtundzwanzig Hühner, drei Schafe, eine Ziege, sieben Enten und ei­ne Unmenge silbergrauer Tau­ben, die vom Dach des Wohnhauses herunter gurr­ten, als ich durch die Wiese streifte.

      Tante Bertha, Onkel Kohlrabis Frau, trat aus der Haustür heraus und warf den Hühnern eine Handvoll Körner auf den Hof.

      „Sieh an“, sagte sie freundlich. „Besuch aus dem Nachbar­haus.“

      „Ist Onkel Kohlrabi schon auf den Beinen?“, erkun­digte ich mich bei ihr.

      „Seit Sonnenaufgang muckelt er wieder in seiner Werkstatt herum. Ich bin neugierig, was er dort als nächstes ausheckt.“

      „Ich auch. Darf ich ihn besuchen?“

      „Lauf nur, Junge“, sagte sie und ging zurück ins Haus.

      Hinter dem Wohngebäude lag die ringsum vergla­ste Werk­statt im hellen Sonnenschein. Onkel Kohl­rabi stand vor einem Fenster und hielt ein Reagenz­glas mit einer gelblich-trüben Flüssigkeit gegen das Licht. Als er mich hereinkommen hörte, wandte er sich um.

      „Wie schön, wenn mein alter Freund Picknick mich wieder einmal besuchen kommt“, sagte er und lä­chel­te mich vergnügt an. Er trug einen braunen Filzhut über seinen langen weißen Haaren. Er besaß die längste Na­se, die ich je gesehen hatte. Sein Kinnbart, den er fort­während kraulte, wenn er über ein Problem nach­dachte, war stark nach außen ge­bogen. Er hatte stets gute Laune, und man meinte, seine hellen blauen Au­gen würden immer lachen.

      „Ist die Bratapfelmaschine schon fertig?“, fragte ich schnell, bevor der Onkel sich erkundigen würde, ob ich die Schule schwänzte.

      „Noch nicht ganz“, sagte Onkel Kohlrabi. „Ich er­warte noch ein paar Einzelteile. Aber in etwa zwei Wochen lasse ich dann die Maschine abholen und auf dem Pausenhof eurer Schule aufstellen.“

      „Prima“, sagte ich. „Ich freue mich schon.“

      Unter der staubigen Deckenlampe stand das silbern glän­zende Metallgehäuse der Bratapfelma­schine. Es war so groß wie ein gewöhnlicher Getränkeautomat, doch besaß es eine Art Schreibma­schinentastatur. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es damit auf sich hatte, aber ich wollte den On­kel nicht fragen, denn er war konzen­triert mit dem Reagenzglas beschäftigt.

      „Ist das wieder eine neue Erfindung?“, platzte es nach einer Weile aus mir heraus, als meine Neugier uner­träglich wurde.

      „Das kann man sagen“, erklärte Onkel Kohlrabi, wobei er aus einer Pappschachtel einen grünen Wür­fel herausnahm und in das längliche Glas plumpsen ließ. Es sprudelte, gluckerte und dampfte heftig. Die Flüs­sigkeit verfärbte sich grün. ”Es handelt sich um eine Art Schnelltreibmittel“, sagte er mit leuchten­den Au­gen und einem höchst zufriedenen Gesicht.

      „Ein Schnelltreibmittel?“

      „Ja, es lässt nicht nur kleine Pflanzen, sondern auch größere Bäume und deren Früchte innerhalb kurzer Zeit um ein Vielfa­ches wachsen - vorausgesetzt natür­lich, dass die Mischung stimmt. Verstehst du?“

      „Ja. Alles kommt nur auf die richtige Mischung an!“

      „So ist es –“

      „Georg! Georg!“, hörten wir von draußen die ener­gi­sche Stimme von Tante Bertha, die mit der geball­ten Faust gegen die Scheiben der Werkstatt klopfte. ”Ein Anruf für dich!“

      „Wer ist es denn?“, rief Onkel Kohlrabi mit seiner Fi­stel­stimme zurück.

      „Ein Mister Soundso aus Australien!“

      „Gut, ich komme!“

      Eilig lief Onkel Kohlrabi in seinen Filzpantoffeln durch die Werkstatt zur Tür, überquerte den Hof und verschwand dann im Wohnhaus.

      Das Reagenzglas steckte in einer Metallhalterung. Die grüne Flüssigkeit hatte aufgehört zu sprudeln. Da fiel mein Blick auf die offene Schachtel mit den grünen Würfeln. Ich beugte mich darüber und schob meine Nase ganz dicht heran. Die Würfel ro­chen nach nichts. Ich fischte mit zwei Fingern ei­nen heraus und leckte vorsichtig daran. Er schmeckte ein wenig nach Brause mit Waldmeister­geschmack. Ich ließ den kleinen Würfel in das Rea­genzglas plumpsen, und im nächsten Moment be­gann die Flüssigkeit er­neut zu spru­deln und zu dampfen, wobei etwas Schaum über den Rand des Glases floss. Mir wurde auf einmal bange bei diesem merk­würdigen Experi­ment.

      Aber bald schon kam Onkel Kohlrabi zurück. Erleichtert sah ich, wie er noch weitere Brausewürfel in das Glas fallen ließ.

      „Darf ich auch noch einen Würfel hineinwerfen?“, wollte ich wissen.

      „Besser nicht“, sagte Onkel Kohlrabi. „Noch ein Körnchen von dem Treibmittel - und das Fass würde überlaufen! Du weißt ja: auf die richtige Mischung kommt es an!“

      Diese Antwort bereitete mir ein gewisses Unbeha­gen, doch dachte ich bald nicht mehr daran. Bis zum Mittag lungerte ich noch in der Werkstatt des Onkels herum, dann lief ich zurück zu unserem Haus und legte mich brav ins Bett, bevor mein Va­ter von der Schule heimkehrte ...

      Am nächsten Vormittag - ich war mit den anderen Kindern in der Schule und wartete ungeduldig auf das Schlussläuten un­serer Glocke - ereignete sich die selt­same Katastrophe, von der die Leute im Dorf noch lange redeten:

      Es war fünf Minuten vor zwölf.

      „Georg“, rief Tante Bertha ihren Mann. „Das Es­sen ist fer­tig. Kommst du?“

      „Erst muss ich meine neue Erfindung ausprobieren!“, ant­wortete Onkel Kohlrabi und trat mit einer grünen Flasche, die er über einer Flamme erhitzt hatte, aus seiner Werkstatt in den Garten hinaus.

      „Aber das hat doch Zeit bis nach dem Essen!“, är­gerte Tante Bertha sich.

      „Nein, meine Liebe“, sagte der Onkel. ”Ich darf keine Zeit verlieren. Das Treibmittel wirkt nur fünf Minuten!“

      „Was ist es denn für eine Erfindung?“

      „Es ist ein neuartiges Schnelltreibmittel. Es macht aus Zwergbäumen sozusagen Riesenbäume. Du wirst sehen!“

      „So ein Unsinn!“, hörte er ihre Stimme aus der Kü­che.

      Vor dem Küchenfenster goss Onkel Kohlrabi den In­halt der Flasche tröpfchenweise um den dünnen Stamm eines Birn­bäumchens. Aufmerksam betrach­tete er, wie die grüne Flüssigkeit in der warmen Erde ver­sickerte.

      Ganz plötzlich begann sich das zarte Bäumchen zu bewegen. Der Stamm wurde breiter und breiter und wuchs Zentimeter um Zentimeter in die Höhe. Auch die Äste gerieten in Bewe­gung, wurden länger und stärker, erst knüppeldick, dann ar­mdick und immer dicker. Nun begannen die kleinen Blätter und Birnen zu wachsen, und Onkel Kohlrabi dach­te unwillkür­lich an die Aufnahmen von Zeitraffer­filmen, die er einmal von sich öffnenden Blumen ge­sehen hatte.

      „Donnerwetter! Es funktioniert! Bertha, es funktio­niert!“, rief er begeistert zum Haus hin.

      In seiner Freude kletterte er auf den inzwischen zwei Meter hohen Baum, klammerte sich an den stärker und dicker wer­denden Ästen fest, und beobachtete ge­spannt, wie er immer höher und höher in den blauen Himmel gehoben wurde. Es war ein­fach fantastisch!

      „Berthaaa!“

      Tante Bertha aber kümmerte sich nicht um das Ge­schrei ih­res Mannes. Sie ließ sich ihre würzige Erb­sen­suppe schmec­ken. Auf einmal erkannte sie draußen vor dem Küchenfenster das erhitzte Gesicht des On­kels, der zwischen den balkendicken Ästen eines Bau­mes hing, den sie nun zum ersten Male sah.

      „Heiliger Strohsack!“, entfuhr es ihr erschrocken. „Träume ich vielleicht?“

      „Ist noch Suppe da?“, fragte Onkel Kohlrabi und klopfte ge­gen die Fensterscheibe.

      Vor Schreck ließ Tante Bertha den Löffel in den Suppenteller purzeln. Augenblicklich fiel sie in Ohn­macht.

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