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fragte Frl. Lampe und legte ihre Stirn in viele kleine Falten.

      Mein Vater räusperte sich und blickte in die Runde der Kin­der, die, während sie gespannt zuhör­ten, eifrig ihr Pausenbrot aßen.

      „Nun“, sagte mein Vater bedeutsam, „der Mensch lebt nicht vom Jod allein.“

      Frl. Lampe wurde ein ganz klein wenig rot, und mein Vater fragte:

      „Haben Sie eigentlich schon gefrühstückt?“

      „Nein“, sagte sie. „Ich fürchte, ich habe heute Mor­gen in der Eile vergessen, mein Brot in die Tasche zu stecken.“

      „Picknick hat ihr Brot aufgefressen!“, petzte Ange­ber.

      „Das stimmt nicht!“, verteidigte ich mich.

      Ein Murren durchlief die aufgeregte Kinderschar.

      „Wie auch immer“, sagte mein Vater freundlich. „In diesem Fall lade ich Sie ein, mit mir zusammen zu frühstücken.“

      „Aber das geht doch nicht“, sagte Frl. Lampe ver­un­sichert.

      „Doch, das geht!“, rief Beule überschwänglich.

      „Ja, das geht!“, stimmten gleich mehrere Kinder ein.

      „Sie müssen was essen“, sagte Babette mit tiefem Ernst.

      „Ja“, ließ Keule sich über die Köpfe der anderen Kinder hin­weg vernehmen. „Sonst wird Ihnen gleich ganz schlecht.“

      „Da hören Sie es“, sagte mein Vater. „Ich glaube, die Kinder haben Recht.“

      „Unter dieser Voraussetzung bin ich selbstver­ständ­lich bereit, Ihr großzügiges Angebot anzunehmen“, willigte Frl. Lampe ein.

      Vater wickelte das Pergamentpapier seines Früh­stücksbrotes auseinander, nahm eine mit Salami be­leg­te Schnitte heraus und reichte sie seiner Kollegin.

      „Hm“, machte sie, als sie mit Genuss in das frische Landbrot biss.

      „Schmeckt es?“, fragte ich mit echtem Interesse.

      „Köstlich“, sagte Frl. Lampe. „Ist das Brot von un­se­rem Bäcker aus Plunderland?“

      „Ja“, antwortete mein Vater. „Aus der Bäckerei Lehmann. Das beste Brot weit und breit!“

      Alle Zuschauer kauten in Gedanken jeden Bissen mit. Ein paar winzige Krümel fielen herunter auf die Erde.

      „Die holen sich gleich die Spatzen“, sagte mein Va­ter und wies mit dem Kopf auf den ausladenden Lin­denbaum, in dessen Geäst einige Spatzen hin und her hüpften. „Hier habe ich noch etwas Feines.“ Er öffnete seine Brotdose, zerriss vorsichtig ein run­des Stück Ku­chen in zwei Hälften und reichte Frl. Lampe eine da­von. „Plunderländer Bienenstich“, er­klärte er. „Etwas für Genießer.“

      „Hmmm“, ließ Frl. Lampe sich vernehmen und biss von dem duftenden weichen süßen Kuchen ein kleines Häppchen ab. ”Da kann man einfach nicht nein sagen.“

      „Kann es Schöneres geben?“, fragte mein Vater kühn. Dies­mal, so schien es, wurde er ein wenig rot, und Frl. Lampe ver­drehte belustigt ihre hübschen grü­nen Augen.

      „Schmeckt der Kuchen auch gut?“, fragte Beule sachlich, wo­bei er sich eilig an den anderen Kindern vorbeidrängelte.

      „Hier“, sagte Frl. Lampe und zupfte ihm ein Stück­chen ab.

      „Darf ich auch mal probieren?“, fragte ich, obwohl ich eben erst mein eigenes Frühstück gegessen hatte.

      „Natürlich“, sagte mein Vater und zerpflückte sei­nen Kuchen in viele kleine Häppchen. Frl. Lampe tat es ihm nach.

      „Bedient euch, Kinder!“

      Alle kosteten von dem süßen Kuchen, von dem Frl. Lampe meinte, er sei ein Gedicht, und alle waren sich einig, es gebe nichts Schöneres.

      Mein Vater holte aus seiner Jackentasche einen rot­gelben Apfel heraus, zerschnitt ihn mit seinem silber­nen Taschenmes­ser in der Mitte und reichte seiner Kollegin eine Hälfte.

      „Auch diesen reifen Apfel wollen wir gerecht teilen“, sagte er ritterlich. „Ich gebe Ihnen selbstver­ständlich gern die rote Hälfte.“

      Frl. Lampe aber zögerte, das Apfelstück anzuneh­men. Sie lä­chelte meinen Vater vieldeutig und ver­schwörerisch an und sagte:

      „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die gelbe Hälfte zu überlassen?“

      „Warum?“, fragte mein Vater ahnungslos.

      „Darum“, antwortete Frl. Lampe leise und vergnügt, und alle in der weiten bunten Runde lach­ten.

      Das Klingelzeichen über der Eingangstür unserer Schule er­tönte. Die Pause war zuende.

      „Ich weiß, warum Frl. Lampe die gelbe Apfelhälfte es­sen wollte“, verkündete ich, als wir Kinder lang­sam in die Klas­senzimmer zurückgingen.

      „Warum denn?“, fragte Angeber mit uneinsichtigem Gesicht.

      „D-d-arum!“, antwortete ich, wobei ich versuchte, Frl. Lam­pes Tonfall nachzuahmen, was mir aber nicht ganz gelang.

      „D-d-d-arum!“, äffte Angeber mich nach.

      Ich beschloss, es ihm bei der nächsten sich bieten­den Gelegen­heit heimzuzahlen!

      Während der folgenden Unterrichtsstunde wurde noch lange über die Geschichte von der wunderbaren Brotverzehrung ge­tuschelt und gemurmelt.

      Babette stieß mich von hinten mit ihrem Holzlineal ans Ohr.

      „He“, flüsterte sie, „Picknick!“

      „Was ist denn?“

      „Glaubst du, dein Vater wird Frl. Lampe bald hei­ra­ten?“

      „Bestimmt.“

      „Und wann?“

      „Weiß nicht. Aber lange kann es nicht mehr dauern.“

      „He“, hörte ich wieder Babettes Stimme.

      „Was willst du wissen?“

      „Hast du Frl. Lampes Frühstücksbrot wirklich auf­gegessen?“

      „Nein.“

      „Wo steckt es denn?“

      „W-w-arte bis zur nächsten Pause“, sagte ich hinter der vor­gehaltenen Hand, „dann verrate ich es dir!“

       DIE GESCHICHTE VOM VERLORENEN TON

      Die schönsten Augenblicke des Schuljahres hatten wir Kinder in Plunderland an unserem Geburtstag. Dann nämlich war jeder für einen ganzen Vormittag der Mittelpunkt der Klasse.

      Als Angeber seinen zehnten Geburtstag hatte, gaben Eule, Beule, Keule und ich uns die allergrößte Mühe, ihm diese un­vergesslichen Augenblicke gehö­rig zu ver­salzen, denn er hatte es nicht besser ver­dient. Ich konnte Angeber nicht leiden, weil er mich manchmal nachäffte. Angeber äffte mich manchmal nach, weil ich ihn nicht leiden konnte. Wir hatten ein etwas ver­zwick­tes Verhältnis zuein­ander.

      Während die Klasse Happy Birthday anstimmte, sangen wir so schräg und falsch wie wir nur vermoch­ten. - Aber Angeber merkte es nicht einmal. Nur Frl. Lampe wirkte während des Singens manchmal ein wenig irritiert. Sie sah auch nicht, wie wir oft ohne Ton trällerten und nur zum Schein unsere Lippen be­wegten, doch schnitten wir dabei unsere grässlichsten Gri­massen.

      Gegen Mittag setzte sich Frl. Lampe für Angeber sogar ans Klavier. Sie klappte den Deckel hoch und begann Happy Birthday. Aber an einer Stelle des Liedes streikte das Klavier und ließ nur ein gedämpftes Tuck, tucktuck ertö­nen.

      „Nanu“,

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