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als wenn ich nichts verstünde, außer Englisch. Die Gesichtsfarbe war damals das größte Problem. Die vier Jahre Nebenjob während meines Studiums waren dafür sehr sinnvoll. An der Filmhochschule Babelsberg. In der Maske. Ich durfte mal Uwe Kokisch altern lassen. Der Schauspieler, der den Commissario in Venedig spielt. Und ich hatte Claude-Oliver Rudolph eine Stirnnarbe zu verpassen. Beide waren mir sehr sympathisch. Unterschiedliche Charaktere, jedoch kumpelhaft normal. Zumindest zu mir. Allerdings erinnerte der Erste mich an meinen Vater, dieses blöde Arschloch, und der Zweite erinnerte mich an den uniformierten Gatten meiner Lehrerin. Der Pädagogin, die in einem herbstlichen Taunuswald meine Jugend beendete. Doch jetzt war ich in Istanbul. Also unters Volk und lauschen und beobachten. Die Fremde und das Fremde erfahren und genießen. Sozialstudien machten mir so am meisten Freude. Verkleiden, besser gesagt tarnen und eindringen. Mein Handy klingelte. Eine unbekannte deutsche Nummer. Somit nicht Hatice. Ich ging nicht ran. Sekunden später die SMS mit der Info, dass ich mal meine Mailbox abhören solle. Interessierte mich jetzt auch nicht. Ich stellte den Klingelton auf Stumm und Vibration. Es wurde ein langer, angenehmer Spaziergang. Bereits drei Stunden war ich unterwegs um mich zu entspannen. Die Schatten wurden länger, was mich aus meinen Gedanken führte. Dann orientierte ich mich. Vor mir befand sich die Veli Efendi Pferderennbahn. Die Sonne neigte sich zum Verabschieden des Tages. Ich musste dringend auf ein Klo. Ich hatte Hunger und meine Füße waren auch schon mal trainierter. Mein Telefonino, wie die Italiener ihr Mobilfunktelefon liebevoll nennen, summte in der linken, vorderen Tasche meiner Jeans, was den Harndrang nicht gerade erträglicher machte. Eine türkische Nummer, vermutlich Hatice. Sie war es. Wir verabredeten uns. Auf dem Ekrem Kurt Boulevard sollte ich mir ein Café suchen und mir den Namen merken. Sie würde mich dann anrufen und dort abholen. Zwei Stunden später saß Dr. Liska Wollke neben Ihrer Freundin Hatice in deren Fiat. Wir hatten eben den Bosporus überquert. Der asiatische Teil Istanbuls empfing uns mit einem Abendstau. Hatice hielt in dritter Reihe parkend, vor einem kleinen Geschäft. Ich sollte warten. Eine Minute lang ertrug ich die Hupkonzerte. Dann wurde es mir zu viel. Gerade als ich sehen wollte wo sie blieb, stiefelte sie aus dem Laden. Mit einem Lächeln. Dem Hatice-Lächeln. Wenn ich ein Mann wäre… Was sie gekauft hatte, sagte sie mir nicht. Ihr Navigationsgerät versprach, dass wir nur neununddreißig Minuten benötigen würden. Es dauerte mehr als eine Stunde länger um in Polonez in der Beykoz Caddesi anzukommen. Hinter einer Doppelreihe aus Pinien stand ein Haus mit einem üppigen Holzvorbau. Ausladende Schnitzarbeiten ließen meine Augen anerkennend verweilen. Ein kleiner Brunnen, ebenfalls mit wundervollen Ornamenten, zierte das Entree. Ob der Brunnen echt war? Zikaden untermalten die Abendstimmung. Dieses Zirpen brauchte ich jetzt. Ich benötigte es um zu begreifen, dass ich im Urlaub war. Und diesen Duft. Der Duft von geräuchertem Fisch mischte sich in das dumpfe, leicht feucht-moorige Aroma. Was für ein eimaliges Odeur im Verhältnis zu Istanbuls Wachstumsdampf und dem klimaanlagenbereinigten Duft in Hatices Auto. Deren Mutter stand schon im Vorgarten und erwartete uns. Laut Hatice stand sie seit dem Unfall jeden Abend am Gartentor. So lange, bis Hatice daheim war. Die Mutter begrüßte mich mit einer alles erschlagenden Würde. Dann nahm sie ihre Tochter in den Arm. Ein kurzes Tuscheln zwischen beiden und die Gesichtszüge des Oberhauptes der Familie entspannten sich. Ein reiferer Mann, nach Hatices vorbereitendem Einblick in den aktuellen Familienstammbaum ihr Onkel, hantierte an einem Ofen, der so stark qualmte, wie der Onkel selbst. Der Zigaretten fressende Räucherer Ali war Innenarchitekt, spezialisiert auf Büro- und Verkaufsräume. Er selbst mochte lieber die, wie er es nannte, Low-Level-Arbeiten. Onkel Ali war verheiratet mit einer Innenarchitektin. Sie, Ahu, wiederum war Spezialistin für die teureren Räume von exklusiven Hotels und die Wohnungen der neuen türkischen Upperclass. Das verbliebene Mitglied der Familie war Hatices große Schwester. Sie arbeitete als Sprachlehrerin in einem Gymnasium in Cayagzi. Ein Ort der Neureichen direkt an der Küste des Schwarzen Meeres. Ihre Fächer waren Englisch, Spanisch, Finnisch und Ungarisch. Kaum zu glauben, aber sie lernte wegen der Entwicklung in der Welt jetzt noch Russisch an der Abendschule und Chinesisch im Fernstudium. Meine Frage nach der deutschen Sprache wurde von ihr nur belächelt. Nicht von oben herab belächelt, nein eher aus der Position des: „Ich verstehe nicht, wie man auf so eine Frage kommen kann?“ Es gäbe genug Türken die Deutsch können. In der türkischen Hotelbranche bestimmt die Hälfte aller Angestellten. Aus Deutschland kamen seit ein paar Jahren mehr Türken in die Heimat zurück als es türkische Auswanderer nach Deutschland gab. Das war mir nicht klar. Was ich aber begriff war, dass Hatices Schwester als Lehrerin jetzt schon in einem solchen Reichendomizil in Cayagzi arbeitete. Eine Dependance der türkischen Elite. Mauern rings um dieses Wohngebiet. Kameras, Bewegungsmelder und bewaffnete, private Security an allen Eingängen. Eigene Schule, eigenes Stadtteilzentrum, eigene Rechtsauffassung inklusive. Das hatte ich, im Rahmen meiner Forschungen, eigentlich eher für die Außenbezirke von Hamburg, München und Frankfurt am Main vorhergesagt. Aber hier? Das angebotene Glas mit milchigem Inhalt vernichtete ich in einem Zug, was besonders Onkel Ali zu einem anerkennenden Nicken verleitete. Raki mit Wasser. Prost Frau Doktor. Der Abend war schneller im Gange, als ich erwartet hatte. Schon erwähnter Raki und Wein aus der Taurusregion für die Seele und geräucherter Fisch aus dem Schwarzen Meer für die Hüfte – war die Devise der Mutter. Nach Mitternacht, mitten in einem Exkurs über meine unorthodoxen Lehrmethoden, schlug sich Hatice an die Stirn. Sie hätte von Ihrer Chefin heute einen Tipp erhalten. Hatice eilte zum Auto und holte die Einkäufe. Aus einer Papiertüte zog sie eine Zeitung. Auf Seite sieben war ich zu sehen. Eine ganze Seite Frau Dr. Liska Wollke. Weitere zwanzig Minuten später, hatte Hatice den Artikel ihrer Familie vorgelesen und mir übersetzt. Das Fazit der Familie war für mich erschütternd. Die waren begeistert. Angeblich hatte ich die Entwicklung in Deutschland so präzis beschrieben, dass zuallererst Hatices Schwester sofort die Zukunft der Türkei voraussah. Als die argumentatorischen Ungereimtheiten geklärt waren, war ich auf Stand, verzweifelt und verwirrt. Verwirrt, am meisten war ich verwirrt. Onkel Ali sagte unter dem Einfluss einer halben Flasche Raki und dem Gelächter seiner Familie, dass es bald eine türkisch-deutsche Arbeiteranwerbevereinbarung wie in den 50-jahren des letzten Jahrhunderts geben würde. Er freue sich schon auf deutsche Restaurants, Drehspieß-Kasseler-Imbisse und Sauerkraut-to-go-Läden. Bewirkte das meine Doktorarbeit? Ich lag in der Nacht wach. Das ließ mir keine Ruhe. Das wollte ich ergründen. Einen Tag später wollte ich es wissen. Ich verließ das Hotel ohne nur einmal das Bett genutzt zu haben. Die noch offenen, sechs nicht genutzten Nächte, wurden mir zur Hälfte erstattet. Zum ersten Mal in meinem Leben mietete ich mir ein Auto. Meine Fahrpraxis in Deutschland belief sich auf ungefähr doppelt so viele Kilometer wie in der Fahrschule verlangt wurden. Bei der Fahrzeugwahl machte ich es wie die FDP in der deutschen Heimat. Erst besah ich mir die möglichen Varianten und entschied mich dann für einen kleinen Asiaten. Ein Hyundai fand mein Gefallen und wurde für erschütternd wenig Geld mein Gefährte. Der Vermieter wollte nur dreißig Euro am Tag haben, inklusive aller Versicherungen. Abgeben konnte ich das Auto an allen Tankstellen der Orionkette und an allen Flugplätzen des Landes. Ich bezahlte erst einmal für fünf Tage. Verlängern ging immer. Der Kreditkarte sei Dank. Hatice hatte mir Anschriften von Freunden notiert, die ich aufsuchen konnte, falls was schief ging. Der erste Trip sollte nach Zonguldak gehen. Laut Navigation, über die mein Telefonino verfügte, sollte ich in fünf Stunden vor Ort sein. Meine Fahrpraxis allerdings, noch dazu in einem Land mit der mir fremden Auslegung des deutschen Paragraphen eins, sorgte dafür, dass ich fünfzig Kilometer vor meinem ersten Reiseziel in meinem Auto übernachten musste. Weiter zu fahren hätte nicht nur mein Leben gefährdet. Mein Handy weckte mich. Seit gestern in der Frühe hatte ich meine Mailbox und meine Mails nicht mehr abgerufen. Jetzt nahm ich mir die Zeit. Während eines Morgenspazierganges entlang der Küste vor Esenköy erlitt ich mehrere Herzattacken. Frau Hauptkommissar Weber aus Berlin bat um Rückruf wegen meines Freundes Metin. Heidi fragte wegen der Verabredung für die zweite Urlaubswoche nach. Herr Hauptkommissar Schneidereit aus Berlin wollte wissen, ob ich Anzeige gegen den Mann aus meinem Büro erstatten wolle? Metins Rechtsanwalt Schnick informierte mich über die bevorstehende Testamentseröffnung. Ich möge mich in vierzehn Tagen in seinem Büro einfinden. Opa Beyer berichtete über einen weiteren Besuch des Unbekannten. Er hatte die Polizei gerufen, die dann allerdings zu spät kam, um den Mann festzusetzen. Der Polizeimeister Kern aus meinem zuständigen Bezirksrevier informierte mich über den Einbruch in meine Wohnung. Dann noch einmal Heidi. Sie wollte wissen, ob ich schon wüsste was mit Metin geschehen sei? Dr. Richard, mein Chef, bat mich, mir den STERN zu kaufen. Er hätte

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