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Aber wo konnte er um diese Zeit sein, an solchem dunkeln Abend, während sein Abendessen erst kochte und die Tür unverschlossen war? Die Schwierigkeit, die Dunsey eben gehabt hatte, die Hütte zu erreichen, brachte ihn auf den Gedanken, der Weber sei vielleicht hinausgegangen, um sich Holz oder sonst etwas in der Nähe zu holen, und sei dabei in die Steingrube gefallen. Ein aufregender, folgenschwerer Gedanke! Wenn der Weber tot war, wer hatte dann ein Recht auf sein Geld? Wer wußte dann, wo das Geld lag? Wer erfuhr jemals, daß es einer weggenommen habe? Weiter ging er nicht ins Einzelne ein; die drängende Frage, wo das Geld sei, nahm ihn jetzt so vollständig in Anspruch, daß er ganz vergaß, der Tod des Webers sei noch keine Gewißheit. Er hatte immer nur drei Versteckplätze nennen hören, wo die Bauern ihre Schätze verbargen: das Strohdach, das Bett und ein Loch im Fußboden. Marners Hütte hatte kein Strohdach, und nach der ersten Überlegung, welche seine hastige Begierde außergewöhnlich beschleunigte, war das erste, was er tat, ans Bett zu gehen, aber während der paar Schritte überflogen seine Augen zugleich eifrig den Fußboden, wo die Ziegelsteine in dem hellen Feuerschein unter dem Streusand deutlich hervortraten. Aber nicht überall waren sie sichtbar; eine Stelle, nur eine einzige, war ganz mit Sand bedeckt, und dieser Sand trug die Spuren von Fingern, die augenscheinlich bemüht gewesen waren, ihn gleichmäßig zu verteilen. Die Stelle war unmittelbar neben den Tritten des Webstuhls. In einem Augenblick schoß Dunstan darauf zu, strich den Sand mit seiner Peitsche bei Seite, steckte das dünne Ende des Peitschengriffs zwischen die Steine und fühlte, sie seien lose. Eilig hob er zwei Steine aus – da lag vor ihm was er suchte; denn was konnte in den beiden ledernen Beuteln anders sein als Gold? Und nach ihrem Gewicht mußten sie voll Gold sein. Dunstan tastete in dem Loche herum, ob nicht noch mehr drin liege; dann fügte er die Steine wieder ein und breitete den Sand darüber. Kaum mehr als fünf Minuten waren vergangen, seit er die Hütte betreten hatte, aber es schien ihm wie eine Ewigkeit, und obschon er sich gar nicht die Möglichkeit klar dachte, Marner könne am Leben sein und jeden Augenblick wieder in die Hütte treten, fühlte er doch eine unbeschreibliche Angst auf sich lasten, als er mit den Beuteln in der Hand sich erhob. Er wollte hinauseilen in die Dunkelheit und sich da überlegen, was er mit den Beuteln machen solle. Rasch schloß er die Tür hinter sich, um den Lichtschein zu verdecken; in wenigen Schritten dachte er weit genug zu sein, daß man ihn bei dem matten Schimmer, der durch die Ladenritzen fiel, nicht mehr entdecken könne. Der Regen und die Dunkelheit hatten zugenommen, und er freute sich dessen, so unbequem es sich mit vollen Händen ging, und obschon er kaum die Peitsche mit dem einen Beutel zusammen halten konnte. Aber wenn er erst ein paar Schritte weiter sei, dachte er, dann könne er sich Zeit nehmen. So schritt er hinaus in Nacht und Dunkel.

      Fünfter Abschnitt

      Als Dunstan Cass der Hütte den Rücken wandte, war Silas Marner kaum einige hundert Schritte davon; er kam vom Dorfe her, einen Sack zum Schutz gegen den Regen über die Schulter geworfen und eine Stallaterne in der Hand. Seine Beine waren müde, aber sein Geist war frisch und frei von jeder bösen Ahnung.

      Das Gefühl der Sicherheit entspringt öfters aus Gewohnheit als aus Überzeugung, und darum besteht es oft noch fort, auch wenn die Verhältnisse sich so geändert haben, daß wohl Grund zur Furcht wäre. Der Zeitraum, während dessen ein bestimmtes Ereignis nicht eingetreten ist, gilt für die Logik der Gewohnheit immer als ein Grund, daß dieses Ereignis nie eintreten kann, selbst wenn die Länge der vergangenen Zeit grade der Grund ist, der die Gefahr herbeiführt. Ein Mensch erzählt uns, er habe vierzig Jahre in einem Bergwerke unversehrt gearbeitet, und er führt das als einen Grund an, daß überhaupt keine Gefahr dabei sei, wenn auch das Gewölbe in den vierzig Jahren sich gesenkt hat, und man erlebt oft genug, je älter einer wird, desto schwerer wird es ihm, an die Möglichkeit seines Todes zu glauben. Diese Macht der Gewohnheit mußte notwendigerweise bei einem Menschen stark sein, der ein so einförmiges Leben geführt hatte wie Marner, der keine neuen Leute kennen lernte und nie was Neues hörte, was den Begriff des Unerwarteten und Wechselnden in ihm hätte lebendig erhalten können, und so erklärt es sich ganz einfach, warum er so unbesorgt war, obschon er sein Haus und seinen Schatz ganz ohne Schutz gelassen hatte.

      Mit doppeltem Behagen dachte Silas an sein Abendbrot, einmal, weil es warm und schmackhaft sein würde, und dann, weil es ihm nichts kostete. Denn das kleine Stück Schweinefleisch war ein Geschenk von dem vortrefflichen Fräulein Priscilla Lammeter, der er heute ein hübsches Stück Leinen gebracht hatte, und nur bei einer solchen Gelegenheit gönnte sich Silas überhaupt gebratenes Fleisch. Das Abendessen war seine Lieblingsmahlzeit, weil er es in der Feststunde des Tages genoß, wo sein Herz sich am Golde erwärmte; wenn er je Braten hatte, so nahm er ihn zum Abendbrot. Aber heute Abend hatte er kaum die Schnur künstlich um das Schweinefleisch geschlungen und sie oben am Kesselhaken so angebracht, daß sie sich von selbst drehte, als ihm einfiel, er brauche zu einem neuen Gewebe, welches er früh am andern Morgen aufziehen wollte, ein Stück besonders schönes Garn.

      Der Nebel draußen war zwar abscheulich, aber in den Morgenstunden seine Zeit mit Gängen zu verlieren, davon konnte keine Rede sein, und es gab Dinge, die Silas mehr liebte als seine Bequemlichkeit. So schob er denn das Fleisch an das äußerste Ende des Hakens, rüstete sich mit Sack und Laterne und machte sich auf den Weg, der ihn bei gewöhnlichem Wetter höchstens zwanzig Minuten gekostet hätte. Die Tür zu verschließen, kam ihm nicht in den Sinn; welcher Dieb würde in solcher Nacht den Weg nach dem Steinbruch finden? Und warum sollte er grade diese Nacht kommen, da er all die fünfzehn Jahre her nicht gekommen war? Diese Fragen warf Silas sich nicht grade deutlich auf; sie geben nur im allgemeinen an, weshalb er frei von jeder Besorgnis war.

      Sehr befriedigt, daß der Gang getan sei, erreichte er seine Tür; er öffnete sie, und für sein blödes Auge war alles, wie er es verlassen hatte, nur daß das Feuer noch heller und heißer brannte. Er ging hin und her, um die Laterne wegzustellen und den Sack bei Seite zu legen, und verwischte so mit seinen schwer beschlagenen Schuhen die Spuren von Dunstans Tritten im Sande. Dann rückte er das Fleisch näher ans Feuer und setzte sich zu der angenehmen Beschäftigung nieder, auf den Braten zu achten und sich zu wärmen.

      Wer ihn so gesehen hätte, wie der rote Feuerschein auf sein blasses Gesicht, seine seltsamen starren Augen und seine mageren Glieder fiel, der hätte vielleicht die Mischung von verächtlichem Mitleid, Angst und Argwohn begriffen, womit die Nachbarn ihn ansahen. Und doch gab es kaum einen harmloseren Menschen, als den armen Marner. In seiner ehrlichen schlichten Seele konnte selbst die wachsende Habgier kein Laster erzeugen, welches seinen Mitmenschen gradezu gefährlich hätte werden können. Nachdem das Licht seines Glaubens ganz verloschen und seine Empfindungen völlig verödet waren, hatte er sich mit der ganzen Kraft seiner Natur an die Arbeit und das Geld gehängt, und wie alles, dem der Mensch sich hingibt, hatten sie auf ihn zurückgewirkt und ihn nach ihrer Weise umgebildet. Der Webstuhl, an dem er unaufhörlich arbeitete, hatte seinerseits auf ihn eingearbeitet und mehr und mehr das einförmige Verlangen nach seiner einförmigen Musik gestärkt; sein Gold, an dem er hing und das er wachsen sah, dörrte alles, was an Kraft zu lieben in ihm war, mit der Zeit völlig aus, bis er so hart war wie das gelbe Metall selbst.

      Sobald er sich durchgewärmt hatte, kam ihm der Gedanke, bis nach Tisch sei eine zu lange Zeit, um mit dem Herausholen des Goldes zu warten, und es wäre hübsch, wenn er die glänzenden Stücke auf dem Tisch haben könnte, während er sein leckeres Mahl verzehrte. Denn Freude ist der beste Wein, und für Silas waren seine Guinees ein goldener Freudentrank.

      Er stand auf und setzte ahnungslos das Licht auf den Fußboden beim Webstuhl, strich den Sand weg, ohne eine Änderung zu bemerken, und nahm die Steine auf. Bei dem Anblick der leeren Stelle schlug ihm das Herz heftig, aber daß sein Gold weg sei, konnte er nicht sofort glauben; nur Schrecken kam über ihn und das eifrige Verlangen, dem Schrecken ein Ende zu machen. Mit zitternder Hand fühlte er in dem Loche umher, indem er sich einzureden suchte, seine Augen könnten ihn getäuscht haben; dann hielt er das Licht ins Loch und untersuchte es begierig, während er immer stärker zitterte. Endlich schüttelte es ihn so gewaltsam, daß er das Licht fallen ließ und die Hände an den Kopf hielt, um sich zu fassen und zu überlegen. Hatte er vielleicht gestern Abend aus einem plötzlichen Entschluß sein Geld sonst wohin gelegt und es dann vergessen? Wer in tiefes dunkles Wasser fällt, sucht selbst auf gleitenden Steinen einen augenblicklichen Stützpunkt, und so schob auch Silas, indem er sich trügerische Hoffnungen vorspiegelte, nur den

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