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Ich sehne mich so sehr nach Geborgenheit, nach Zugehörigkeit, dass es mir schon peinlich ist. Gut, dass ich das hier nicht öffentlich schreiben muss und AK das macht. Ich könnte es nicht. Ich würde mich in Grund und Boden schämen. Ich weiß übrigens auch nicht, ob AK das wirklich in seinen Blog schreibt, denn ich verzichte auf alle Medien.

       Ist auch gut so, dass ich AK nicht persönlich treffen muss. Er könnte mich ja etwas fragen. Der reinste Horror wäre das.

      Esther Kalveram : Schickt bitte mal jemand einen Gesprächstherapeuten in den Hügel?

      Miriam Schönauer-Seidel: Sie braucht keinen Gesprächstherapeuten. Sie braucht das, was sie schreibt. Geborgenheit und Zugehörigkeit. Ich lebe im Hier inkl. tun und stelle mir jeden Tag dieselben Fragen. Also ist es prinzipiell egal, ob im oder auf dem Hügel. Wir können nur unsere Einstellungen, Wünsche und Ziele ändern, neu festlegen. Und die Frage ist eben: Wollen wir das??? ich versteh Sie! ;-)

      Klaus Weltermann: Da ist was anderes als ein Gesprächstherapeut von Nöten !

      Esther Kalveram: So ganz Nichts. Tun. Inside ist das ja auch nicht. Nachdenken. Über sich. Inside. würde es ebenso treffen wie sich sehnen. Nach Veränderung. Inside. Aber dazu muss man eben rauskommen :-) Geborgenheit und Zugehörigkeit ist Interaktion und nicht Isolation. Wenn also jemand in einem Hügel sitzt und sich so sehr nach Geborgenheit sehnt und ihm das peinlich ist, dann braucht er nach meiner landläufigen Meinung Hilfe. Da eben niemand ein Hügel ist und auch niemand eine Insel. Seufz, aber vielleicht habe ich auch zu viel Simmel gelesen :-)

       Die Regie meines eigenen Lebens

       30. Mai | Natürlich spüre ich, dass die Eröffnung der documenta näher rückt. Elektrizität ist in der Luft, um mich herum wird hart daran gearbeitet, die Kunst für das Publikum fertig zu stellen. Mit mir wird nicht gearbeitet, ich bin ja schon fertig.

       »Vollkommen fertig« würde ich zu mir selbst sagen. Fertig von all den Erwartungen, die ich in den letzten fast fünfzig Jahren erfüllen musste: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freund, Ehemann, Kollegen, Mitarbeiter, Vorstandsfeinde, Aktionäre, Pressesprecher. Der Künstler meines Erdhügels, Song Dong, zählt nicht dazu. Er bitte mich um nichts, ist sehr zufrieden über das, was ich hier tue. Oder gerade eben nicht tue. Ich scheine seinem Ideal sehr nahe zu kommen.

       Jetzt beobachte ich einen Wurm: Er läuft immer geradeaus. Jetzt kommt er an die Tischkante. Sein Oberkörper beugt sich über diese Kante, weicht zurück, beugt sich wieder vor. Dann läuft er kopfüber unter dem Tisch weiter. Ich schaue nach unten und schubse ihn versehentlich von der Unterseite weg. Er liegt auf dem Boden, bewegt sich nicht, fast wie benommen. Jetzt bewegt er sich, läuft weiter, beschreibt einen leichten Bogen. Rechts neben ihm ein anderer Wurm. Nimmt er ihn wahr? Nein, er biegt ab, der andere Wurm auch. Würmer neigen nicht zur direkten Kommunikation mittels Annäherung.

       Dieser Wurm sagt mir eigentlich alles über mein Leben. Ich bin immer sehr straight gelaufen in meiner Karriere. Auch kopfüber. Wenn ich unten lag, habe ich mich geschüttelt und bin weiter gelaufen. Die Anderen neben mir haben mich nicht interessiert. Es ging mir nur um mich.

       Am liebsten würde ich ihn zertreten, diesen Wurm, wie mein eigenes, altes Leben zertreten. Doch jetzt bewegt sich sein Kopf ein bisschen nach oben, zu mir hoch. Fast, also wolle er zu mir sprechen, mich bitten, ihn am Leben zu lassen. Ja, ich lasse dich leben. Als ich wieder nach unten schaue, ist er verschwunden.

       Verschwindet mein altes Leben, wenn ich nicht mehr nach unten schaue? Wenn ich es am Leben lasse? Fast scheint es mir so. Ist ein Wurm als Metapher überhaupt geeignet? Ist das nicht kindisch für eine Chief Human Resources Officer?

      Seit Ende Mai produziert Isabelle Hüter immer mehr Texte in kürzerer Folge. Ich entscheide mich, alle zwei Tage zu unserem Briefkasten zu gehen und nach Neuigkeiten zu schauen.

      Kurz vor Eröffnung der dOCUMENTA (13) verrät - und das ist sehr untypisch für eine documenta - die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Barkagiev einige Namen und Kunstwerke auf dem Friedrichsplatz und in der Karlsaue. Auch der »doing-nothing-garden« von Song Dong ist darunter.

      In den Medien kursiert der, im Nachhinein falsche, »do-nothing-garden« als Titel des Erdhügels.

       Dankbarkeit auf chinesisch

       31. Mai | Ich bin dem Künstler Song Dong sehr dankbar und habe deshalb AK gebeten, meinen Dank für ihn ins Chinesische zu übersetzen. Ich weiß, dass sich Song Dong mit Übersetzungen beschäftigt und glaube, ich mache ihm damit eine Freude.

       Also: Ich wohne in deinem Kunstwerk. Ich freue mich sehr. Danke.

       Auf Chinesisch:

       ?????????????????

       Zhùzài n?de zuòp?n l?, w? f?icháng g?oxìng. Xièxie!

      Ich danke Christoph Junghölter sehr herzlich für die Übersetzung ins Chinesische. Ich habe Christoph auf einem Schreibseminar getroffen. Beim Frühstück erzählt er mir von seinem Unterricht in Chinesisch. Einen Tag nach dem Seminar habe ich schon die Übersetzung.

       Das Glück durchströmt mich

       1. Juni | Unglaublich, das Leben. Hier bin ich am Leben. Break free, let me – be unbound (The Refugees). Ich stehe an meinem Guckloch, schaue in die Welt. Ich überwinde die Schatten an der Höhlenwand. Niemand zwingt mich, die wirklichen Dinge zu sehen. Ich schaue in die Welt da draußen. Das Glück durchströmt mich. Sobald ich spüre, wie mich das Glück durchströmt, ist schon alles wieder vorbei.

       Aber für diese zwei, drei Sekunden des Glücks lohnt es sich, hier zu sein. Genau in diesem Augenblick. Ich bin sehr dankbar dafür. Ihr da draußen habt keine Ahnung. Wenn ihr eine Ahnung hätte, würdet ihr sofort mit mir tauschen wollen hier in meinem Erdhügel. Eine Sekunde ist wie eine Minute, eine Minute wie eine Stunde, eine Stunde wie eine ganze Woche, manchmal. Gerade bin ich hier angekommen. Vor einer Stunde?

       I got plenty of time. Guess that this must be the place. Never for money, always for love (Talking Heads).

      Dieses Lied der Talking Heads findet sich im Film This must be the place, der sich mit der Suche nach Heimat beschäftigt. Im Text heißt es: »Home is where I want to be. But I guess I'm already there.« Hier hat sich Frau Hüter vielleicht inspiriert gefühlt?

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