Скачать книгу

Weltgewandte Begleiterinnen und Begleiter« in Kunst, Ästhetik und Politik ausgebildet. Fast 200 »Worldly Companions« sind später in der Ausstellung unterwegs, fast 10.000 Führungen – ein neuer Rekord – werden durchgeführt.

       Abgeholt von den documenta-Leuten

       20. Mai | Kennen Sie den Film Unheimliche Begegnung der dritten Art? Da hat ein Verrückter die Vision von einem Berg, kippt einen Haufen Erde in sein Wohnzimmer, modelliert diesen Berg. Dann macht er sich auf die Suche, um den Berg in der Realität zu finden. Er trifft unterwegs immer mehr Menschen, die dieselbe Vision haben. Schließlich finden sie den Berg und dort landen dann die Außerirdischen, um die Visionäre in eine bessere Welt abzuholen.

       Genauso geht es mir mit diesem Hügel. Als ich ihn gesehen habe, war er mir so vertraut wie nichts anderes vorher. Die Verheißung der besseren Welt, in die ich jetzt gehen darf. Ich bin sehr froh, dass ich abgeholt wurde. Nicht von den Außerirdischen, sondern von diesen documenta-Leuten. Irgendwie habe ich das Gefühl, das ich fast nichts dafür tun musste. Das widerspricht meinen elementarsten Lebenserfahrungen, ich habe immer gekämpft.

      Frau Hüter erwähnt einen Film von Steven Spielberg, der die positive Botschaft von den freundlichen Aliens verbreitet. Sie sind an den Erdenmenschen interessiert und nehmen einige von ihnen auch in ihrem Raumschiff mit.

       Alles macht Sinn in diesem Augenblick

       23. Mai | Heute Morgen stellt sich plötzlich etwas wirklich Bedeutendes ein. Ich sitze am Tisch in meiner Kochnische, in meinem Erdhügel selbstverständlich. Alles, was ich bisher gemacht und erlebt habe, konzentriert sich auf diesen Moment, auf das Sitzen hier. Alles macht Sinn in diesem Augenblick und bricht sich jetzt Bann. Es durchströmt mich, alle Kränkungen, alle Muster sind ohne Bedeutung. Denn ich bin jetzt 100 Prozent bei mir, lebe den Moment, den ich hier in meiner Erdhöhle genieße. Alles ist richtig, alles ist wahr.

       Es klingt wie einem Dora-Heldt-Roman, ich weiß. Deshalb: Besuchen Sie mich. Ja, Sie, die das hier lesen. Besuchen Sie mich, im übertragenen Sinne. Sie wissen schon: Lassen Sie mich Ihre Stimme hören. Tauchen Sie ein in die Energie des Tuns. In die Energie des Nichts. Sie werden schon sehen, was Sie davon haben. Kommen Sie bald. Nein: So schnell wie möglich hier zu diesem Erdhügel. Solange ich da bin. Und Sie höre. Mit Ihren Botschaften. I'm waiting for you, my friend.

       Ich war die Müllabfuhr

       24. Mai | Der Künstler Song Dong, in dessen Erdhügel ich wohne, hat vor kurzem geschrieben: doing is better than ignoring; to do is to waste; to do even there is no payment. AK hat mir freundlicherweise seine Schrift in unseren »toten Briefkasten« gelegt. Danke dafür. (Ich habe mich entschlossen, den Namen des Künstlers zu nennen, denn ich habe gestern immer mehr Stimmen von außen gehört, die ihn erwähnen. Anscheinend ist etwas öffentlich geworden).

       So langsam wird mir klar, warum der Künstler und ich uns getroffen haben: Zum einen wegen des Mülls, zum anderen wegen des Geldes. Habe ich es überhaupt schon gesagt? Der Erdhügel ist ein Hügel aus Müll. Müll umgibt mich also die ganze Zeit. Das ist so wie in meinem Konzern. Auch dort: Müll wohin ich schaue. Müll auch in meinem Kopf. Bei uns und bei mir im Kopf ist alles so verstopft wie in Neapel, wenn die Müllabfuhr streikt. Überall liegen riesige Haufen von Müll, es stinkt. Niemand will aufräumen. Alle gewöhnen sich langsam daran. Sie produzieren immer weiter Müll, obwohl doch ganz offensichtlich ist, dass es keine Lösung gibt, wenn der Müll nicht abgeholt wird.

       Lange Zeit habe ich mich in meiner Firma um die Müllabfuhr gekümmert. Wöchentliche Touren organisiert, eine Sondertruppe zusammengestellt, die Müllhaufen abtransportiert, für die sich keiner verantwortlich fühlte. Ich bin selbst mitgefahren, habe mich hinten auf das schmale Trittbrett des Mülllasters gestellt. Den ganzen Tag habe ich mit zwei, drei Mitstreitern den Müll eingesammelt.

       Es hat überhaupt nichts genützt! Kaum waren wir durch, lag da schon wieder neuer Müll. Von denen, die sich gar nicht bewusst machen, dass der Müll, den sie machen, auch weggeschafft werden muss. Als ich damit aufhörte, den Müll einzusammeln - also die neapolitanischen Verhältnisse eingeführt habe – wurde ich für ebendiese Verhältnisse verantwortlich gemacht.

       Jetzt lebe ich hier Tür an Tür mit diesem Müll und habe keine Verantwortung mehr dafür, dass er weg muss! Das scheint der Künstler Song Dong mir sagen zu wollen: Schau' doch mal den Müll an! Was da alles drin ist! Er ist nun einmal da, mach' die Augen auf!

       Und jetzt gucke ich mir den ganzen Müll an. Ich liebe diesen Müll, wie er so da liegt. Nichts regt sich in mir, ihn wegräumen zu müssen. Wie schön, dass der Müll da ist. Er ist Teil meines Lebens, ich komme damit jetzt klar. Klingt irgendwie schon sehr therapeutisch, was hier mit mir passiert. Dann wäre der Künstler also mein Therapeut? Ha.

       Dann das Geld. Besser: Die Abwesenheit des Geldes in diesem Kunstwerk: das Tun ohne Bezahlung, to do even there is no payment. Praktisch undenkbar in meiner Rolle als Vorstandsfrau. Unser Gott ist das Geld, der unendliche Fluss des Geldes für unsere Aktionäre, für die Aufsichtsräte, die Vorstände und damit für mich. Wenn das Geld dabei abstrakt ist, umso besser. Die Zahlen müssen größer werden.

       Also, sagt mein Künstler Song Dong: Tu nichts! In seinen Worten: It is improvident to undo it. But to do it is free. Even if free, it should be done.

       Also, sage ich: Wenn ich jetzt etwas tue, mache ich das umsonst. Nein, nicht umsonst. Sondern ohne Bezahlung. Das macht mich frei.

      Der Künstler Song Dong hat in der Karlsaue einen sechs Meter hohen Berg aus Müll aufschütten lassen. Schicht um Schicht ist aus Schutt und organischen Abfällen aufgehäuft, mit Gras und Blumen überwachsen und mit Neonschrift versehen, auf denen die Wörter »Doing« und »Nothing« zu lesen sind.

      Laut Begleitbuch der dOCUMENTA (13) »ein seltsames Denkmal für die Zivilisation – ein künstlicher Bonsai-Berg in einer Kunstlandschaft (..) ein in sich lebendiger Organismus (der beweist), dass im richtigen Kontext sogar das Nichtstun schöpferische Wirkung entfalten kann.«

      In der Reihe »100 Notizen – 100 Gedanken« erscheint mit der Nummer 084 im Hatje Cantz Verlag auch ein text von Song Dong, den Isabelle Hüter hier zitiert.

      Sabine Neumann: Einfach Klasse Frau Hüter, muss man eigentlich Eintritt zahlen in Ihren Hügel?

      Ina Sauer: Um richtig fett nichts zu tun, kann ich auch in New York oder Kapstadt bleiben.

      Esther Kalveram: Oder auf dem Stück Erde, das mir gehört: Also meinem Nichts. Tun. Garten. Zu wissen, dass man so was hat, hält aufrecht beim TUN.

      Klaus Weltermann: Das Nichts Tun gelingt mir fast überall ;-)

      Esther Kalveram: Hm . Ich hatte Recht, im Hügel schläft eine Prinzessin.

      Manfred Zalfen: Großartig, die Erlebnisse von »Isabelle Hüter«. Ich freue mich schon auf die nächsten Neuigkeiten. Vielleicht kann man einige wenige Blümchen auf ihren Hügel pflanzen- dann sieht es etwas netter aus.

      Jumbo Guesthouse: Ich bin auch schon ein Fan von ihr.

      Sabine Neumann: Frau Hüter ist die heimliche Hüterin der documenta, eine echte Insiderin eben.

       Es kotzt mich an

       27. Mai | Ganz ehrlich: Es kotzt mich an! Mein Leben vorher, mein Leben jetzt. Ich bin im Business eine so genannte »Power-Frau«, wie es so schön in der FAS stand (ja, ich lese hier auch, aber mit viel Verzögerung, ich ertrage das Aktuelle im Moment einfach nicht). Ich werde in den Papierkörben des Parks

Скачать книгу