Скачать книгу

Gegenstand als auch zu den einzelnen ausgewählten Texten. Diesen Teil des Buches werden alle diejenigen zu schätzen wissen, die ein ausgeprägtes Interesse an Volksliteratur haben oder sich besonders für kurdische Kultur interessieren. Nach wie vor sind auch die schönen Illustrationen enthalten, die schon die Printveröffentlichung geschmückt haben. Hinzugekommen sind ein Foto der Illustratorin Doris Feyerabend sowie eine Auflistung ihrer Illustrationen.

      Die Einführung des Autors und Herausgebers ist im besten Sinne wissenschaftlich-orientalistisch geschrieben, die kurdischen Märchen und Volkserzählungen sind dagegen im allgemeinverständlichen und eingängigen Deutsch verfasst. Kinder haben in den liebevoll detaillierten Illustrationen viel zu entdecken. Die Märchentexte sind nicht nur leicht zu lesen, auch leicht vorzulesen. Sie sind geeignet für Kinder ab 8 Jahre.

      Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass es Jutta Neuendorffs Initiative zu verdanken ist, dass dieses Buch nun als E-Book vorliegt. Sie hat sie zum Tragen gebracht, nachdem sie Ihrem Enkel Adrian das eine und andere Märchen daraus vorgelesen hat und er ein anhaltend waches Interesse zeigte.

      Hanne Küchler, www.hkberlin.de

      Berlin, im November 2018

      Einführung des Autors und Herausgebers

       Einleitung

       "Es war einst und war doch wieder nicht. Niemand war größer als Gott, und niemand war schmachvoller als der Mensch. Der KOSA(1)starb, aber er hatte kein Leichenhemd. Er wurde fortgetragen, aber (es gab) keinen Platz für sein Grab. Er wurde hingestellt, aber er hatte keinen Weg. Er wurde in eine Wandnische gelegt, aber seine Augen waren starr. Er wurde an die Zimmerdecke gehängt (wörtl. gelegt), aber er grinste boshaft. Er wurde in eine Scheune gelegt, aber die Scheune stürzte ein. Sie sagten: "Du, Scheune, warum bist du eingestürzt?" Sie antwortete: "Aber warum wächst Gras auf meinem Grund?" Sie sagten: "Du, Gras, warum wächst du auf ihrem Grund?" Das Gras antwortete: "Aber warum knabbert die Ziege meinen Kopf ab?" Sie sagten: "Du, Ziege, warum knabberst du seinen Kopf ab?" Die Ziege sagte: "Aber warum starrt mich der Wolf so an?" Sie sagten: "Du, Wolf, warum starrst du sie an?" Er sagte: "Aber warum verscheucht mich der Hirt?" Sie sagten: "Du, Hirt, warum verscheuchst du ihn?" Er sagte: "Aber warum lässt mich meine Großmutter nicht melken gehen?" Sie sagten: "Du, Großmutter, warum lässt du ihn nicht melken gehen?" Sie sagte: "Aber warum schleckt die Maus das Mehl aus meinem Mörser fort?" Sie sagten: "Du, Maus, warum schleckst du das Mehl aus dem Mörser fort?" Sie sagte: "Aber warum starrt mich die Katze an?" Sie sagten: "Du Katze, warum starrst Du sie an? Die Katze sagte: "Den Kot von Ala(2) in meinen Bart, wenn ich noch länger hier bleibe! Ich (für mein Teil) gehe (jetzt) in die Stadt Teheran und rauche dort Luxus-Zigaretten".

      Mit dieser "Frage-Antwort-Litanei", in der niemand mit dem verdammten "KOSA" etwas anzufangen weiß und jeder die Verantwortung dem nächsten zuschiebt, bis endlich die diplomatische Katze dem Ganzen ein Ende bereitet, leiteten die Erzähler in Kurdistan ihre Märchen ein. Der Beginn dieses altüberlieferten kurdischen Textes(3) steht in Reimprosa und enthält ursprüngliche, volkstümliche Ausdrücke.

      Die Märchen und Volkserzählungen werden in Kurdistan meist von alten Frauen erzählt. Diese bewahren nicht nur die reine kurdische Sprache, sondern sie stellen auch eine wertvolle Quelle für die mündliche Überlieferung der kurdischen Literatur im Allgemeinen dar. Da die Frauen nur wenig mit fremden Kulturen in Berührung kommen (im Gegensatz zu den Männern, bei denen dieses allein schon durch ihre Wehrdienstpflicht bei den Staaten, die Kurdistan aufteilen, geschieht), ist eine Reinerhaltung des Sprachgutes gut möglich. Die Frauen bemühen sich im Besonderen um diesen Zweig der Literatur, weil sie mit Hilfe seiner die Kinder unterhalten und erziehen können. Die Sagen "Dâstân" und Epen "Naward" werden dagegen vorwiegend von Männern erzählt, weil ihr Inhalt Kriege und Abenteuer darstellt.

      Früher gab es Kaffeehäuser "Qâwaxâna" oder Teehäuser "Čâkhâna", in denen sich abends immer ein Geschichtenerzähler "Čîrokbêj" oder ein Sagenerzähler "Dâstângêr̂awa" aufhielt. Er saß auf einem Stuhl, und um ihn herum im Dämmer lauschten andächtig die Versammelten. Ein Öllämpchen verbreitete milden Schein und flackerte auf, wenn ein leichter Windhauch durch die Rauchöffnung im Dach wehte. Vereinzelt huschte ein Schatten der Lauschenden über die Wände und das Brodeln der Wasserpfeife mischte sich harmonisch mit dem lieblichen Gesang der Nachtigallen. Den lehmgestampften Boden bedeckten buntgewebte Teppiche. In der Ecke zwischen Steinen glomm die letzte Glut. So kamen die Leute gesellig zusammen und genossen das Zuhören, während sie aus winzigen Gläschen Tee tranken. Nach beendeter Erzählung diskutierten sie miteinander über ihre Probleme und tauschten Neuigkeiten aus. Hier wurden soziale Kontakte gepflegt.

      Der Erzähler endete dann mit folgendem Spruch: "Ich kam auch zurück, aber sie haben mir nichts gegeben!"(4) oder: "Ein Strauß Rosen und ein Strauß Narzissen, möge ich Euren Tod nie erleben!(5).

      In den kurdischen Märchen stehen wie bei den Märchen anderer Völker übernatürliche Wesen und ihre Kräfte im Mittelpunkt, wie Elfen "Parî", Geister "Ğinoka", Teufel "Šaytân", Dämonen "Dêw", oder mit ungewöhnlichen Fähigkeiten und Kräften begabte Menschen, die imstande sind, Übermenschliches zu vollbringen.

      Die meisten kurdischen Märchen befassen sich mit der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, wobei es einem Erlöser in Gestalt eines Menschen, eines Geists oder in Gestalt von Dämonen gelingt, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Als Beispiel sei hierfür "Die rote Braut" genannt: Neid und Bosheit (die Stiefmutter) unterdrücken das Gute und Menschliche und wollen Âskol gar vernichten. Hier schaltet sich die rettende Dämonin ein. Sie zieht Âskol gleichsam "am Faden" zu sich. Nach einem Begrüßungsritus, der vielleicht einen Zusammenhang mit der Verehrung von Fruchtbarkeitsgöttinnen hat, soll Âskol eine Höflichkeitsgeste zeigen. Dann wird ihr aufgetragen, wachsam zu sein. Als sie dies erfüllt hat, verleiht ihr die Dämonin unübertreffliche Schönheit. Obwohl die böse Stiefmutter Âskol verstecken will, erblickt sie der Sohn des Schahs und verliebt sich unsterblich in sie. Sie heiraten, und als die böse Stiefmutter Âskol endgültig vernichten will, wird sie von ihrem Gatten gerächt. Der Segen der Dämonin zieht sich durch das ganze Märchen. Bemerkenswert ist das sanfte Eingreifen der Dämonin und die Klugheit, mit der sie straft. Hier, wie in anderen kurdischen Märchen, ist der Dämon (Dêw) kein boshaftes Wesen, sondern wird positiv gesehen. Zu bedenken ist, daß die Kurden vor der Islamisierung Kurdistans vorwiegend Zoroastrier gewesen waren. Der Prophet Zarathustra(6) hat den "Dêw/v", den man früher als "Gott" betrachtete, verflucht und ihn als einen boshaften Teufel bezeichnet. Diese gute Eigenschaft des Dämonen, die in den kurdischen Märchen klar zu sehen ist, trotz seines boshaften Wesens, ist m.E. ein Rest aus altindoiranischer, vorzoroastrischer Zeit und nicht dem Zufall zu verdanken.

      In manchen Märchen wird das "Gute" nicht durch einen Dämon, sondern durch einen "Heiligen" verkörpert. Solche Märchen handeln oft von "Xidir-î Zindû", dem unsterblichen Xidir(7), der ungewöhnlich mächtig und mitfühlend ist. Er bleibt meist unsichtbar und zeigt sich nur manchmal den Armen und Unterjochten, die seiner Hilfe bedürfen. Nach vollbrachter Tat verschwindet er so plötzlich, wie er erschienen ist.

      Ein Beispiel haben wir in dem Märchen "Firr und Tirr": Xidir-î Zîndû, hier in Gestalt eines Bärtigen, setzt sich für einen armen, hungrigen Mann ein und bewirkt ein Wunder, als sein Appell an die Menschlichkeit eines in der Gunst des Schicksals Stehenden nichts fruchtete. Die Menschen

Скачать книгу