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der untersuchten Projekte ermöglicht, wendete ich diese Dreiteilung doch auf alle vier Tanzstücke gleichermaßen an. Auch die untersuchten Festivals konnte ich mit den untersuchten Tanzproduktionen zueinander in Beziehung setzen. Gleichzeitig ist die Dreiteilung theoretisch fruchtbar, weil sie verschiedene Bereiche der Globalitätskonfigurationen in den Projekten in den Blick nimmt und sie zueinander in Bezug setzen kann: Hier tun sich oftmals Spannungsfelder auf, wenn beispielsweise der Wunsch einer Grenzüberschreitung (verortet in den Kontaktflächen # 1) im Probenalltag (Kontaktflächen # 2) an der Unüberwindbarkeit von Grenzen scheitert, oder ein Publikum (Kontaktflächen # 3) sich stark auf Grenzen bezieht. So kann ich, indem ich die Entstehungsprozesse in drei Bereiche teile, auseinanderklaffende Bewegungen innerhalb der Globalitätskonfigurationen einzelner Projekte mit in die Analyse einbeziehen und sie als Bestandteil der spezifischen Globalität bestimmen und kontextualisieren.

      Die Bestimmung der Kontaktflächen richtet sich immer an der Perspektive des/der BetrachtersIn aus. Ich verwende den Begriff der Kontaktflächen im Plural, um nicht ein festgelegtes, umgrenztes Gebilde zu suggerieren. Vielmehr ist Ausgangspunkt dieses Modells, dass die Flächen nicht eine festgelegte, einheitliche Struktur haben, sondern ein prozesshaftes Feld verschiedener Kontaktmomente bilden – ich gehe daher auch nicht von fixierbaren Anfangs- und Endpunkten des Kontaktes aus, sondern verwende das Modell der Kontaktflächen, um an spezifische Momente eine Lupe anzulegen. Die Flächen können sich aber auf verschiedene Arten und Weisen zusammenfügen – sie können verschiedene Konstellationen bilden.

      Kontaktflächen, Konstellation # 1

      Hier geht es mir um das jeweils spezifische Zusammenspiel an Erfahrungen, Personen, Themen, Regionen o.ä., die als Initialimpulse für die Projekte funktioniert haben. Durch solche Initiationen, Ideen, Impulse und die an den Projekten beteiligten Personen werden bestimmte Konstellationen festgelegt, beispielsweise konstituieren sich Räume oder Themen und werden in Beziehung zueinander gestellt. Es geht immer um (politische) Festlegungen und Relationen und darum, wer die Deutung solcher Festlegungen und Relationen vollziehen kann.

      Forschungsschritte und Datensätze

      Ich habe für diesen Bereich qualitative Interviews mit den ProjektinitiatorInnen geführt und dadurch Motive, Ideen und Erfahrungen abgeklopft, die dazu führten, das jeweilige Projekt zu initiieren und einen thematischen Fokus zu entwickeln. Dazu zählen auch informelle Vorabgespräche, in denen ich nachfragte, ob ich am Projekt als Forscherin beteiligt sein könne und in denen die ChoreographInnen bereits erste lose Ideen zu den jeweiligen Stücken formulierten. Teilweise war ich an Emailkorrespondenzen zur Ideenentwicklung zwischen ChoreographInnen und DramaturgInnen beteiligt. Auch fließen in diesen Forschungsbereich Texte aus Förderanträgen mit ein oder anderweitige Texte wie Blogs oder Begleitpublikationen, in denen die Stückentstehung reflektiert wird.

      Kontaktflächen, Konstellation # 2

      Hier geht es um Techniken, Praktiken und Aushandlungen von TänzerInnen, ChreographInnen, choreographischen Verfahren, Körpertechniken, Probenstrukturierungen, Themen usw. im Entstehungsprozess der Projekte.

      Der Fokus auf das Wie, den Prozess der Herstellung, Findung, Verwerfung, Neuordnung kehrt sich von einer ausschließlichen Analyse der Bühnenversion eines Stückes ab. Damit einher geht, dass Brüche, Auslassungen, Verwerfungen mit in die Analyse einfließen können und ein differenzierter Blick auf Prozesse in der Entstehung der Projekte gerichtet werden kann. Die ästhetische Analyse der Bühnenversion fließt hier (ebenso wie in der dritten Konstellation an Kontaktflächen) immer wieder mit in die Prozessbeschreibung ein, ist sie doch ein zentraler Marker, weil hier die projektspezifischen Entscheidungen von Stimmigkeit (oder Fertigsein) abgelesen werden können.

      Forschungsschritte und Datensätze

      Ich führte während der Probenprozesse zahlreiche qualitative Leitfaden-Interviews mit den an den Projekten beteiligten Personen: PerformerInnen, DramaturgInnen, aber auch KostümbildnerInnen, BühnenbildnerInnen, TechnikerInnen. Hier ging es mir um die Motivationen der einzelnen Personen, an den Projekten mitzuwirken, um ihre Wahrnehmung des Probenprozesses und spezifischer des choreographischen Prozesses, außerdem um die Identifizierung wichtiger Themen, Situationen und Erfahrungen. Darüber hinaus führte ich Interviews mit den ChoreographInnen. Wenn es möglich war, filmte ich Proben, um auch hierüber Verläufe und Entscheidungsfindungen, Festlegungen und Veränderungen im Bewegungsmaterial und Auslassungen zu dokumentieren und für meine Analyse bereitzustellen.

      Teilnehmende Beobachtung

      Die wichtigste Methode innerhalb meiner Forschungsschritte in den Probenprozessen war die Teilnehmende Beobachtung. Die in der ethnographischen Forschung zentrale Methode setzt die Anwesenheit und Teilnahme der Forscherin im Forschungsfeld strategisch ein.{53}

      Ich war in den Forschungssequenzen auf verschiedene Weisen mit in den Entstehungsprozess involviert – ob als Regieassistentin, Gesprächspartnerin, Ausführerin organisatorischer Tätigkeiten, Beobachterin, Teilnehmerin an Workshops zusammen mit den PerformerInnen, Platzhalterin im Krankheitsfall oder bei Lichtproben. Je nach Produktion und Rolle variierte der Grad meiner Einbindung in den konkreten Entstehungsprozess. Ich habe viele Stunden am Rand der Probebühne verbracht, minutiöse Veränderungen im Material mitbekommen, unzählige Wiederholungen des gleichen Materials gesehen und dokumentiert.

      Gerade dieses konstante Anwesend-Sein ermöglichte mir, Probleme oder Konflikte mitzubekommen, an denen sich beispielsweise Hierarchien ablesen lassen, oder Verwerfungen bereits entwickelter Materialien – hier können beispielsweise an den Motiven solcher Verwerfungen Konzepte zu ästhetischen Standards abgelesen werden.

      Darüber hinaus hinterließ dieses Mitbekommen zahlreicher Wiederholungen in den Proben und dieses Involviert-Sein Spuren in meiner Wahrnehmung und meiner Vertrautheit mit dem Material. Vor allem die Bewegungsqualität einzelner Personen, Szenen oder ganzer Produktionen wurde dabei zu einer wahrnehmbaren Qualität für mich, die ich nur so mit in die Analyse einfließen lassen konnte.

      Mit meinem methodologischen Ansatz der bodyscapes (eine ausführliche Diskussion erfolgt in Kapitel 3.4.1) geht auch einher, dass ich den Körperbezug auch auf mein eigenes methodisches Vorgehen hin mitreflektiere. Es geht also auch hier darum, mich selbst im Prozess meiner Forschung und Wissensgenerierung als körperlich zu denken. In der Ethnologie wird oft die Relevanz des sogenannten tacit knowledge betont, eine Wissensform, die sich nicht über versprachlichte Prozesse erschließt, sondern durch die Anwesenheit des/der ForscherIn.{54} Von dieser Definition ausgehend, verfolge ich aber kein ontologisches Körperverständnis, in dem der Körper als unmittelbarer Empfänger von Wissen gedacht ist, wie das stellenweise in Theoretisierungen von der körperlichen Anwesenheit des/der EthnographIn geschieht.{55} Vielmehr geht es mir darum, Bereiche in die Wissensgenerierung mit einzubeziehen, die Wissensvorstellungen nicht entlang von Paradigmen wie Objektivität, Rationalität etc. denkt. Wenn ich beispielsweise meine Wahrnehmung als Forschungsinstrument einsetze, dann denke ich den Körper hier nicht essentialistisch, das heißt ich schreibe ihm keine a-kulturelle, universelle Kommunikations- oder gar Erkenntnisfähigkeit zu.{56} Vielmehr platziert mich der Fokus auf somatische, affektive, emotionale Reaktionen im Forschungsprozess als „corporeal being who critically engages with the

dancing body”{57}.

      Das Zusammenspiel von sozialen Strukturen, Körperlichkeit und ästhetischen Strategien ergab in jeder Produktion mit ihren täglichen Ritualen, Arbeitsweisen, Orten und Menschen eine spezifische Stimmung, durch die sich die einzelnen Produktionsprozesse deutlich unterschieden. Oft hatte ich das Gefühl „die Produktion“ gut zu kennen, ohne das an etwas Bestimmtem festmachen zu können. Die Theaterwissenschaftlerin Sabine Schouten beschäftigt sich in ihrer Untersuchung Sinnliches spüren – Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphäre im Theater{58} mit der Art und Weise, wie in Aufführungen solche Stimmungen beziehungsweise Atmosphären erzeugt und wahrgenommen werden. Das Wahrnehmen einer Atmosphäre siedelt sie dabei in der affektiven Betroffenheit der einzelnen Personen an, wobei der Wahrnehmungsprozess sich immer aus dem Zusammenspiel verschiedener

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