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      „In welchen denn? Die anderen sind einfach Mist. Da komm ich doch auch nicht weiter.“

      „Dann vielleicht … in einer anderen Stadt?“

      „Wo denn?“

      „London.“

      „London?“ Shornee sah ihre Mutter mit großen Augen an.

      Ann nickte. „London“, sie lächelte verschmitzt. „Ich habe endlich Arbeit gefunden.“

      Ihre Tochter runzelte die Stirn. „In London?“

      Ann nickte erneut. „Mr. Cullen, du weißt schon, der nette ältere Herr aus dem zweiten Stock, hat mir von einem Freund erzählt, der dort eine große Buchhandlung betreibt und auf der Suche nach einer Verkäuferin ist. Also dachte ich, ich versuche es einfach mal. Heute Morgen kam die Antwort und ich habe auch schon mit Mr. Bernstein telefoniert. So eine Art Vorstellungsgespräch auf Entfernung.“

      Shornees Augen wurden immer größer, obgleich sie sich nicht über den Kontakt von ihrem Nachbarn wunderte. Immerhin wirkte dieser selbst, wie ein verstaubter Bibliothekar. „Und … das hat funktioniert?“

      Ann nickte. „Ich habe schon mit deinem Arzt gesprochen. Er ist auch der Meinung, dass dir ein Tapetenwechsel gut tun würde, und vielleicht könntest du dort ja deinen Schulabschluss nachholen. Aber wenn du hier nicht weg willst, versteh ich das natürlich. Dann werde ich morgen anrufen und absagen.“

      Shornee senkte den Kopf und überlegte. „Mum …“

      „Ich weiß, wir sind hier zuhause.“ Ann hatte Schwierigkeiten, ihre Enttäuschung zu verbergen.

      „… wir haben hier doch nichts“, fuhr Shornee fort. „Aber muss ich unbedingt wieder in die Schule?“

      „Irgendwann musst du dich wieder den Menschen stellen, Engelchen. Auch mit der neuen Stelle werde ich mir noch keinen Privatlehrer leisten können.“

      Shornee biss sich auf die Unterlippe. „Reden wir nach dem Umzug nochmal darüber?“

      Anns Gesicht hellte sich schlagartig auf. „Du bist also einverstanden?“

      Shornee nickte. „Gehen wir al…“ Sie wurde von dem freudigen Ansturm ihrer Mutter unterbrochen, die ihr in diesem Moment lachend um den Hals fiel. „Ich liebe dich, Engelchen.“

      Bjorn Ericson

      London, 30. Juli

      Die ältere Dame im Pelzmantel trat eingeschüchtert ein paar Schritte von dem Regal zurück und versuchte dem abfälligen Blick des blonden Rockers auszuweichen, der sie demonstrativ von oben bis unten musterte.

      „Ist doch sowieso Second-Hand, eingebildete Tussi“, murrte er verächtlich und deutete auf den Mantel. „Ich hoffe, Ihnen zieht auch mal jemand das Fell ab.“

      „Hey, Bjorn! Die hier?“, rief Marcus, der ein paar Schritte weiter nachdenklich die Waren begutachtete und deutete auf eine Schachtel mit Schokoladenkeksen.

      Der Rocker wandte sich seinem Begleiter zu und schüttelte mit dem Kopf. „Alkohol drin.“

      „Mann, denen gönnt man ja gar nichts.“

      Bjorn zuckte mit den Schultern. „Er ist selber schuld.“

      „Pfff. Unverschämtheit. Sie tragen doch selbst eine Lederjacke, junger Mann“, verteidigte sich die Frau.

      „Erstens: Kühe sind nicht vom Aussterben bedroht, und Zweitens: sie werden nicht nur wegen ihrer Haut gezüchtet, sondern es wird fast alles verwertet. Ganz im Gegensatz zum Hermelin, wo der Rest einfach in den Abfall geworfen wird.“

      Er griff nach einer anderen Packung Feingebäck, warf sie in seinen Einkaufswagen und deutete Marcus, der die Dame breit grinsend anstarrte, mit einem Kopfnicken an, dass er weiter wollte.

      „Sie müssen ihn entschuldigen“, wandte Marcus sich nun seinerseits an die Dame. „Wissen Sie, letztes Jahr, als es im Herbst so gestürmt hatte, wurde er unter einem Baum eingeklemmt. Er lag stundenlang im eiskalten Regen, als ein flauschiges Kaninchen auftauchte und den ganzen Baumstamm über ihm durchnagte. Seitdem hat er sich auf die Seite der Vierbeiner geschlagen und …“ Bjorn packte ihn prustend am Arm und zog ihn mit sich, während die alte Frau ihnen kopfschüttelnd hinterher schaute. Sie hörten sie noch irgendetwas murren, doch die Flüche wurden durch ihr eigenes ausgelassenes Gelächter übertönt.

      „Wie wär’s mit etwas Obst?“, fragte Marcus, nachdem die beiden wieder zu Atem gekommen waren.

      Bjorn nickte. „Kann ich ihm heute Nachmittag mitbringen. Ins Paket dürfen nur originalverpackte Sachen rein.“ Er sah sich suchend um. „Wo ist der verdammte Instantkaffee?“

      Dass sein Vater in Wormwood Scrubs einsaß, war schon schlimm genug, doch dessen ständige Wutausbrüche führten auch noch dazu, dass die Besuchstermine immer wieder gestrichen wurden, und Bjorn gezwungen war, auf die wenigen verbleibenden Gelegenheiten zurück zu greifen.

      „Wie geht’s ihm eigentlich?“, erkundigte sich Marcus.

      „Fühlt sich wie immer ungerecht behandelt.“ Bjorn verzog leicht genervt das Gesicht, und drehte einmal schwungvoll den Kopf, um die langen blonden Strähnen wieder nach hinten zu befördern, während er sich über die Orangen beugte.

      „Aber mal was anderes“, wechselte Marcus das Thema. „Arthur hat angerufen und gefragt, ob wir übermorgen spielen könnten.“

      „Klar, bin dabei. Hat er noch was gesagt?“

      Der Sänger von Destruction Crape grinste breit. „Jup. Ich soll dich grüßen und du sollst weniger saufen.“

      *

      Bjorns Gedanken schweiften zurück zu jenem Tag, als der Asphalt ihm die Haut von der Wange riss, dass sie aussah, als hätte ein sadistischer Bildhauer ihn mit einem Stück Holz verwechselt, und eingehend mit Schmirgelpapier bearbeitet. Doch angesichts eines drohenden monatelangen Krankenhausaufenthalts, wenn er Glück gehabt hätte, war dies eine kaum erwähnenswerte Verletzung. Denn eigentlich war der Bus drauf und dran, ihn frontal zu erwischen. Doch statt meterweit die Straße hinunter geschleudert zu werden, wurde er vorher von etwas anderem erfasst, so schnell und kraftvoll, dass er erst dachte, der Bus wäre von einem Ferrari überholt worden. Er landete auf der anderen Seite der Straße, während der Doppeldecker an ihm vorbeifuhr und der Fahrer ihm empört den Vogel zeigte. „Du solltest mehr auf die Strömung achten.“ Die ersten Worte, die er nie vergessen hatte. Sie kamen aus dem Mund von Arthur Kruger, der ihn von der Fahrbahn gerissen, und so vor dem Unfall bewahrt hatte. Der Beginn einer innigen Freundschaft, die schon bald eher einem Vater-Sohn-Verhältnis glich. Bis heute war er sich sicher, dass Arthur Strömung gesagt hatte, obwohl dieser rigoros behauptete, dass er vom Verkehrsstrom geredet hätte. Doch wie könnte der Altrocker etwas von seinen Tagträumen wissen, die ihn immer wieder auf hohe See hinaustrieben oder in irgendwelchen martialischen Schlachten gefangen hielten? Der Einzige, dem er je davon erzählt hatte, war Marcus, als sie sich über die neuen Songs unterhielten, die Bjorn geschrieben hatte. Aber das war erst viel später.

      *

      Als die beiden den Supermarkt verließen, hatte es draußen, ganz entgegen der Wettervorhersage, wie aus Eimern angefangen zu gießen, und der Wind peitschte den beiden das Wasser in unregelmäßigen Böen ins Gesicht. Bjorn fluchte und zog seine Lederjacke am Kragen zusammen.

      „Ich hoffe, du schaffst es nachher“, murmelte Marcus zum Abschied.

      „Wir schaffen es nicht!“

       Bjorn drehte leicht das Gesicht zur Seite, als die Gischt donnernd über die Reling fegte.

      „Hast du etwa Angst?!“ Die Worte kamen aus Björns Mund, sie übertönten den Sturm, doch sie klangen rau

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