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sie dich.“

      Tränen strömten mit einem Mal über ihr Gesicht. „Ich kann nicht“, wimmerte sie, löste sich aus seinem Griff und rannte hinaus.

      „Wenigstens hat Miss Smith uns mit einem hervorragenden Spurt beehrt“, hörte man den Juror mit amüsierter Stimme. „Nun gut, kommen wir zur nächsten Teilnehmerin …“

      Shornee saß in der Umkleidekabine und weinte, zitterte unter dem niederschmetternden Gefühl von Scham und Angst. Irgendwo, tief in ihrem Innern hörte sie unzählige Rufe, die sie verhöhnten. Sah Augen, die sie mit Ekel und Abscheu betrachteten.

      Pete klopfte kurz an und betrat die Mädchenumkleide.

      „Shornee?“

      Das Mädchen gab ein leises gurgelndes Geräusch von sich, als sie unter Tränen nach Luft schnappte.

      Pete ging vor ihr in die Hocke und betrachtete ihr Gesicht.

      „Weißt du, was du da gerade getan hast?“

      Sie antwortete nicht. Die Stimmen in ihrem Kopf waren noch nicht verstummt.

      „Shornee! Weißt du, was du da gerade getan hast?!“

      Hinter ihm öffnete sich erneut die Tür, als er nach den Schultern des Mädchens griff. Shornee sah verzerrte Gesichter und Hände, die auf sie zukamen. Mit einem entsetzten Kreischen, wich sie ruckartig vor den Händen zurück und zog die Beine vor ihre Brust.

      „Weg, von meiner Tochter“, zischte hinter ihm die Stimme ihrer Mutter.

      „Shornee ist …“, Pete wusste in diesem Augenblick nicht, ob er sich über die Anwesenheit von Ann Smith freuen sollte. Shornees Mutter schien jedenfalls nicht sehr erbaut darüber, ihn hier anzutreffen.

      „Gehen Sie weg!!!“, brüllte sie ihn an.

      Pete drehte sich zu ihr um, und im gleichen Augenblick brannte seine Wange von einer klatschenden Ohrfeige.

      „Mistkerl“, flüsterte sie.

      Endlich zog sich die panische Kälte aus Shornee zurück. Die Stimmen verstummten, und sie blickte sich verwirrt um.

      „Mum?“

      Ann wandte sich um und nahm ihre Tochter sanft in den Arm. „Keine Angst, Engelchen“, murmelte sie. „Wir gehen nach Hause.“

      Pete spürte, wie seine Wange vor Hitze pulsierte. Er war sicher, dass man die Fingerabdrücke mindestens zwei Tage lang sehen würde. Doch so langsam begann er zu begreifen, wie Mrs. Smith die Situation verstanden hatte.

      „Hören Sie, ich wollte ihr nur ...“

      „Sie brauchen gar nichts weiter zu sagen“, fuhr sie ihm ins Wort. „Ich habe genug gesehen! Wenigstens weiß ich jetzt, wo ihre ständigen Albträume herkommen.“

      „Aber …“

      Anns Stimme überschlug sich fast, als sie Pete die rasende Wut einer Mutter entgegen kreischte. „Raaauuuus!“

      Pete nickte langsam und verließ die Umkleide. Die Frau war zu aufgebracht, um mit ihr reden zu können, und er nahm sich fest vor, sie am nächsten Tag anzurufen und das Missverständnis aufzuklären. Doch zu einer Aussprache sollte es nie kommen. Stattdessen wurde er am darauffolgenden Morgen wegen dem Verdacht auf Missbrauch Schutzbefohlener verhaftet.

      *

      Glasgow, 28. Juli 2010

      Kent Larson hielt den Atem an und beobachtete, wie Shornee zwischen den knarrenden Holmen des Stufenbarrens hin- und herflog. Seine Augen folgten jeder einzelnen ihrer geschmeidigen Bewegungen, bis sie schließlich mit einem eleganten Salto abging und sicher auf beiden Füßen landete. Sie atmete einen kurzen Augenblick tief durch, bevor sie sich strahlend zu ihm umdrehte.

      „Und?“

      Er nickte langsam. „Wie viel Zeit willst du eigentlich noch verschwenden?“

      Shornee blickte zu Boden.

      „Du bist jetzt achtzehn Jahre alt, Shornee. Weißt du, was das heißt?“

      Sie nickte betreten.

      „Du bist in diesem Sport schon eine alte Oma.“

      Der sintflutartige Regen, der seit einigen Minuten aus den niederdrückenden grauen Wolken gegen die Fenster der Turnhalle prasselte, verwandelte sich in ihrer Erinnerung in das Getöse der Zuschauer, die sich für die Leistung der Wettkampfteilnehmer begeisterten.

      „Sie ….“

      „Was?“ Kents Stimme klang gereizt. Er wusste genau, was sie sagen würde.

      „Sie hassen mich“, murmelte Shornee.

      “Ich kann diesen Blödsinn nicht mehr hören!“ Kent wandte sich mit einem verächtlichen Schnauben wieder einer zwölfjährigen Turnerin auf dem Schwebebalken zu. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich auf irgendwelche endlosen Diskussionen einzulassen.

      Shornee kämpfte verkrampft gegen ihre Hemmungen an, bevor sie einen weiteren Versuch startete.

      „Aber … wie war ich, Kent?“

      „Weltklasse, wie immer“, brummte er unwillig, ohne sich umzudrehen und konzentrierte sich wieder auf das Mädchen am Schwebebalken: Die neue große Hoffnung des Vereins.

      Als sich Shornee nach dem Training auf den Heimweg machte, war ihre Laune wieder auf dem Tiefpunkt. Nicht nur, dass die dichte Wolkendecke immer noch dabei war, Ballast abzuwerfen, und sie bereits nach den ersten Metern völlig durchnässt war. Sehnsüchtig schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit, als Pete noch das Training leitete. Sicher waren auch ihm die Wettkämpfe wichtig, doch er hätte sie auch nach dem damaligen Fiasko niemals links liegen gelassen, sondern sie weiter gefördert. Noch immer machte sie sich schwere Vorwürfe, dass sie damals zu scheu gewesen war, ihn vor Gericht zu entlasten. Dass er dennoch frei gesprochen wurde, hatte jedoch nicht verhindern können, dass der Verein sich von ihm trennte.

      Shornee schlurfte missmutig die Straße entlang. Eigentlich sollte sie über die Ängste einer Elfjährigen schon längst hinweg sein, und unter ein bisschen Lampenfieber hatte doch jeder zu leiden.

      Als sie endlich zu Hause ankam wurde sie von dem durchdringenden Geruch nach gebratenem Speck, Zwiebeln und Knoblauch empfangen. Ihre Mutter kochte mal wieder Nudeln. Doch selbst die Aussicht auf ihren Lieblingskohlenhydratspender konnte ihre Laune diesmal nicht heben. Wütend warf sie ihre Trainingstasche in eine Ecke, streifte die Schuhe von den Füßen und verkroch sich in ihr Zimmer.

      „Shornee?!“ Ann stellte die Abzugshaube aus und lauschte. Eine Tür wurde zugeknallt, und kurz darauf erbebte die kleine Drei-Zimmer-Wohnung von dröhnendem Punkrock.

      Sie hatte sich schon immer gefragt, wie ein schüchternes stilles Mädchen auf diese Musik gekommen war. Seufzend streifte Ann ihre Schürze ab und klopfte an der Zimmertür ihrer Tochter.

      „Engelchen?“

      „Büm müscht da!“, brüllte Shornee von der anderen Seite der Tür, ohne ihr Gesicht aus dem Kopfkissen zu nehmen.

      Ann trat behutsam ein, drehte die Musik etwas leiser und setzte sich zu ihr auf die Bettkante.

      „Das Training lief wohl nicht so gut?“. Sie strich ihrer Tochter sanft übers Haar.

      „Üsch geh nüscht mehr hüm.“

      Ann zog leicht die Augenbrauen hoch. „Aber du liebst doch das Turnen.“

      Shornee setzte sich mit einem Ruck auf. „Aber was bringt das? Kent beachtet mich doch kaum. Wie soll ich denn besser werden, wenn mich keiner korrigiert!“

      „Hast du mal mit ihm darüber geredet?“

      Shornee pustete sich trotzig eine Strähne ihrer langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. „Bringt doch nichts. Seit

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