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Der bittere Kuss meiner Mutter. Jan Carroll
Читать онлайн.Название Der bittere Kuss meiner Mutter
Год выпуска 0
isbn 9783752944334
Автор произведения Jan Carroll
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Meine Güte, Brownie, du bist glühend heiß. Zieh dieses blöde Ding aus!“
Ich zog ihre Daunendecke herunter.
„Wo ist dein Waschlappen?“
„Der hängt doch über dem −−“, versuchte sie zu erklären, während sich ihre Augen in Richtung ihres Schrankes drehten.
Ich fand ihn.
„Ich bin sofort wieder da“, rief ich ihr zu während ich ins Badezimmer eilte und den Waschlappen unter kaltes Wasser hielt, um ihn dann auf ihre Stirn zu legen.
„Fühlt sich das gut an, Brownie?“
Sie nickte.
„Mein Gott, Brownie, man könnte ein Spiegelei auf deinem Kopf braten.“
Ich ging wieder ins Badezimmer, um den Lappen erneut unter kaltem Wasser abzukühlen. Nachdem ich das ein paar Mal gemacht hatte, kühlte Brownie etwas ab. Ich saß auf ihrer Bettkante und wehte ihr Wind mit einer Feder zu, die ich aus der Daunendecke herausgezogen hatte. Es war zwar keine Straußenfeder, aber immerhin besser als gar keine.
„Ist das gut so, Brownie?“, fragte ich besorgt.
„Sehr schön, Janny.“
„Wenn du durstig bist, kannst du an dem Waschlappen saugen, oder soll ich dir lieber ein Glas Wasser bringen?“
„Der Lappen“, antwortete sie schwächlich und schlief kurz darauf ein.
Am nächsten Morgen waren die Pocken sichtbar und Brownie musste auf die Krankenstation. Vorher wollte ich aber unbedingt noch, dass sie mich von oben bis unten anhauchte, damit ich ihr so bald wie möglich im Krankensaal Gesellschaft leisten konnte. Die Tage vergingen, aber ich bekam keine Windpocken. Sicherlich hatte ich Fieber. Ich fühlte meine Stirn, aber sie war kalt wie eine Gurke aus dem Kühlschrank. Weitere Tage vergingen – immer noch nichts. Es passierte nicht, wie ich es geplant hatte. Während der Mittagsruhe lag ich auf meinem Bett und untersuchte mich. Aha, da war doch ein roter Fleck auf meinem Bauch! Ich konnte es kaum abwarten, den Fleck Mutter Scott zu zeigen und zu proklamieren, dass ich die Windpocken hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ich zu ihr aus diesem Grund kam. Sie lächelte, als sie ihre Hand an meine Stirn hielt.
„Innen im Kopf ist es so komisch heiß“, sagte ich hoffnungsvoll.
„Und hier ist der erste Pocken!“, fügte ich aufgeregt hinzu.
„Wo?“, fragte Mutter Scott.
„Auf meinem Bauch“, antwortete ich, während ich auf den Punkt zeigte.
„Ich glaube nicht, dass du die Windpocken hast“, sagte sie ruhig zu mir.
Mein Gesicht fiel zusammen.
„Aber wir sollten trotzdem mal gucken.“
Bevor sie ihre Meinung ändern konnte, war mein Rock hochgezogen und mein nackter Bauch kam zum Vorschein. Wir suchten. Verflixt noch mal, wo war denn noch mal der Fleck?
„Hier ist er!“, rief ich triumphierend und zeigte auf den Fleck, der eigentlich ein Schönheitsfleck auf meiner Hüfte war, den ich gerade das erste Mal sah.
„Hmmm“, sagte Scotty und schaute etwas genauer hin. Dann sah sie in mein erwartungsvolles Gesicht.
„Ja, das reicht für einen Besuch auf der Krankenstation“, stellte sie bemitleidenswert fest.
Als ich in den Krankensaal kam, jubelten meine Schulkameraden mir zu. Ich war begeistert, dass mir das Bett direkt neben Brownie zugeordnet wurde.
Brownie sah wirklich ekelhaft aus. Ihre Pocken hatten sich über ihren ganzen Körper ausgebreitet und der Schorf war sogar in ihren Haaren.
„Oh Gott, Brownie, wie ekelerregend!“
„Ja“, sagte sie heiter. „Wo sind denn deine Pocken?“
„Hm, die sind noch nicht voll herausgekommen, aber hier ist die Erste, siehst du?“ Ich hob meinen Rock hoch.
Alle lachten laut los, als ich auf meinen Schönheitsfleck zeigte. Die diensthabende Nonne kam sofort herein.
„Bitte Kinder, Ruhe im Krankensaal!“
Sie entdeckte mich.
„Oh Jan, du bist es.“
Sie sah hoch zum Himmel. Offensichtlich war sie eine von den Heiligen, deren Heiligtum in diesem Moment auf die Probe gestellt wurde.
„Alle bitte zurück in die Betten. In einer Minute werde ich Fieber messen.“
Das war okay, denn sie konnte mich jetzt nicht mehr herauswerfen, auch wenn ich kein Fieber hatte. Sie schaute lange auf das Thermometer, nachdem sie es aus meinem Mund herausgezogen hatte, sah mich an und schüttelte es stark. Ich sah sie mit den liebsten Augen an, die sehr überzeugend auf sie gewirkt haben mussten. Sie schrieb etwas in ihr Buch und ging dann zur nächsten Patientin. Ich lächelte hinüber zu Brownie. Ich hatte es geschafft.
Somit verging der nächste Tag und der Folgende, während wir auf meine Windpocken warteten... aber nichts – nicht eine Einzige kam zum Vorschein. Am dritten Tag war klar, dass ich keine Windpocken hatte und auch keine bekommen würde. Ich wurde aus der Krankenstation entlassen, aber gottseidank wurden zwei meiner besten Freundinnen auch entlassen, denen es jetzt besser ging. Allerdings ging ich vorher noch mal zu Brownie und berührte jede ihrer Pocken und strich durch ihr Haar, fasste mich dann selbst überall an. Ich forderte sie auf, noch einmal stark in meinen Mund zu pusten. Sie hatte sogar auf ihrer Zunge Windpocken! Auch das war umsonst. Ich bekam die Windpocken nicht.
Obwohl ich später in meinem Leben oft der Krankheit ausgesetzt war, wurde ich nie angesteckt. Im nächsten Jahr war fast die ganze Schule an Mumps erkrankt. Wir hatten gelernt, wie wir akute Krankheiten unter uns ausbreiten konnten. Dazu benutzen wir unsere Tücher, die wir in der Kunstklasse benutzten. Erst wuschen wir sie aus und als sie getrocknet waren, wurden sie auf die Brust eines erkrankten Mädchens gelegt, die es wiederholt anhauchte und es dann an die Besitzerin zurückgab, die es sich ebenfalls auf die Brust legte und fieberhaft betete. Natürlich versuchte auch ich diese Methode, Mumps zu bekommen und stellte mich anschließend in die Reihe der kranken Mädchen, um wie alle anderen meine Medizin nach dem Abendessen entgegenzunehmen. Als ich näher an Mutter Scott kam, versuchte ich, meinen Hals dick aussehen zu lassen. Ich drückte meinen Kopf in meinen Nacken hinein und setzte einen ernsthaft kranken Blick auf. Als ich endlich vor ihr stand, schaute sie mich nicht länger als drei Sekunden an und schüttelte mit dem Kopf. Das gleiche Theater machte ich unbeirrt drei Abende hintereinander. Aber so stark ich mich auch anstrengte, mein Hals wurde nicht dicker und ich schaffte es nicht noch mal, auf die Krankenstation zu kommen. In meinem ganzen Leben habe ich keinen Mumps bekommen. Forschungsbedürftig!
Es geschah während eines Schuljahres, als meine Mutter wieder weg war – ich hatte keine Ahnung, wo sie war. Die ruhige Unterrichtsstunde wurde von Mutter McGee unterbrochen. Sie verkündete, dass ein großes Paket aus Amerika angekommen sei – ohhh aus Amerika! Und dass das Paket für Jan Carroll sei. Alle drehten sich zu mir um und starrten mich an, was mir sehr peinlich war. Meine Mutter war also in Amerika! Warum musste sie mich von so weit her vor meinen Klassenkameradinnen in Verlegenheit bringen? Ich erinnerte mich, dass sie ein paar professionelle Fotos von mir mit nach Hollywood nehmen wollte. Ich verstand nicht, warum sie das tun wollte, aber Jahre später fand ich heraus, dass sie die Fotos sowieso vergessen hatte.
„Möchtest du das Paket aufmachen, Jan?“
Ich war total verlegen, als ich anfing, das Paket aufzumachen, das fast so groß war wie ich. Was immer da drin war, es war extrem gut verpackt. Meine Freundinnen mussten mir helfen, das Papier wegzuschneiden, das fest um die Überraschung gewickelt war. Endlich kamen blonde Locken zum Vorschein - blonde Locken um ein cherubinisches Babygesicht – eine Puppe! Danach wurden Arme und Beine sichtbar, der Bauch ... und endlich die ganze Puppe. Es war keine einfache Puppe, denn sie sah fast lebendig aus. Es war eine Puppe, die noch keine von uns vorher gesehen