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Es ist nicht nur eine Verteilungsfrage von Geld und staatlichen Leistungen, sondern eine existenzielle Wertefrage -und hier insbesondere im Gesundheitswesen- die zur Reflexion drängt. (Vgl. Band 1)

      Herr Thamer, der 1. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, äußerte sich bezüglich der neuesten Gesundheitsreform für 2009 hinsichtlich der neu einzuführenden und nun seit 9.2.2009 boykottierten Regelleistungsvolumina in NRW, klar und deutlich: Er habe „die Schnauze voll“ (Ruhr Nachrichten, 10.2.2009). Diesem emotionalen Statement kann ich mich aufgrund der generellen Politik im gesamten Gesundheitswesen und insbesondere hinsichtlich der mit den Psychologischen Psychotherapeuten in den letzten 11 Jahren exerzierten Politik, nur anschließen: Er spricht mir in diesem Punkt voll aus dem Herzen!

      Um den Kreis thematisch zu schließen, greife ich nochmals die Täter-Opfer-Problematik und den damit realiter aufzeigbaren Umgang in der Gesellschaft auf und sage: Es kann nicht sein, dass es erklärtes Ziel der Politik ist, alle Menschen im Staate zu Opfern werden zu lassen. Im Grundgesetz wird von Freiheit und Gleichheit gesprochen.....wo sind sie geblieben?

      Einleitung

      Aus aktuellem Anlass eröffne ich das vorliegende Buch mit der Mitteilung, dass die Zahl der psychisch erkrankten Menschen europaweit zunimmt − auch in Deutschland. Der DAK Gesundheitsreport 2009 stellt aufgrund einer Umfrage von 3000 Beschäftigten zwischen 20 und 50 Jahren fest, dass 5 % der Befragten im Büro schon mal mit Medikamenten ihre Konzentration, Stimmung oder Leistungsfähigkeit verbesserten: „Hochgerechnet wären dies rund 2 Millionen Deutsche. Etwa 800 000 Beschäftigte nehmen demnach regelmäßig Psychopharmaka, um den Arbeitsbelastungen besser gewachsen zu sein. 2008 waren psychische Erkrankungen bereits der vierthäufigste Grund für eine Krankmeldung.“ (Ruhr Nachrichten: „800.000 Deutsche dopen sich für den Job.“ 13. Februar 2008)

      Von der Politik wird das Thema zwar aufgegriffen, Statistiken in Auftrag gegeben oder, wie im Falle der Menschen mit Migrationshintergrund, sogar mittels teurer Studien dokumentiert, doch in der Praxis wird den Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten das Leben und Arbeiten aus vielerlei Gründen fast unmöglich gemacht. Statt zu heilen, müssen Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte gezwungenermaßen urteilen. Folgt man den Auswirkungen der Gesundheitsreform in die tägliche Praxis, unterliegen offiziell durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) niedergelassene und zugelassene Behandler aus existenziellen und politischen Gründen einem Beurteilungszwang und zwar in vielerlei Hinsichten. Das Urteil hat nichts mit dem Patienten oder dem Arzt an sich zu tun. Es resultiert aus ökonomischer Systematik reformerischer Konzeptionen für die Gesundheitswirtschaft und unmenschlich zunehmender Bürokratisierung. Grob gesprochen, sind Behandler aus eigenen existenziellen Problemen heraus gezwungen, zwischen privaten und gesetzlich versicherten Patienten zu differenzieren und zum anderen aus politischen Gründen, die ihnen durch Gesundheitsreform und nun auch noch von Krankenkassen, die seit 2008 gern haarfeine Differenzierungen und vollständige Aufzählung der Symptome in Diagnosen hätten – um den Versicherten anschließend, im Falle der wiederholten Mitteilung gleicher Diagnosen über zwei Jahre hinweg eine Zusatzversicherung im Rahmen von Chronifizierungen von Krankheitssymptomen „anbieten“ zu können“. Die näheren Zusammenhänge werden im vorliegenden wie im Band zur Heillosen Kultur aufgegriffen.

      Unzählige Interessenten aus Wirtschaft und Staat möchten gern an Ärzten und Patienten mitverdienen. Weder Mensch noch Patient und Arzt spielen eine persönliche Rolle, wenn das Fließband der Ökonomie einteilt, was sein darf und was nicht sein darf. Es spielt auch keine Rolle, wie krank Menschen aufgrund wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen werden. Es wird stur an der Ökonomisierung von Mensch und Krankheit festgehalten. Wird ein Mensch krank, soll er selber dafür zahlen: ihm fehlt halt’ die Robustheit.

      Statt Zwangsurteile aufgrund von Krankenkassenzugehörigkeiten, also gesetzlich oder privat versichert, über Patienten wegen eigener wirtschaftlicher Nöte für Behandlungen fällen zu müssen, sollten Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten ihr Urteil über gesellschaftspolitische Entwicklungen und wirtschaftliche Einflüsse hinsichtlich Krankheitswert und Unmenschlichkeit auf gegenwärtig lebende Menschen mitteilen dürfen.

      Zu allem Überfluss wird diejenige Berufsgruppe, die sich um die Seele und die psychische Entwicklung und Verarbeitung von Konflikten im Menschen kümmert, politisch und wirtschaftlich systematisch zermürbt und reduziert. Dazu ist im Rahmen der Etablierung der Gesundheitsreformen und der Etablierung der Gesundheitswirtschaft so ziemlich jedes Mittel recht. Unter anderem eben auch die Stigmatisierung von Patienten, die unspezifische Diagnosen aus dem psychotherapeutischen Formenkreis (zum Beispiel von ihrem Hausarzt) bekommen und auch von Behandlern, die in diesem Fachbereich tätig werden, wie beispielhaft im vorliegenden Buch mitgeteilt wird. Aber auch für Patienten hat es Konsequenzen, auf die Dieter Best, Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPTV) Ende Januar 2009 hinwies: „Personen mit einer psychischen Diagnose in der Vorgeschichte haben immer noch soziale und ökonomische Nachteile zu erwarten.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 2, 2009, S. 52) Die Nachteile können zum Beispiel zutage treten, wenn die Krankenkasse gewechselt wird und ein privater Krankenversicherer Versicherungswillige wegen psychischer Vorerkrankung nicht aufnimmt.

      Zu diesem ökonomischen Zweck rotieren verschiedene machtpolitische Strukturen, von denen ich eine sofort aus aktuellem Anlass aufgreifen möchte:

      Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, beantwortet die Feststellung der Interviewer „Trotzdem kämpfen Sie immer noch mit Imageproblemen“ anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Psychotherapeutengesetzes bezüglich Psychotherapie wie folgt: „Ja, das ist richtig. Die gehen so weit, dass manche Experten nicht mehr von Stigmatisierung psychisch Kranker, sondern von der Stigmatisierung der Psychiater sprechen.“ Unerfindlich ist, weshalb Richter hier ausschließlich die Psychiater nennt, statt Psychologische Psychotherapeuten, gegen die massiv politisch und finanziell seitens der Ärzteschaft und Politik vorgegangen wird. Der Zusammenhang erhellt sich in der Ergänzung: „Wir sind da manchmal von unseren eignen Zahlen überrascht. Die Präferenzen für Psychotherapie als alternative oder ergänzende Pharmakotherapie sind ganz erstaunlich. Psychotherapie ist ein langsamer und langwieriger Behandlungsprozess. Die Selbstaktivierungskräfte werden bei diesem Prozess angeregt, und daraus resultiert die langfristige Wirksamkeit Psychotherapie als ERGÄNZUNG, DAMIT EIN SCHWER PSYCHISCH KRANKER SPÄTER IM LEBEN WIEDER KLARKOMMT UND WIEDER FUß FASSEN KANN, ist gar nicht mehr wegzudenken. Und das ist bei den Patienten angekommen.“ (Gieseke & Rabbata, 2009, S. 9, Hervorhebung M.E.)

      Ich möchte dazu sehr deutlich, klar und nachdrücklich sagen: Ich habe meine Berufsausübung bisher nicht als Ergänzung irgendeiner ärztlichen Tätigkeit gesehen!!! Aber: Es gab Zusammenarbeit mit zahlreichen Ärzten auf Augenhöhe! Meine Patienten kommen in der Regel ohne Psychopharmaka auf die Beine und in ihr Leben zurück. Im Gegenteil kommen oftmals Patienten mit Psychopharmaka voll gepumpt und verzweifelt in meine Praxis, weil sie ohne Hilfe nicht wissen, wie sie aus medizinisch verordneten pharmakologischen Behandlungen hinausgelangen sollen. Weiter wüsste ich auch nicht, weshalb wir einen eigenen, gesetzlich bestätigten Berufsstand bilden sollten, der sich dann einem anderen Berufsstand unterordnet und sich als Ergänzung eines Berufsstandes verstehen sollte, der gänzlich anders denkt und handelt. Das Psychotherapeutengesetz ist aus meinem Verständnis gesetzlich beschlossen worden, weil Psychologische Psychotherapeuten ein gänzlich anderes Menschenbild und ein gänzlich anderes Krankheits- und Gesundheitsverständnis besitzen als Medizin und Mediziner. Wenn Psychologische Psychotherapeuten sich dieser Politik im Sinne der Ergänzung und Unterordnung der Psychologischen Psychotherapie unter die Medizin anschließen und ihr Selbstverständnis samt Berufsinhalt und Berufsidentität aufgeben, dann hat Politik und medizinischer Lobbyismus erreicht, was sie wollten: Sie haben solange mit kleinen Gesetzesschrittchen und Meinungsmache gegen Seele und gegen Psychologische Psychotherapeuten manipuliert und herumhantiert, bis durch das Psychotherapeutengesetz dieser Berufsstand gesetzlich dem herrschenden Medizinverständnis einverleibt werden konnte. Sprich, bis die Parteinahme für die Seele gesellschaftlich, politisch und für den einzelnen Menschen und für den Psychologischen Psychotherapeuten gänzlich zerstört ist – und

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