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an ambivalent sowohl ökonomische Potentiale (neue Formate) als auch Risiken (neue Verbreitungswege) mit sich brachte und oftmals erst als Bedrohung wahrgenommen wurde. Mit den Branchenumbrüchen änderten sich die zentralen Akteure der Musikindustrie (Tschmuck 2009). So läutete die erste Rezessionsphase mit dem Beginn des kommerziellen Rundfunks das Ende der Ära der Musikverlage und den Beginn der Rundfunkära ein. Den vorherrschenden Tonträgerunternehmen galt der Rundfunk als Ursprung allen Übels und wurde bekämpft. „Im Krisendiskurs während der Weltwirtschaftskrise wurde das Radio zur singulären Ursache für die ökonomische Krise des Musikverlagsgeschäfts und die Arbeitslosigkeit von Musikern stilisiert“ (Dommann 2014, 179).

      Die dabei zur Aufführung kommende bezeichnende PR-Kampagne „The Murder of Music“ der amerikanischen Verwertungsgesellschaft ASCAP war „ein Meisterstück einer krisenhaften Inszenierung des Medien-wandels auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise mit dem Ziel, Gebührenforderungen durchzusetzen“ (ebd., 189). Die ASCAP griff dabei als Vertreterin der Autoren und Verleger in Fragen der Verbreitung von Musik auf neuen medialen Wegen von jeher „auf kapitalismuskritische Argumente gegen die Phono- und Radioindustrie“ (ebd., 195) zurück. Frappierend ist hierbei die Ähnlichkeit zur Kapitalismuskritik der GEMA an Google in ihrer Gegenüberstellung von Kommerz und Kultur. Ebenso die Ähnlichkeit der Kulturkritik an Tonträger und Radio mit der vor den Gefahren des Netzes. So warnte schon Anfang des 20. Jahrhunderts der Komponist John Philip Sousa mit der Metapher der „Konservenmusik“ der Phonographen „vor einer Zerstörung von Musik durch mechanische Konservierung […] eine Theorie des kulturellen Zerfalls, um seinen Berufsstand in die neu entstehenden Musikmärkte zu integrieren“ (ebd., 92).

      Schon hier kommt das Phänomen zum Vorschein, dass ein später unerlässliches Promotionforum erst als Gefahr wahrgenommen wird (siehe 3.1). Und es zeigt sich die lange Tradition der apokalyptischen Prophezeiungen im Angesicht des medialen Wandels mit ökonomischen Motiven. Die zumindest partiell ökonomisch motivierte Medienkritik zur Rettung und Adaption des arrivierten Geschäftsmodells muss dabei von fundamentaler Kulturkritik unterschieden werden, wie sie schon seit Sokrates‘ Ausführungen zum Schaden der schriftlichen Überlieferung bekannt ist (6.4.7). Ökonomisch motivierte Kritik an Medienwandel und Nutzung existiert erst seit der weit verbreiteten Verwertung medialer Produkte, also seit der Erfindung des Buchdrucks und den daraus resultierenden Urheber- und Verlegerrechten.

      Für die Musikverlage war diese Gefahr - um zur Frage des Rundfunks zurückzukehren - auch real, da sie wegen starker Umsatzeinbrüche von den Rundfunknetzwerken übernommen wurden und der Tonträger sozusagen erst mal zum Komplementärgut der Live-Übertragung degradiert wurde. Die Liberalisierung der Rundfunkfrequenzen Ende der 1940er Jahre sorgte für die nächste Rezession, unterminierte die Dominanz der großen Rundfunkindustrie und schuf mit der sogenannten „Rock’n’Roll Revolution“ dank der Entstehung eines blühenden Netzwerks an Independent-Labels und -Radios die Basis für die heute im Umbruch befindliche Tonträgerindustrie (Tschmuck 2009, 142ff.). Die seit dem Jahre 2000 einsetzende, sich momentan scheinbar dem Ende nähernde aktuelle Rezessionsphase hat zumindest zu einem großen Teil die bis dato unerreichten Umsatzhöhen dank der Einführung der CD und der damit einhergehenden Wiederverwertung bestehender Katalog wieder nahezu auf das Niveau der Vinyl-Ära reduziert. Paradoxerweise war es die in ihren Dimension und Auswirkungen noch nicht erfasste Einführung der Digitalisierung durch die CD, die erst Motor einer ungekannten Blüte der Musikindustrie war, aber schon den Keim der „Revolution“ und des „Verfalls“ in sich trug.

      Während die betroffenen Akteure der Musikbranche kurzfristig tatsächlich vom technischen und gesellschaftlichen Wandel beeinträchtigt oder gar hinweggefegt wurden, so stellten sich die Wehklagen über den Untergang der Musik auf lange Sicht bisher immer als falsch heraus und es wird landläufig eher eine sich wiederholende partielle Unfähigkeit konstatiert, die eigenen Geschäftsmodelle rechtzeitig an die neuen Strukturen und Gegebenheiten anzupassen. Tschmuck sieht dementsprechend in der Vernachlässigung und Geringschätzung der Digitalisierung den entscheidenden Grund für die Misere der Musikindustrie. Filesharing sei nur ein Symptom, aber nicht die Ursache: „So wie schon der Rundfunk in den 1920er Jahren oder die Rock’n’Roll-Revolution in den 1950er Jahren, hat die Digitalisierung und Entmaterialisierung der Musik vom Tonträger einen Strukturbruch ausgelöst, der das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk desintegriert und neu entstehen lässt“ (Tschmuck 2009, 147).

      Das „Versagen der Musikindustrie“ wird oft als Gegenargument zur einseitigen Verteufelung der Internetpiraterie angeführt. Da die beschriebenen technischen und / oder rechtlichen Veränderungen bisher immer wieder zu einem fundamentalen Wandel der Musikbranche geführt haben, bleibt jedoch die Frage, ob es sich tatsächlich um ein Versagen der Musikindustrie - ob nun geprägt von Musikverlagen, Rundfunk- oder Tonträgerkonzernen - handelt, oder ob die „alten“ Akteure und Strukturen nicht zwangsläufig zu systembedingten Opfern gesellschaftlicher Evolution werden und die nachträgliche Kritik an mutloser und falscher Entscheidungsfindung also die Dynamik der Situation unter- und die Adaptionsfähigkeit der Musikindustrie überschätzt.

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