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Qualitätseinbußen. Die Gründe für steigenden Musikkonsum sind jedoch zu vielschichtig, um sie auf einen Faktor zu reduzieren (Handke 2012). Des Weiteren muss steigender Musikkonsum selbstredend nicht mit steigender Qualität einhergehen.

      Waldvogel versucht aus diesem Grund den Nachschub an hochwertiger Musik zu messen, in dem er vorrangig Journalistenhitlisten (z.B. “best-of-the-decade” lists) vergleicht und dabei untersucht, ob seit Napster weniger Neuerscheinungen in diese Liste aufgenommen wurden (vgl. 2011). Da reine Verkaufszahlen wegen der Umsatzeinbrüche und hohen illegalen Verbreitung irreführend seien und die simple Zahl der Neuveröffentlichungen ebenso, da viele von ihnen nur sehr geringe Resonanz erzeugen würden, versucht er über die „unabhängige“ Qualitätsinstanz der Musikkritik ein geeignetes Maß für den Nachschub an guter Musik zu finden und kommt zu dem identischen Urteil, dass „[b]ased on the post-1999 trends, there is little evidence that the supply of new works has increased or contracted since Napster“ (ebd., 21). Er macht einen Schwund neuer Werke aus, der aber schon Mitte der Neunziger Jahre einsetzte, was wiederum auf andere Ursachen der „Musikkrise“, wie Kommerzialisierung und Entwertung, hindeutet. Des Weiteren bleibt zu bedenken, dass „because there were no changes in the returns to creating music in the periods of high output, it appears that supply varies over time for reasons unrelated to the incentive effects we seek to examine in this study” (ebd., 16). Sprich: Ein direkter und simpler Kausalzusammenhang zwischen copyrightbedingten Produktionsanreizen und der Produkt- bzw. Musikqualität lässt sich nicht herstellen.

      Dennoch bleibt es ein Verdienst dieser Studie, einen qualitativen Maßstab in die Debatte einzuführen, der bei der Analyse der Situation von Superstarts und Neulingen nicht nur Umsatzrückgang bzw. Verteilung berücksichtigt. Die Zahl der Produktionen scheint auf Grund der Demokratisierung der Produktions- und Vertriebsmittel trotz der sinkenden Umsätze von Recorded Music stabil. Die neue Möglichkeit für unzählige Künstler, die eigene Musik kostengünstig an den Mann bzw. die Frau zu bringen scheint zumindest bisher stärker zu sein als die vermutete Produktionsabschreckung durch Piraterie. Nichts desto trotz bleibt die finanzielle Situation der meisten Musiker prekär (siehe 3.5). Über die Qualität der Neuerscheinungen lassen sich nur schwerlich Aussagen treffen, die Studie von Waldvogel belegt zumindest keinen direkten Zusammenhang zwischen illegalen Downloads und einem zu bemerkenden Qualitätsschwund. Andere erkennen einen mehr oder weniger alten Trend zur Monotonisierung, verbunden mit einem Hang zur „Retromania“ (Lanier, Reynolds, Sierra et. Al). Dabei lässt sich aber kein eindeutiger Zusammenhang zum Zustand des Urheberrechts herstellen. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass Adorno schon 1947, wie gesehen, über die Monotonie der Kulturindustrie klagte. Vielmehr handelt es sich hier um ein komplexes Geflecht aus kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Effekten:

      “The diffusion of digital copying technology has led to much discussion of copyright reform. Almost all major markets have sought changes in copyright policy. However, it may be misleading to base copyright policy on the assumption that there is a strong, positive relationship between excludability and content creation under current market conditions. To be sure, technological change in the copyright industries makes it hard to isolate the effects of unauthorized copying. Further empirical research on this matter is needed“ (Handke 2012, 25). [64]

       3.4 Lage der Veranstaltungsbranche: Konzert als Plattenersatz?

      Um ein vollständigeres Bild von der Situation der Branche zu erhalten, muss auch das an Bedeutung gewonnene Geschäft mit Konzerten und anderen sogenannten Komplementärgütern in den Blick genommen werden. Mortimer et al. bestätigen in ihrer Studie des amerikanischen Musikmarktes den Zusammenhang zwischen sinkenden Verkaufszahlen und der Existenz kostenloser Alternativen im Internet, erkennen aber im Wachstum des Komplementärgutes Live-Konzert die Möglichkeit, große Teile der erlittenen Umsatzeinbrüche zu kompensieren. Vor allem kleinere Musiker würden von der Chance profitieren, über das Internet auf die eigene Musik aufmerksam zu machen. Die legale wie illegale Präsenz der eigenen Musik diene somit vor allem als Werbemittel für eine erhöhte Live-Präsenz. Mehr Konzerte zu höheren Preisen deute auf eine höhere Nachfrage hin, die auf die digitalen Kommunikations- und Distributionswege zurückgeführt werden. Schon bekannte Künstler würden diesen Effekt jedoch nicht spüren und daher einseitig am Verlust der Albumeinnahmen leiden (Mortimer et al. 2012):

      „Music for large artists was likely widely available prior to Filesharing, and as a result it is not surprising that demand for those artists’ concerts would have been largely unaffected by file-sharing. Similarly, the decline in album sales is much more pronounced for large artists than for small artists” (ebd., 14). Betrachtet man die Konzert- und Albumumsätze nach Mortimer et al., so scheint die Korrelation zwischen sinkenden Album- und steigenden Konzertzahlen ebenso eindeutig wie der Zusammenhang zwischen wachsendem Filesharing und sinkenden Albumverkäufen. Die signifikante Steigerung von Konzertzahlen und Preisen wird auf eine Steigerung der Nachfrage durch den rapide wachsenden Konsum von Musik zurückgeführt: „A likely explanation for the simultaneous increase in both price and quantity is that demand for concerts increased; a supply-shift alone would not result in both higher price and quantity unless other related expenses changed (e.g., the cost of transportation fell significantly for concert-goers)” (ebd., 7).

      Diese Argumentation ist insofern erstaunlich, als die gestiegene Zahl der Konzerte ein Ergebnis gestiegener Nachfrage in Folge des Filesharings sein müsse, da die Steigerung des Angebots bei gleichzeitiger Erhöhung der Preise sonst nur mit einer Änderung verbundener Kosten, wie z.B. der Transportkosten für Konzertgänger, erklärt werden könne. Genau dieser Wandel unmittelbar verbundener Kosten, nämlich der gefallenen Kosten für „Recorded Music“ ist ja aber überhaupt erst der Ausgangspunkt der ganzen Untersuchung. Wenn Mortimer et al. also argumentieren, dass „[t]o the extent that file-sharing eroded the profitability of selling recorded music, artists had an incentive to reallocate effort away from recording new albums, instead performing more frequent and/or more extensive concert tours” (Mortimer et al. 2012 6), so ist doch der nahe liegende Schluss, dass die ökonomisch motivierte verstärkte Konzentration der Musiker auf das Live-Geschäft mit einer Umschichtung der durch das Filesharing frei werdenden Gelder der Musiknutzer in Konzerte einhergeht. Die konstatierte Erhöhung des Musik-Konsums durch Filesharing mag ein Faktor sein, die ökonomische Entwertung der Recorded Music und Aufwertung der Live-Musik erscheint aber als der gewichtigere Faktor.

      Dazu der britische Musikprofessor und Rockkritiker Simon Frith: „Das liegt vor allem daran, dass wir mehr Geld für Konzerte zur Verfügung haben, weil wir kaum noch etwas für CDs oder Schallplatten ausgeben. Von einem gleichbleibenden Musikbudget von hundert Euro im Monat haben Sie sich vor einigen Jahren wahrscheinlich noch hauptsächlich Alben gekauft. Heute geben Sie vielleicht noch zehn Euro für ausgewählte Downloads aus und können so problemlos 90 Euro für ein Konzert ausgeben. Das heißt aber nicht, dass die Leute Konzerte heute als inhärent wertvoller einschätzen. Live-Auftritte haben im Vergleich zu Tonträgern ökonomisch einen anderen Stellenwert erhalten, einfach weil CDs so abgewertet wurden“ (SPIEGEL-ONLINE 2010).

      In Deutschland erlösen Konzerte mittlerweile gut doppelt so viel wie das Tonträgergeschäft, jedoch sind die Zeiten stetiger Umsatzsteigerungen in der Konzertbranche und der damit verknüpften Hoffnungen fortschreitender Konsolidierung zumindest vorläufig vorbei. Seit dem Rekordjahr 2007 waren sowohl der Umsatz als auch die Besucherzahlen der Konzert- und Veranstaltungsbranche rückläufig von 34 Millionen Besuchern 2007 auf 30,7 2009 bei einem Umsatzrückgang von 3872 auf 3173 Millionen Euro im Jahr. 2013 konnte jedoch „das schwächere Vorjahresergebnis eindrucksvoll korrigieren. Demnach stieg der Umsatz der gesamten Branche um satte 15 % auf insgesamt 3,822 Milliarden Euro, was einem Plus von 500 Millionen Euro entspricht“ (Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft e.V. 2012).

      In Anbetracht der teils horrenden Konzertpreise für die verbliebenen Superstars (zwischen 115 Euro und 359 Euro für ein Madonna-Ticket 2012 in Berlin) muss im Kontrast zur These von Mortimer et al. von einer Polarisierung im Livegeschäft ausgegangen werden, in dem wenige Künstler ihre Preise nach Belieben erhöhen können, während eine stetig steigende Zahl an kleineren Bands wegen der verschärften Konkurrenzsituation froh sein müssen, überhaupt spielen zu dürfen. Die von Mortimer et al. dokumentierte einseitige Dynamik im Konzert- und Musiksektor

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