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Werke (natürlich von dem an sich sinnvollen Wunsch nach Überschaubarkeit geleitet) mittels Absatz- und Unterüberschriften eine Struktur erzeugt wird, die sich so im Original nicht finden lässt. Um das Beispiel von oben abzuwandeln: Die Hilfslinien auf einer Landkarte fügen einem Ausschnitt der Natur ein Gitternetz hinzu, das sich zur Orientierung eignet, das aber natürlich nicht als Teil der Landschaft verstanden werden darf. Und genau diese Gefahr besteht bei vielen Darstellungen von Philosophen, weil leicht der Eindruck entsteht, Strukturprinzipien wie die Einteilung in Abschnitte seien den entsprechenden Werken entnommen – während sie in Wahrheit auf die Landschaft dieser Werke projiziert werden, um sich in ihnen besser orientieren zu können. Daraus folgt aber auch, dass es unter Umständen noch ganz andere Wege durch diese Landschaft gegeben hätte – man kann nur eben nicht wählen, wovon man nichts weiß.

      Aus diesem Grund soll hier dem Leser bzw. der Leserin zumindest soviel an Deutungshoheit überlassen werden, dass die einzelnen Kapitel zwar jeweils einen Argumentationsstrang vorlegen und versuchen, die entsprechende Philosophie einheitlich darzustellen. Darüber hinaus ist aber auf Strukturierungen bewusst verzichtet worden, um die Möglichkeit zu geben, sich auch formal einen eigenen Reim auf die Philosophen und ihre Werke zu machen. Die vorliegende Einführung versteht sich also insofern als Lese- und Arbeitsbuch, als man sich ihr am Besten mit Auge und (elektronischem) Stift widmet. Wer das tut, wird feststellen, wie sehr selbst die einfachsten Einteilungen und Notizen das Bild verändern, das man sich von einer Philosophie macht – oder, wie Nietzsche bereits vor fast 125 Jahren bemerkte: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken”[9].

      Kapitel 2

      Sokrates (469 – 399 v. Chr.)

      Die Tatsache, dass wir unsere philosophische Reise mit Sokrates beginnen lassen, wirft im Anschluss an das in der Einleitung Gesagte natürlich einige Anschlussfragen auf, zum Beispiel: Inwiefern war Sokrates der erste Philosoph? Gab es nicht schon vor ihm Menschen, die sich grundlegende Fragen über die Welt gestellt und darauf teilweise tiefschürfende Antworten gegeben haben? Und deutet die Vielzahl an verschiedenen Denkern, die in unterschiedlichen Zusammenhängen als ‚erster Philosoph’ bezeichnet wurden und werden, nicht darauf hin, dass ein solcher Titel nur völlig willkürlich, also grundlos vergeben werden kann?

      Um mit der letzten Frage zu beginnen: überhaupt nicht! Denn offensichtlich hängt das Verständnis eines Menschen als Philosoph davon ab, was für ein Verständnis bzw. welchen Begriff von Philosophie man vertritt, das gilt für den ersten ebenso wie für den zweiten oder den letzten Philosophen. Und obwohl jedem sein Philosophiebegriff natürlich selbst überlassen bleibt – steht dieser fest, ist damit auch die Menge der Menschen festgelegt, die unter den Begriff fallen: die Philosophen. Und dann ist es nur noch ein chronologisches Problem, unter ihnen einen ganz bestimmten zu ermitteln – den aller ersten Philosophen.

      Wie erläutert, liegt dieser Einführung ein Philosophiebegriff zugrunde, demzufolge sich die Philosophie auf unterschiedliche Art und Weise mit der Weltbegegnung des Menschen auseinandersetzt. Alle hier dargestellten Denker haben sich also – sportlich ausgedrückt – dadurch als Philosophen qualifiziert, dass ihr Werk sich entweder mit dieser Frage beschäftigt oder doch zumindest mit ihrer Hilfe verstehbar ist. Mit diesem Philosophiebegriff in der Hand gestaltet sich die Suche nach dem ersten Philosophen nun zwar nicht von selbst, aber doch wesentlich einfacher. Denn jetzt zeigt sich, dass es zwar bereits lange vor Sokrates Denker gab, die sich mit der Welt beschäftigt haben, nur spielte dabei (zum Beispiel bei der Beobachtung der Natur) der Mensch keinerlei Rolle; und wo der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wurde (etwa in der Medizin), da wurde er isoliert als Einzelwesen betrachtet und nicht in Bezug auf seine Begegnung mit der Welt.

      Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Sokrates tatsächlich der Erste war, der sich dieser Frage gewidmet hat und insofern zu Recht als erster Philosoph gilt, ist die Tatsache, dass er sich hinsichtlich der Welt nicht für globale Zusammenhänge (beispielsweise astronomische Berechnungen der Planetenbahnen) oder abstrakten Grundlagen (z.B. der Frage nach dem wichtigsten der Elemente) interessierte. Er stellte vielmehr den Teil der Welt in den Mittelpunkt, an dem der Mensch der Welt tatsächlich begegnet: die menschliche Lebenswelt. Um diesen Berührungspunkt von Mensch und Welt (man könnte etwas übertrieben von der Mensch-Welt-Schnittstelle sprechen) gruppiert Sokrates nun sein Denken. Die Welt ist für ihn als Philosophen nur interessant, insoweit sie für den Menschen relevant ist.

      Einer der bedeutendsten römischen Gelehrten und Politiker, Marcus Tullius Cicero (106‐43 v. Chr.), hat etwa zwei Jahre vor seinem Tod dieser Ausnahmestellung von Sokrates in seinen Gesprächen in Tusculum ein literarisches Denkmal gesetzt:

      Sokrates hat als Erster die Philosophie vom Himmel herunter gerufen und sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.[1]

      Obwohl es sich hier zwar zunächst so anhört, als sei Sokrates für Cicero zwar ein Meilenstein, aber nicht der Beginn der Philosophie, steht auch für Cicero die Rolle von Sokrates fest – er ist der „Vater der Philosophie”[2]!. Das ist, wie gesagt, an sich auch überhaupt kein Problem – problematisch ist in einem solchen Zusammenhang nur, wenn das eigene Begriffsverständnis verschwiegen oder dem Gesprächspartner ein solches verweigert wird (oder aber, was leider auch nicht eben selten geschieht, beides zusammen). Aus der Perspektive unseres Philosophiebegriffs liegt die Interpretation des von Cicero Gesagten jedenfalls nunmehr klar auf der Hand: Sokrates war der erste Philosoph, weil er sich als Erster mit der menschlichen Lebenswelt, also mit der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Welt, auseinandergesetzt hat.

      Bevor wir auf die Inhalte dieser Philosophie zu sprechen kommen, sind allerdings noch einige kurze Bemerkungen zur Quellenlage angebracht. Denn ausgerechnet zum Gründervater der Philosophie besitzen wir nur einen sehr bescheidenen und darüber hinaus auch noch indirekten Zugang. Die Erklärung dafür ist zunächst relativ simpel: Sokrates hat keine eigenen Schriften hinterlassen, alles, was er zu sagen hatte, hat er buchstäblich auch nur gesagt. Wir sind zur Rekonstruktion seiner Philosophie somit auf fremde Quellen angewiesen, wobei sich die vier wichtigsten bzw. ihre Autoren in ihrem jeweiligen Werkumfang, ihrer Bedeutung und in ihrer Beziehung zu Sokrates zum Teil erheblich unterscheiden. Keine dieser Quellen bietet darüber hinaus ein unverzerrtes, vollständiges Bild von Sokrates und seiner Philosophie, wir können also letztendlich nur in ihrer Gesamtschau und im kritischen Gegenprüfen hoffen, diesem so nahe wie möglich zu kommen.

      Da wäre zunächst, um mit einem positiven Beispiel zu beginnen, der Athener Politiker und Offizier Xenophon (ca. 426‐355 v. Chr.), der Sokrates als dessen Schüler aus nächster Nähe kannte und in drei Schriften – nämlich den Erinnerungen an Sokrates, der Apologie und dem Symposion – versuchte, die Persönlichkeit, aber auch die Lehre seines Meisters darzustellen und darüber hinaus auf praktische Lebensumstände anzuwenden. Während er dabei allerdings ein sehr genaues Bild des Menschen Sokrates zeichnet, bleiben die philosophischen Aspekte eher im Dunkeln, darüber hinaus ist Xenophon in strittigen Fragen natürlich nicht neutral, sondern steht ganz offensichtlich noch unter dem Einfluss seines charismatischen Lehrers. Bezeichnend für das innige Verhältnis der Beiden ist die Darstellung in Raffaels berühmtem Bild Die Schule von Athen (1511), wo Xenophon direkt neben Sokrates steht und ihm andächtig zuhört.

      Offene Sympathie ist bei der zweiten Quelle, dem Schriftsteller Aristophanes (ca. 448‐ca. 385 v. Chr.), zwar nicht das Problem, dafür aber das Gegenteil. Sokrates wird in der einflussreichen Komödie Die Wolken (423 v. Chr.) als streitsüchtiger Wortverdreher dargestellt, der die Götter leugnet und darüber hinaus einen verderblichen Einfluss auf die Jugend ausübt. Obwohl diese und weitere Vorwürfe offensichtlich durch eine tiefe Abneigung motiviert sind und wegen ihrer übertriebenen Darstellung auch keine inhaltliche Substanz besitzen, waren sie alles andere als unbedeutend. Nicht nur, dass die Wolken bis heute zu den bedeutendsten Werken antiker Literatur zählen; etwa 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, als

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