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Darwins Prophezeiung. Manuel Biener
Читать онлайн.Название Darwins Prophezeiung
Год выпуска 0
isbn 9783738008883
Автор произведения Manuel Biener
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nach einem Moment des Verharrens ging plötzlich ein Ruck durch meinen Körper. Nein, entschied ich mit geballter Faust. Ich würde mir mein Lebenswerk nicht kaputt machen lassen. Ich würde dafür kämpfen. Und heute war Tag eins des Kampfes.
Donnerstag, 23. Februar
Am Tag zwei des Kampfes war ich pünktlich um acht im Büro, obwohl eine fast schlaflose Nacht hinter mir lag, in der ich mich und meine Gedanken ständig hin- und hergewälzt hatte. Wenigstens war ich dabei zu der Entscheidung gekommen, dass es Sinn machte, mich auch auf die zweieinhalbjährige Vertretung der Stelle am ZAL zu bewerben. Mein derzeitiger Vertrag lief ja nur noch ein knappes Jahr, sodass ich unter dem Strich immerhin eine Beschäftigungsdauer von rund eineinhalb Jahren gewinnen würde. Dennoch wäre es nur eine Galgenfrist, denn diese Zeit würde längst nicht ausreichen, die Arbeit an meiner Theorie abzuschließen. Und dann stünde ich erneut vor dem Nichts. Eine Perspektive war das nicht.
Butzmanns Stelle, auf Lebenszeit. Das war eine Perspektive. Gewesen.
Müde und antriebslos hockte ich an meinem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen. Nichts mehr mit Kampfeswille. Alle Energie verpufft. Plötzlich kam mir mein Dasein wie ein Prozess vor, der lediglich dem Zweck diente, mir eine Illusion nach der anderen zu rauben. Erst die Ablehnung meines DFG-Antrags, die mich letztlich meine Stelle gekostet hatte, und jetzt war auch meine letzte Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft zerstört.
Über sieben Brücken musst du gehen, fiel mir auf einmal ein. Dieses Lied. Sieben Mal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein. Zweimal Asche war ich jetzt schon. Dreimal, wenn man das mit Irmtraud dazu nimmt. Doch, das kann man auf jeden Fall mitzählen. Viermal Asche stand mir also noch bevor. Ich musste schlucken. Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Mir war zum Heulen.
Nach einer Weile der apathischen Leere drängte sich mir wieder die Erinnerung an das Gespräch mit dem Präsidenten auf, das mir bereits in der Nacht ständig durch den Kopf gegangen war. Es war in einer entspannteren Atmosphäre verlaufen, als ich erwartet hatte. Die vorangegangene Sache – mein abgelehnter DFG-Antrag und die daraufhin von ihm zurückgezogene Bewilligung der Dauerstelle – hatte der Präsident nicht, wie befürchtet, thematisiert und gegen mich verwendet. Er hatte mir aufmerksam zugehört, meine schwierige Situation erkannt und Verständnis gezeigt. Sein Bedauern, mir bezüglich der ZAL-Stelle keine Perspektive eröffnen zu können, erschien mir aufrichtig. „Wenn sich bei Herrn Butzmann eine neue Entwicklung ergeben sollte, werde ich auf jeden Fall an Sie denken“, waren seine Worte, als er mich mit verbindlichem Händedruck verabschiedete.
Wieder und wieder blieben meine Gedanken an diesem Satz hängen. Wollte er damit andeuten, dass für mich doch noch nicht alles verloren war? Wusste er etwas über Butzmann, das dafür Anlass gab, oder war es nur eine leere Floskel? Ich versuchte vergeblich, mir die Miene des Präsidenten in Erinnerung zu rufen, als diese Äußerung gefallen war. Vielleicht hatte Butzmann dem Präsidenten gegenüber zu verstehen gegeben, dass er die Universität eventuell doch für immer verlassen werde, wenn sich seine Zukunftspläne wie erhofft entwickelten. – Aber wie soll man dann seine Bemerkung „... es sei denn, er stirbt“ verstehen? Das passte dann nicht zusammen. War das nur so dahergeredet, oder steckte wirklich etwas dahinter? Vielleicht war Butzmann ja schlimm erkrankt, was er dem Präsidenten anvertraut hatte, und setzte seine letzte Hoffnung auf einen dieser philippinischen Wunderheiler. War doch möglich, oder?
Ich seufzte resigniert. Alles nur müßige Spekulation. Ich musste aufpassen, dass ich mich jetzt nicht in etwas hineinsteigerte, nur weil ich verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung in der Asche stöberte. Das half mir jetzt auch nicht weiter.
Dieser verdammte Butzmann. Aus dessen Zeit als Forschungskoordinator am ZAL hatte ich ihn als unauffälligen, blassen Typ in Erinnerung – leicht füllige Statur, teigiges Gesicht mit Goldrandbrille und gewelltes, dunkelblondes Haar, das er bis über die Ohren trug. Er war Ende vierzig, wirkte aber deutlich älter. Seine Kleidung war altbacken und billig, was sogar mir ins Auge fiel, und vermutlich von ihm oder seiner philippinischen Frau aus den Sonderangeboten im Kaufhaus zusammengestellt: karierte Hemden, die wahrscheinlich eher zum Wandern gedacht waren, komisch gemusterte Strickpullunder und weit geschnittene Bundfaltenhosen, dazu kotbraune Lederslipper. In seiner ganzen Art wirkte er auf mich wie der Prototyp oder fast schon wie die Karikatur eines Beamten – bedächtig, aber gewissenhaft, und immer ziemlich verschlossen. Humor hatte er offenbar er keinen, lachen sah ich ihn nie. Ich fragte mich schon damals, ob hinter seiner undurchdringlichen Fassade noch etwas anderes existierte als bloße Einfalt. Eine verborgene, dunkle Seite. Es hätte mich zum Beispiel keineswegs überrascht, wenn er in ein Domina-Studio gehen oder perverse Bilder aus dem Internet sammeln würde, sowas in der Richtung. Bei ihm konnte ich mir das irgendwie vorstellen.
Viel hatte ich nicht mit ihm zu tun gehabt und wusste kaum etwas über ihn, außer dass er vor seiner Anstellung an der Uni für die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, auf den Philippinen tätig war. In dieser Zeit hatte er wohl auch seine Frau kennen gelernt, der ich aber noch nie begegnet war.
Und was trieb er nun wieder dort? Das würde mich jetzt doch mal interessieren.
Den kleinen Energieschub nutzend, schwang ich mich auf, schlüpfte in meine Jacke und begab mich auf den Weg zum Gebäude des ZAL.
Ich klopfte an die offen stehende Tür eines Büros. „Hallo Bernd. Na, alles klar bei dir?“, eröffnete ich die Konversation.
Bernd, der für die Finanzverwaltung des ZAL zuständig war, löste seinen Blick von einem Flachbildschirm und guckte mich an. Wie immer erinnerte mich sein Anblick unwillkürlich an einen Aktivisten der Friedensbewegung aus den 80er Jahren. Seine langen, blonden Haare und der üppige Vollbart standen heute in Einklang mit einem ausgeleierten, braun-weiß gemusterten Norwegerpullover, einer dunkelgrünen Breitcordhose und schweren Bergstiefeln.
Nach kurzem Austausch von Bemerkungen zum Wetter kam ich zu meinem Punkt. „Mal eine Frage, weißt Du eigentlich, wo der Butzmann genau steckt und was er jetzt macht?“ Ich lehnte mich an den Türrahmen.
„Butzmann? Na ja, auf den Philippinen. Neulich kam mal `ne Karte, die mit den Reisterrassen. Dort ist er jetzt.“ Bernd zeigte mit dem Daumen auf eine Pinwand aus Kork, die mit bunten Ansichtskarten gespickt war. Eine davon zeigte in unnatürlichem Grün einen imposanten Hügel, der mit seinen steilen, stufenartigen Terrassen wie eine riesige Pyramide aussah.
Ich wusste über diese Gegend Bescheid. Es handelte sich um die berühmten, etwa 2000 Jahre alten Reisterrassen in einem abgelegenen Tal der Cordillera Central, einem Gebirgszug auf der Hauptinsel Luzon. Die Stufen zum Himmel, wie sie genannt werden. Erschaffen hatte sie der Volksstamm der Ifugao, der diese bis heute nach alter Tradition bewirtschaftet. Heute zählen sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bei meinen verschiedenen Aufenthalten auf den Philippinen hatte hatte ich jedoch nie die Gelegenheit genutzt, diese eindrucksvolle Landschaft zu besichtigen, vor allem wegen der zeitaufwändigen Anreise.
„Und da lebt er jetzt oder was? Was macht er denn dort?“, hakte ich nach.
„Er arbeitet für ‚Food-for-Asia‘, diese Entwicklungshilfeorganisation. Die haben ihn wohl dorthin geschickt, aber genaueres weiß ich auch nicht. Er war ja in den letzten Jahren schon öfters auf den Philippinen und sonstwo in Asien. Ständig auf Dienstreisen unterwegs. Angeblich, zumindest. Es ging immer um irgendwelche wichtig-wichtigen Connections für Forschungskooperationen, aber rausgekommen ist dabei bisher kaum etwas.“ Bernd hielt nicht viel von Butzmann.
„Hast du eigentlich eine Ahnung, warum er das gemacht hat, mit seiner Beurlaubung?“ Meine Frage sollte beiläufig klingen.
„Also wenn du mich fragst“, sagte er gedämpft und blickte an mir vorbei auf den Flur, als ob Butzmann dort zufällig auftauchen könnte, „hatte das vor allem private Gründe. Er ist ja mit einer Filipina verheiratet, und wahrscheinlich steckt die hinter dem Ganzen. Die hat wohl Heimweh bekommen und ihm Stress gemacht, damit er sich einen Job auf den Philippinen sucht. Weißt