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hatte ich nämlich kaum noch Zweifel, dass sie nur im Nebel stocherten. Sie stellten wieder tausend Fragen zu unbedeutenden Details, die sie wohl mit meinen vorigen Antworten verglichen, um Widersprüche oder Ungereimtheiten zu entdecken. Aber es gab nichts, was mich außer der tropischen Schwüle ins Schwitzen gebracht hätte. Sie ahnten wohl, dass an meiner Version etwas nicht stimmte, konnten sie aber nicht widerlegen. Denn dafür fehlte ihnen etwas ganz Entscheidendes. Und zwar die Leiche. Es war auch äußerst unwahrscheinlich, dass man sie je finden würde. Ich wusste schließlich, wo sie war.

      So. Jetzt hoffe ich nur noch, dass ich schnellstens hier raus komme und endlich Kitty wiedersehen kann. Und dann erfahren Sie die ganze Geschichte, die vor acht Monaten ihren Anfang nahm. Mit der ganzen Wahrheit.

      – Ach ja, ein Punkt noch. Ich heiße nicht Manuel Biener, und das Land, in dem ich mich momentan wieder befinde, sind nicht die Philippinen. Sondern ein anderes Land in Südostasien. So viel kann ich immerhin verraten. Aus Gründen, die Sie noch verstehen werden, musste ich die Orte des Geschehens sowie die Identität verschiedener Personen leider abändern. Sonst könnte ich Ihnen das alles nämlich gar nicht erzählen.

      TEIL EINS

       Stuttgart-Hohenheim

      Mittwoch, 22. Februar

      „... es sei denn, er stirbt.“

      Der Präsident der Universität Hohenheim lehnte sich in seinen komfortablen Bürosessel zurück und ließ seine Worte wirken. Mit dem Blick eines Forschers, der den Ausgang eines spannenden Experiments beobachtet, erwartete er meine Reaktion.

      Sie folgte wie auf einen Schlag ins Genick. Meine gestraffen Schultern, die Souveränität und Selbstsicherheit ausstrahlen sollten, fielen nach vorne. Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen und starrte mit geweiteten Augen ins Leere. Das Unfassbare war eingetreten. Keine Forschung mehr, keine Stelle, kein Geld.

      Aber das war noch nicht alles. Nun drohte auch die Vollendung meines großen wissenschaftlichen Werkes zu scheitern. Das Buch mit meiner neuen Theorie, die in Synthese mit Darwins Evolutionstheorie nichts Geringeres als ein neues biologisches Weltbild begründen würde.

      Und jetzt versank alles in einem tiefen, schwarzen Loch.

      Alle reden von mehr Bildung, aber zu viel Bildung ist auch nicht gut. Denn damit kann man sich seine Zukunft genauso verbauen wie ohne einen Abschluss. Diese Einsicht kam für mich allerdings zu spät, nach bald zwanzig Jahren an der Uni – mit Studium, Promotion und schließlich Habilitation auf einer Forschungsstelle am Institut für Tropenökologie. Ist doch eine solide Laufbahn in der Wissenschaft, denken Sie jetzt. Aber nicht im richtigen Leben. Dort bewegte ich mich auf einem schmalen Grat mit Blick in den Abgrund. Mit meinen 39 Jahren zählte ich nämlich zum akademischen Prekariat, wie man das neuerdings nannte. Eine Wortschöpfung findiger Soziologen, die fies an „Proletariat“ erinnerte, aber dennoch politisch korrekt klingen sollte. Prekariat kommt von prekär, was soviel heißt wie „ungewiss, bedenklich“. Und das traf meine Situation auf den Punkt. Mein Arbeitsvertrag war auf zwölf Jahre befristet, und mehr als elf davon waren bereits vergangen. Eine Verlängerung war nicht möglich, da meine Stelle dem wissenschaftlichen Nachwuchs vorbehalten war und entsprechend neu besetzt werden musste. Außerhalb der Uni war mein Wissen und Können – mein Fachgebiet sind übrigens die evolutionsgeschichtlichen Anpassungsprozesse zwischen Pflanzen und Insekten – nicht gefragt. Ich denke, damit ist der Kern meines Problems klar genug umrissen.

      Ich musste also einen Weg finden, auf dem ich nicht nur meine materielle Existenz sichern, sondern auch die Arbeit an meiner neuen Theorie unbeschwert fortführen konnte. Von einem Wunder abgesehen, gab es dafür nur zwei Möglichkeiten: Ich konnte entweder hoffen, eine Professur und damit eine unbefristete Beamtenstelle zu erlangen oder versuchen, Forschungsprojekte einzuwerben, um mich damit selbst zu finanzieren. Echte Optionen waren das allerdings nicht. Professuren und andere wissenschaftliche Planstellen, die meinem Profil entsprachen, waren an Universitäten äußerst dünn gesät, wie Sie sich vorstellen können. Und ich war natürlich bei weitem nicht der Einzige, der seine Hoffnungen in eine der seltenen Ausschreibungen setzte. Auch bei der Beantragung von Forschungsprojekten bei Geldgebern wie der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, war ein Erfolg alles andere als garantiert. Außerdem war die Förderdauer solcher Projekte auf wenige Jahre begrenzt und eröffnete damit keine längerfristige Perspektive.

      Bis vor einem Jahr sah ich dem Ende meiner Anstellung noch relativ entspannt entgegen. Bis dahin konnte sich schließlich noch einiges tun, sagte ich mir. Knapp ein Jahr später hatten sich 13 Absagen auf 13 Bewerbungen getan. Anfangs noch zuversichtlich, hatte ich mich europaweit auf sämtliche in Frage kommenden Ausschreibungen beworben, von denen auch noch fast die Hälfte nur Notlösungen darstellten. Ich wurde sogar dreimal zum Bewerbungsgespräch eingeladen, aber eine echte Chance hatte ich wohl nie. Mein Selbstvertrauen war geschwunden. Massive Zukunftsängste übernahmen die Macht. So hat das keinen Sinn mehr, wurde mir angesichts des bedrohlich näher rückenden Termins bewusst. Jetzt musste eine andere Lösung her.

      Mein daraufhin entwickelter Aktionsplan sah zwei konkrete Maßnahmen vor: Maßnahme Nummer eins war ein Antrag auf Entfristung meines bestehenden Arbeitsvertrags. Ich hatte gehört, dass es in Ausnahmefällen möglich war, eine befristete Assistentenstelle, wie ich sie hatte, in eine Dauerstelle umzuwidmen. Die Befugnis dafür hatte der Präsident der Universität. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was unter einem Ausnahmefall zu verstehen war und welche Gründe dafür überhaupt in Frage kamen. Die Wahrscheinlichkeit, das durchzukriegen, war nicht besonders hoch, das war mir klar. Aber ich musste es wenigstens versuchen.

      Maßnahme Nummer zwei war ein Antrag auf Verlängerung meines derzeit laufenden, DFG-finanzierten Forschungsprojekts in China, in dem ich mich mit verschiedenen Formen der Symbiose zwischen Ameisen und Pflanzen befasste. Für die Folgephase würde ich einfach statt eines neuen Doktoranden eine Post-Doc-Stelle für mich selbst beantragen. Allerdings müsste ich dann die nächsten Jahre überwiegend in China zubringen. Nicht gerade mein seligster Wunsch, war aber nicht anders zu machen. Immerhin bestand bei dieser Maßnahme eine realistische Aussicht auf Erfolg. Forschungskooperationen mit China waren an sich gerne gesehen, weshalb ich auch auf einen gewissen Bonus bei der Begutachtung des Antrags hoffte.

      Daraufhin hatte ich wieder ein ganz gutes Gefühl. Es war noch lange nichts verloren.

      Den Antrag auf Entfristung meiner Stelle hatte ich mit den beiden Professoren meines Instituts abgesprochen und vor vier Monaten gestellt. Nach wie vor im Unklaren über die Kriterien für einen Ausnahmefall, zielte meine Strategie darauf ab, den Präsidenten zu der Einsicht zu bringen, dass ich, Privatdozent Dr. Manuel Biener, auf dieser Stelle unersetzbar war. Ich allein würde in der Lage sein, die erforderliche Qualität und Kontinuität in Lehre und Forschung in diesem Fachgebiet aufrecht zu erhalten. Unmissverständlich musste klar werden, dass ein junger, unerfahrener Neuling mit diesem anspruchsvollen Themenfeld restlos überfordert wäre. Im Brief an den Präsidenten verwies ich auf meine bisher erbrachten wissenschaftlichen Leistungen, die ich anhand einer durchaus vorzeigbaren Liste an Publikationen in renommierten Fachzeitschriften nachweisen konnte, sowie auf mein bereits vor Jahren veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Funktion und Bedeutung der Ameisen in den feuchten Tropen“. Desweiteren ging ich auf meine erfolgreich umgesetzten Forschungsprojekte ein und malte Pläne für die Zukunft, wobei ich meine Absicht, eine Verlängerung für das China-Projekt zu beantragen, besonders hervorhob. – Gut, stellenweise hatte ich etwas dick aufgetragen, musste ich mir beim Durchlesen der Endversion meines Schreibens eingestehen. Aber insgesamt fand ich die dreieinhalb Seiten, auf die ich meinen ersten Entwurf von über acht Seiten letztendlich heruntergekürzt hatte, ziemlich gelungen. Wie in einem guten wissenschaftlichen Aufsatz war meine Argumentationskette logisch aufgebaut und der Beweis der These (hier lautend: Manuel Biener ist unersetzbar) zwingend erbracht.

      Drei Wochen später trat ein, was ich kaum zu hoffen gewagt hatte: vom Präsidenten erhielt ich die Antwort, dass mein Antrag auf Dauerbeschäftigung grundsätzlich befürwortet sei, allerdings vorbehaltlich der Erfüllung zweier Voraussetzungen. Erstens müsse ich mich bereit erklären, ein Viertel

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