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Darwins Prophezeiung. Manuel Biener
Читать онлайн.Название Darwins Prophezeiung
Год выпуска 0
isbn 9783738008883
Автор произведения Manuel Biener
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Vielleicht ging es ja auch irgendwie eleganter. Oder es kam mir ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Eventuell ergab sich ja auch eine Situatuion, in der man garnicht so viel nachhelfen müsste. Wo zum Beispiel ein winziger Schubs schon genügen würde. Damit er aus Versehen irgendwo hinunterfiel. Sowas in der Art.
Unter diese Gedanken mischte sich bereits ein weiterer Gesichtspunkt. Schon Ende März würde ich nämlich selbst auf die Philippinen reisen. Dort musste ich an der Visayas State University auf der Insel Leyte mein alljährliches Lehrmodul zur Tropenökologie abhalten, das im Rahmen einer Uni-Partnerschaft bestand. Anschließend könnte ich mir doch endlich einmal die berühmten Reisterrassen ansehen. Butzmanns Wirkungsstätte. Und dann einfach mal schauen, was sich daraus entwickelt. In meiner beschissenen Zukunft wollte ich mir zumindest nicht vorhalten müssen, diese Chance verpasst zu haben.
Ich blätterte in meinem Terminplaner. Das Modul dauerte knapp zwei Wochen, letzter Kurstag war Gründonnerstag. Am Ostersonntag war ich dann noch bei der Familie eines philippinischen Kollegen zu einem Bootsausflug auf eine andere Insel eingeladen. Meinen Rückflug hatte ich auf Ostermontag gelegt, der auf den Philippinen kein Feiertag mehr war. Es wäre aber gar kein Problem, noch eine Woche dranzuhängen. Oder besser zwei. Als Urlaub. Das sollte in jedem Fall ausreichen.
Gut. Am besten gleich das Reisebüro anrufen und den Flug umbuchen. Ich wischte mir meine feuchten Hände an den Hosenbeinen ab und suchte am PC die Nummer heraus.
Als ich den Hörer auflegte, hatte ich immer noch ein wenig Herzklopfen. Ich hatte zwar lediglich meine Reise um zwei Wochen verlängert, aber damit dennoch einen ersten konkreten Schritt unternommen, der über die bloße Gedankenspielerei hinausging.
Umso wichtiger war es nun, mich auf die Vertretung der Butzmann-Stelle zu bewerben. Das hatte ich zwar ohnehin vorgehabt, weil ich mir damit mein Auskommen ein wenig länger sichern könnte als in meiner derzeitigen Lage, aber jetzt kam ein weiterer Aspekt hinzu: sollte Butzmann tatsächlich nicht mehr zurückkommen können, würde man seine Stelle spätestens nach Ablauf der zweieinhalb Jahre wieder unbefristet freigeben. Wenn sie dann bereits von mir vertreten wurde, konnte ich davon ausgehen, ohne Weiteres auf Dauer übernommen zu werden.
Aber so weit war es noch lange nicht.
TEIL ZWEI
Nord-Luzon, Philippinen
Mittwoch, 12. April
Der Bus hatte Manila vor drei Stunden am frühen Morgen verlassen und fuhr auf dem Maharlika-Highway durch die weite Ebene des Pampanga-Tales in Richtung Norden. Ich war unterwegs zu den Reisterrassen. Und zu Butzmann.
Die vergangenen Wochen in Deutschland waren irgendwie zeitlos verlaufen. Ein trister Tag hatte sich an den nächsten gereiht, jeder beherrscht von den stets gleichen Sorgen um meine Zukunft. Und es gab natürlich viele Nächte, in denen ich wach wurde, die Mühle meiner Gedanken zu mahlen begann und bis zum Morgen nicht mehr still stand. Phasenweise war es mir aber immerhin gelungen, mich wieder mehr oder weniger effektiv der Ausarbeitung meiner neuen Theorie zu widmen. Das gab mir Erfüllung und half mir wenigstens vorübergehend, meiner düsternen Stimmung zu entkommen. Umso quälender war hinterher allerdings die Vorstellung, meine ganze Arbeit könnte sinnlos sein, weil ich sie womöglich nie zu Ende bringen konnte. Dann beschäftigten sich meine Gedanken erneut mit Butzmann, und der Kreis meiner Probleme war wieder geschlossen.
Butzmann loszuwerden war der einzige Ausweg. Zumindest theoretisch. Aber wenn ich wieder einmal an dieser Stelle meiner Überlegungen angelangt war, meldete sich auch mein Gewissen.
Könnte ich wirklich alle Hemmungen überwinden, wenn es darauf ankam? Und wenn, wie konnte ich später damit leben? Sicher, Schuldgefühle würden nicht ausbleiben, und manchmal würde ich mich damit schlecht fühlen. Aber rational betrachtet, wären solche Momente leichter zu ertragen als das sorgenreiche, freudlose Dasein, das mich ansonsten erwartete. Und das bestand nicht nur aus Momenten, sondern aus dem Rest meines Lebens. So musste man das sehen. – Und wem würde es schon groß schaden, wenn Butzmann nicht mehr da wäre? Er hatte keine Kinder und nichts, da hatte ich mich extra nochmal erkundigt. Seine Frau dürfte sich als Beamtenwitwe einer guten Rente erfreuen. Damit konnte sie sich in Deutschland oder auf den Philippinen ein schönes Leben machen, wo sie lieber will.
Letztendlich führten mich alle Gedanken immer zu demselben Schluss: ich durfte diese Chance nicht einfach verstreichen lassen. Ich musste es wenigstens versuchen. Man durfte nicht immer alles als schicksalsgegeben hinnehmen. Ich musste dort hin fahren und sehen, wie sich die Dinge für mich entwickelten. Und dann musste entweder meine Idee begraben werden oder Butzmann.
Durch die getönten Scheiben betrachtete ich die Gegend. Reisfelder und einzelne Dörfer prägten das Bild der flachen Landschaft. Im Osten, wie ich von meinem Sitzplatz aus erkennen konnte, erstreckte sich eine Kette von Hügeln, die mit vertrocknetem, gelblichem Gras bedeckt waren. Ich wähnte mich bei diesem Anblick eher in einer kargen Steppe als in den feuchten Tropen und konnte mir kaum vorstellen, dass auch diese Gegend einst von üppigem Regenwald bedeckt war.
Der Bus war höchstens zur Hälfte besetzt und außer einem jungen Australier, von dessen Herkunftsland die auf seinem Rucksack aufgenähte Flagge kündete, war ich augenscheinlich der einzige Ausländer. Zwei Reihen vor mir saß, ebenfalls alleine, die interessante Frau, die bereits am Busbahnhof meine Aufmerksamkeit erregt hatte, wo ich sie beim Warten ausgiebig mustern konnte. Sie war für eine Einheimische auffallend groß und hatte ausdrucksvolle, fast runde schwarze Augen, die überhaupt nicht asiatisch wirkten. Ich schätzte sie auf Mitte Dreißig und hatte sie zunächst gar nicht für eine Filipina gehalten, dann aber ihre auf Tagalog geführte Unterhaltung mit dem Buspersonal mitbekommen. Mit ihren scharf geschnittenen Gesichtszügen, der markanten Mundpartie und den schmalen Lippen machte sie zwar einen etwas strengen Eindruck, war aber sehr attraktiv. Sie trug eine enge, dunkelblaue Jeans, die ihre schlanke Figur zum Blickfang machte, und ein offenes, olivgrünes Armeehemd mit einem weißen T-Shirt darunter. Einen bemerkenswerten Kontrast dazu bildeten ihre schicken roten Pumps, oder wie immer man diese spitzen Schuhe mit Absatz nannte. Mir war auch nicht entgangen, dass sich an ihren Händen kein Schmuck befand. Auch nicht an einem der Ringfinger. Alles in allem strahlte die herbe Schönheit, wie ich sie für mich nannte, ein starkes Selbstbewusstsein aus und war damit der Typ Frau, der den meisten Männern nicht gerade Mut machte, sie anzusprechen.
Jetzt, als ich ihre schwarzen, schulterlangen und leicht gewellten Haare ständig vor Augen hatte, malte ich mir aus, wie es wohl mit ihr im Bett wäre. Meiner Einschätzung nach spielte sie dort die aktive Rolle und bestimmte, wo es lang ging, damit sie voll auf ihre Kosten kam. Nach dieser Regievorgabe gestaltete sich auch der Film in meinem Hirnpornostudio. Aber kaum in Szene gesetzt, wurden die Konturen der herben Schönheit unscharf und schließlich von einer anderen Darstellerin überlagert, deren Auftritt keine Fantasie, sondern reale Erinnerung war. Ich sah jetzt Irmtraud, die mich in die Matratze drückte und sich auf mich setzte. – Und jetzt war mir auch klar, was mich an dieser Frau faszinierte: Die Ähnlichkeit mit ihr, Irmtraud. Groß, schlank, schwarzhaarig – man könnte sie fast für deren philippinische Zwillingsschwester halten, wenn so etwas biologisch möglich wäre.
Nach kurvenreicher Fahrt durch die inzwischen bergige Landschaft der Cordillera hatte der Bus eine der kleinen, einfachen Raststätten am Rande der Straße angesteuert. Mittagspause. Mir stand nicht der Sinn nach einer Schüssel Reis mit Beilage und holte mir an einem Verkaufsstand eine Cola, die mir in eine Plastiktüte abgefüllt und mit einem Strohhalm gereicht wurde. Anschließend kaufte ich bei einer Bäuerin, die verschiedene Agrarprodukte in einem Korb feilbot, zwei harte Eier und einen gekochten Maiskolben als Wegzehrung.
Als der Fahrer zum Einsteigen hupte, stand ich neben dem Bus und rauchte. In meiner rechten Hand lagen die beiden Eier, auf die ich, an meine Brust gelehnt, den Maiskolben gestellt hatte. Ich wollte warten, bis die herbe Schönheit vorbeikam und hoffte dabei auf einen Blickkontakt. Als sie sich näherte, wandte sie mir den Kopf zu und lachte plötzlich laut auf. Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf, die Hand