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Zu nah am Abgrund. Karlheinz Seifried
Читать онлайн.Название Zu nah am Abgrund
Год выпуска 0
isbn 9783847615880
Автор произведения Karlheinz Seifried
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ich kann euer Misstrauen verstehen, wir meinen aber, uns wirklich gleichberechtigt zusammenzutun. Aber müssen wir das hier besprechen? Wollen wir uns nicht zusammensetzen?“
„Wolfgang, du kannst dir sicher vorstellen, dass wir etwas skeptisch sind. Wer weiß, ob du uns nicht eine Falle stellst.“ „O.K. Kalle, ich mache folgenden Vorschlag“, verwundert stellte ich fest, dass er meinen Namen kannte, „ich gebe euch meine Schwester als Pfand und wenn wir unser Gespräch beendet haben, lasst ihr sie wieder frei. Egal wie wir uns einigen. Geht das in Ordnung?“
Fragend blickte ich mich zu meinen vier Mitstreitern um. Wir hatten, um uns schnell und geheim abstimmen zu können, einen aus drei Zeichen bestehenden Geheimcode entwickelt, dessen Bedeutung für Außenstehende nicht verständlich war. Zeige- und Mittelfinger der linken Hand ausstrecken bedeutete: Ja, die rechte Hand zur Faust ballen bedeutete: Nein und beide Hände zusammen hieß: Enthaltung.
Ich sah sie mir an, es gab zweimal Ja einmal Nein und einmal Enthaltung, was so viel war hieß wie ich weiß nicht. Ich machte das Zeichen mit der linken Hand und drehte mich um.
„In Ordnung Wolfgang, lass deine Schwester hereinkommen.“ Wolfgang machte ein Zeichen mit der Hand und aus der Gruppe hinter ihm löste sich ein Mädchen. Ich schätzte so um die vierzehn Jahre alt. Sie kam zum Zaun und wartete. Ich beobachtete, immer noch auf der Hut, den Vorgang aufmerksam, dann fragte ich:
„Wo wollen wir uns treffen, Wolfgang?“
„Was hältst du davon, wenn wir uns in einer Stunde in der Eisdiele in der Stadt treffen? Aber nur wir beide, Kalle. Draußen auf der Straße dürfen nicht mehr als sechs eurer Leute stehen.“
Ich willigte ein und Wolfgang verabschiedete sich mit einem
„Tschüss bis gleich.“
„Bis gleich“, antwortete ich.
Er drehte sich um und ging mit seinen Leuten bergauf davon. Seine Schwester wartete vor dem Zaun, ich gab das Zeichen den Eingang im Zaun zu öffnen. Zwei unserer Jungs nahmen sie dort in Empfang und führten sie in eine unserer Höhlen, in der sie das Ende unserer Mission abwarten sollte.
Wir setzten uns zusammen und überlegten, was da auf uns zukommen könnte. War Wolfgang ernsthaft an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert oder wollte er nur ein paar Leute von hier abziehen, um dann anzugreifen? Aber er würde ja wohl auf keinen Fall seine Schwester in Gefahr bringen. So beschlossen wir, dass noch drei weitere Mitglieder der Führung und drei aus der Gruppe mit mir nach unten in die Stadt gehen sollten.
Oft hatten wir den schnellen Aufbau eines Signal-, und Meldeweges von und in die Stadt geprobt, nun wurde er erstmals für den Ernstfall eingerichtet.
So waren wir in der Lage, falls Wolfgang doch ein falsches Spiel mit uns trieb, sofort eine Meldung ins Lager zu senden. Oder auch umgekehrt, falls das Lager angegriffen werden sollte, dass eine Meldung zu uns in die Stadt kam. Das kostete uns zwar ein paar Mädels, die diesen Meldeweg aufbauten und die dann im Lager fehlten, aber wir fanden es besser und sicherer so.
Jetzt konnte es losgehen, wir gingen durch die Stadt und fühlten uns unheimlich stark. Wir formierten uns auf der Hauptstraße zu einem Dreieck, dessen Spitze ich bildete. Entgegenkommende Passanten sahen uns furchtsam an und gingen uns erschrocken aus dem Weg. Vor der Eisdiele standen schon sechs von Wolfgangs Jungs und warteten. Die drei aus meiner Führungsriege und ich blieben vor der Eisdiele stehen, der Rest verteilte sich, unter den argwöhnischen Blicken der „White Angels”, über die Straße.
Ich betrat die Eisdiele und sah Wolfgang allein in einer Ecke sitzen.
‚Der hat die Eisdiele räumen lassen‘, dachte ich mir, ‚damit wir in Ruhe reden können.‘ Dafür, dass keiner mehr reinkam, würden seine Leute schon sorgen. Die Bedienung nahm meine Bestellung auf, brachte sie und verschwand nach hinten. Wir waren allein und Wolfgang sagte:
„Die Rechnung geht auf mich.“ Ich bedankte mich und begann das Eis zu löffeln.
„Was meinst du denn dazu, dass wir uns zusammentun wollen?“, fragte mich Wolfgang, währen er sein Eis schleckte.
„Wir finden es gut, denn nur gemeinsam sind wir stark“, sagte ich und beobachtete ihn gespannt.
„Richtig! Es nutzt uns nichts, wenn sich die Geschlagenen uns anschließen, weil sie keine andere Wahl haben, das ist immer eine unsichere Sache. Bei der erstbesten Gelegenheit rotten sie sich
wieder zusammen und arbeiten gegen uns. Solche Leute kann ich aber nicht gebrauchen, ich habe Größeres vor, als kleine Bandenkriege in der Stadt zu führen.“ Jetzt wurde ich doch so langsam hellhörig und ich vergaß sogar das Eis zu essen.
„Das leuchtet mir ein, aber wie soll es jetzt nach deiner Meinung weitergehen?“, fragte ich ihn.
Er setzte gerade zu einer Antwort an, als einer seiner Leute hereinkam und sich über ihn beugte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Er hob den Kopf und sah mich kritisch an.
„Was machen deine Leute da draußen?“, stellte er mir mit durchdringendem Blick die Frage. Er meinte wohl die Aktivitäten der Mädels zum Aufbau der Meldelinie.
„Keine Sorge, das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme zu unserer Sicherheit”, antwortete ich ihm und hielt seinem Blick stand. Er machte ein Zeichen und sein Mann ging wieder nach draußen.
„Bist wohl immer sehr vorsichtig und vorausschauend?“, fragte er weiter.
„Ja, das ist doch nur normal. Alles durchdenken und abwägen, dann erst entscheiden.“
Wolfgang entspannte sich wieder und sagte:
„Ja, ich habe schon bemerkt, dass du so vorgehst und dass du es bist, der bei euch alles organisiert und ausarbeitet!“
Da es keine Frage war, antwortete ich auch nicht darauf und sah ihn weiter ruhig an.
„Also! Gut, wir machen euch folgendes Angebot. Ihr schließt euch uns als selbstständig arbeitende Abteilung an. Alle Einsätze werden durch uns koordiniert und abgesprochen.“ Er bemerkte meinen Unwillen und fuhr schnell fort:
„Du und ein weiteres Mitglied eurer Gruppe seid als Vertreter eurer Abteilung bei mir in der Führungsspitze dabei, damit ist gewährleistet, dass ihr auch ein Mitspracherecht habt und immer auf dem Laufenden seid, was gerade abgeht.“
Jetzt war ich sprachlos, mit diesem Angebot taten sich ganz neue Möglichkeiten für uns auf. Ich fragte ihn:
„Wie viele der Gruppierungen arbeiten freiwillig bei euch mit?“
„Ohne euch sind wir jetzt zwei Gruppen, ihr fehlt noch, der Rest ist unwichtig für uns und muss sich anpassen oder untergehen. Wenn du zusagst, vereinen wir vier der größten und besten Gruppen in der Stadt. Dann kann uns eh keiner mehr was. Das sind dann gut hundert Mann, da spielen die paar Mitläufer, die abspringen könnten, keine Rolle mehr“, er machte eine kleine Kunstpause, „also, was meinst du, kannst du dir vorstellen, dass wir uns zusammentun? Brauchst du noch Bedenkzeit oder musst du dich mit den anderen absprechen?“ Er sah mich an und grinste.
„Aber wie ich euch kenne, habt ihr schon alles abgesprochen, habe euch ja lang genug beobachtet und muss sagen, dass ihr ein tolles System in der Gruppe habt. Ich würde gern einiges übernehmen und von dir erklärt bekommen.“ Ich sah ihn nachdenklich an und überlegte:
‚Es konnte eigentlich für uns nicht besser kommen. Ohne eine richtige Auseinandersetzung, Verletzte oder gar Verluste, an die Spitze zu kommen, war ein unerwarteter Glückstreffer für uns.‘ Ich streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
„Gut Wolfgang, darauf ein Handschlag und wir sind uns einig. Ab sofort, oder benötigst du Zeit, deine Jungs zu informieren?“ Er lachte mich an und antwortete:
„Wir haben auch ein funktionierendes Nachrichtensystem. Sowie ihr im Lager seid und meine Schwester freigelassen habt, wissen meine Leute auch schon Bescheid. Willkommen im Club. Willkommen bei den „White Angels.”