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Nutzanwendung Existenzberechtigung erhalten konnten.

       Nicht anders wie Perrault stellte sich die Gräfin

       A u l n o y zu den Märchen, die sie bearbeitete. Keine

       ihrer Erzählungen ist eine getreue Wiedergabe aus

       dem Volksmunde, sondern sie nahm die Motive, wo

       sie sie gerade fand, und setzte sie mit dem ihrer Zeit

       eigenen Geschmack zu jenen gefälligen, drolligen und

       etwas moraltriefenden Geschichtchen zusammen, die

       einen so ungeheuren Einfluß ausübten und zum Gesamtbild

       des Rokoko gehören wie die Bilder Wat-

       teaus und die Dramen Marivaux'. Den Ausschlag gab

       die Übersetzung aus Tausendundeinenacht, die Galland

       im Jahre 1709 brachte. Die Nachahmungen

       schossen derart aus dem Boden, daß die Sammlung

       all dieser Erzählungen im »Cabinet des fées«, die zu

       Ende des 18. Jahrhunderts veranstaltet wurde, nicht

       weniger als 41 stattliche Bände füllen konnte. Diese

       Feengeschichten, die zumeist von Frauen geschrieben

       sind (Gräfin Murat, Gräfin d'Auneuil, Gräfin Hamilton,

       Mlle. de la Force u.a.), und die so zierlich und

       zerbrechlich sind wie ein Rokokofigürchen, übten

       nicht nur auf die schreibende Mitwelt – man denke an

       die orientalischen Erzählungen Voltaires – einen tiefgehenden

       Einfluß aus, sondern sie zogen auch das lebende

       Märchen in ihren Bann, das sich im Volksmund

       nach seinem literarischen Vorbild umgestaltete.

       So erscheint das Märchen vom dankbaren Toten, das

       im Jahre 1725 von Mme. de Gomez unter dem Titel

       »Jean de Calais« bearbeitet wurde, in den meisten

       französischen Fassungen der Gegenwart abhängig

       von diesem literarischen Vorbild. Das germanische

       Märchen von Rumpelstilzchen wurde von Mme. l'Héritier

       1705 als »Ricdin-Ricdon« modernisiert, und

       diese Umformung verdrängte im Volksmund in starkem

       Maße die alte Form. Das Märchen von »La belle

       et la bête« wurde 1740 von Mme. de Villeneuve erzählt

       und erlangte eine solche Verbreitung, daß die

       Wissenschaft die außerordentlich verbreiteten volksmäßigen

       Varianten dieser Kunstnovelle auf diese letztere

       als auf ihre Quelle zurückführen zu sollen glaubte.

       Die meisten Kunstmärchen dieser Zeit freilich sind

       leere Phantasien: »Gemische aus sogenannten orientalischen

       Zauberwesen und modern schäferischen Liebesgeschichten

       «, so charakterisieren sie die Brüder

       Grimm. Die »Féeries nouvelles« des Grafen Caylus

       und die anonymen »Nouveaux contes de fées« aus

       dem Jahre 1718 verdienen noch hervorgehoben zu

       werden. Die »Contes bleues« wurden durch die eindringende

       Welle der englischen Literaturmode hinweggeflutet,

       sie wurden gesammelt, und Sammlungen

       beweisen stets, daß das lebendige Interesse an dem

       darin gesammelten Objekt im Erlöschen ist.

       Die R o m a n t i k bezeichnet den Eintritt der

       abendländischen Welt ins Greisenalter; und wie sich

       das Alter gern mit einer gewissen sehnsüchtigen Wehmut

       vergangener Zeiten erinnert, so lebte jetzt die Anteilnahme

       an den Schöpfungen des Volksgeistes neu

       auf. Man betrachtete die Märchen mit ehrfürchtiger

       Scheu als Produktionen der dichtenden Volksseele

       und sah in ihnen einen Abglanz der mythischen Vorstellungen

       der germanischen Völker, wodurch das Bemühen

       gezeitigt wurde, diese einfältigen Kinder des

       Volkes so naturgetreu wie möglich nachzuzeichnen.

       Frankreich, das sich von den Anstrengungen der Re-

       volution und der napoleonischen Kriege erholen

       mußte, erblickte in der Romantik eine willkommene

       Reaktion gegen die Überspannung der Jahrhundertwende

       und nahm die von Deutschland hereindringende

       Strömung willig auf. Während das Drama sich einerseits

       bemühte, das historische Kolorit treu zu wahren,

       während Victor Hugo im Zeitalter Franz I. den

       geeigneten Boden für die Verwirklichung seines

       Kunstideals von der Vermischung des Sublimen und

       Grotesken erblickte, so fand andererseits der Messias

       der Romantik, Shakespeare, in Alfred de Musset seinen

       Apostel, der in seinen Märchendramen die Zeitlosigkeit

       und sonnenstrahlenhafte Zartheit der Märchengebilde

       am besten traf, und der in seiner »Barberine«

       nicht ohne Grund dasselbe Zymbelinemärchen verwertete

       wie sein großes Vorbild in der Geschichte von

       Imogen. Auf dem Gebiete der Novelle wäre vor allem

       Nodier zu nennen, der 1842 gemeinsam mit Leroux

       de Lincy die »Bibliothèque bleue« wieder aufleben

       ließ.

       Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Märchen,

       die durch die Brüder Grimm für ganz Europa

       angeregt wurde, fand in Frankreich erst spät Nachahmer.

       Erst im Jahre 1845 erschien, wenn man von der

       kleinen Sammlung Pluquets aus Bayeux von 1832 absehen

       will, die Sammlung normannischer Sagen von

       Amélie Bosquet, die freilich weniger dem Märchen

       dient, und im gleichen Jahre veröffentlichte Souvestre

       den ersten Band seiner »Foyers bretons«, ein allzu

       individuell gefärbtes Werk, das für die Forschung nahezu

       wertlos ist. Von den sechziger Jahren an bemühte

       sich eine ganze Anzahl von Sammlern, die Schätze,

       die Frankreich noch birgt, unter Dach zu bringen. Vor

       allem ist Paul Sébillot, der Schöpfer und das Haupt

       der französischen Volkskunde, zu nennen, der nicht

       nur weit über seine hochbretonische Heimat hinaus

       als zuverlässiger und unermüdlicher Sammler tätig

       war, sondern auch in seinem Lebenswerk, dem

       »Folklore de France« (1904–07), das gesammelte

       Material zu einem Kompendium der französischen

       Volkskunde verarbeitete. Paul Sébillot ist der Herausgeber

       der

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