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der späteren Jahrhunderte fort, sondern sie werden

       auch noch in der Gegenwart mit Behagen erzählt.

       Nicht nur in Versform, auch in Prosa fanden diese

       leichten Stoffe Eingang in die Literatur des Mittelalters,

       hier besonders in Form der P r e d i g t m ä r -

       l e i n . Die Illustration moralischer Lehren durch Geschichten

       novellenhafter Art geht in ihrem Gebrauch

       schon auf den Stifter des Christentums zurück. Die

       Homilien Gregors des Großen machen zuerst ausgie-

       bigen Gebrauch von diesen Erzählungen, die auf

       einen populären Hörerkreis zugeschnitten sind. Ein

       wichtiges Erziehungsmittel werden sie in den Händen

       der Franziskaner und Dominikaner, der eigentlichen

       ordines praedicatorum. Diesem Orden gehörte der

       große französische Prediger Etienne von Bourbon an,

       der in seinem »liber de septum donis spiritus sancti«

       ein Kompendium dieser Exempla für den Gebrauch

       der Prediger gab, in den meisten Fällen abhängig von

       seinem großen Vorgänger Jakob von Vitry, welcher

       über 200 Fabeln, Schwänke und Anekdoten in seine

       »Sermones vulgares« einschob. Eine weitere Sammlung

       von Exemplis mit Nutzanwendungen in anglonormannischer

       Sprache gab im 14. Jahrhundert der

       englische Franziskaner Nikolaus Bozon. Weiterhin

       wäre die »Summa virtutum ac vitium« des Wilhelm

       Peraldus und die »Fleurs des commandemens de

       Dieu« zu erwähnen. Das »Speculum exemplorum«,

       das wahrscheinlich in Belgien entstand, wurde noch

       im 17. Jahrhundert von einem Jesuiten aus Douai, Johannes

       Major, bearbeitet. Zu diesen Sammlungen gehört

       auch das berühmteste Märchenbuch des Mittelalters,

       die Gesta Romanorum, dessen Ursprungsland

       nach den neuesten Forschungen das von französischem

       Einflusse abhängige England ist. Aus dem 14.

       Jahrhundert ragt die Sammlung »Scala caeli« hervor,

       die den Dominikanermönch Johann Junior Gobii aus

       Alais in Südfrankreich zum Verfasser hat. Die »Scala

       caeli« wird besonders dadurch wichtig, daß sie zum

       ersten Male auch eigentliche Zaubermärchen für Predigtzwecke

       verwertet. Das Märchen vom dankbaren

       Toten, das wir aus diesem Werk bringen, begegnet

       übrigens auch in einer Reihe von epischen Werken

       des französischen Mittelalters: dem Hervis de Metz,

       dem Richars li biaus und dem Lion de Bourges.

       Wir dürfen den Boden des Mittelalters nicht verlassen,

       ohne auch des Tiermärchens zu gedenken, das im

       französischen »Roman de Renart« seine klassische

       Verwertung fand. Die Quellen des mittelalterlichen

       T i e r e p o s sind mannigfacher Art, nicht nur die antike

       Fabel und das indische Pantschatandra, sondern

       auch die nordgermanischen und finnischen Völker,

       die den Bären in den Mittelpunkt einer Tierfabelkette

       stellten, tragen das ihrige zur Ausbildung dieser

       Dichtgattung bei.

       Der Hochblüte mittelalterlicher Dichtkunst, die in

       Frankreich in die letzten Jahrzehnte des 12. und den

       Beginn des 13. Jahrhunderts fällt, folgte eine Erschlaffung,

       die auf unserem Gebiet durch das Zurücktreten

       der Zaubermärchen und das Überhandnehmen

       der Schwankstoffe charakterisiert wird: im 14. und

       15. Jahrhundert wurde in Italien die N o v e l l e geboren,

       und sie drang alsbald nach Frankreich: noch dem

       15. Jahrhundert gehört die Sammlung der »cent nou-

       velles nouvelles« an. Das 15. Jahrhundert ist bemerkenswert

       durch die P r o s a a u f l ö s u n g der alten

       Versepen, die nunmehr durch Aufnahme märchenhafter

       Wanderstoffe im prosaischen Gewande anschwellen.

       Der »Perceforest«, dem im übrigen kein Versroman

       zugrunde liegt, bietet uns die älteste Version des

       Dornröschenmärchens, der »Zauberer Virgilius«

       nahm das orientalische Märchen vom Geist in der

       Flasche auf, und der »Ogier« bereicherte sich um ein

       Mahrtenehemärchen.

       Gleichzeitig mit dem Prosaroman blühte das

       D r a m a , das neben der heiligen Geschichte (in den

       Mystères) auch Stoffe schwank- und märchenhafter

       Art in den Farcen und Moralitäten pflegte. So begegnet

       in einer Farce des Eustache Deschamps († 1415)

       jener schlaue Betrüger Trubert wieder, der uns oben

       in Zusammenhang mit dem Meisterdiebmärchen beschäftigte.

       Das 16. Jahrhundert zeigt die Völker des Abendlandes

       in der Blüte ihrer ersten Mannesjahre: es war

       eine Zeit, die sich stürmisch von liebgewordenen Jugendträumen

       losriß, die wild von Tat zu Tat eilte, in

       der jeder Tag einen Markstein in der Geschichte bedeutet.

       Das christliche Jenseitsideal konnte dem

       immer reicher werdenden Erdenleben nicht mehr Genüge

       tun, das Jahrhundert wandte seinen Sinn auf das

       Irdische, ein Bestreben, das es der Antike näher führ-

       te, die nun ihre glänzende Auferstehung feierte. Aber

       neben antiker Formenpracht, neben religiöser Erneuerung

       lebte die gotische Barbarei fort. Es war ein Jahrhundert

       der Gegensätze. Während de Baïf die »Elektra

       « übersetzte, während Calvin seine »Institutiones«

       schrieb, versammelte sich der französische Hof in

       Lyon und betrachtete mit Stielgläsern, wie Montecucculi,

       der des Giftmordes am Dauphin bezichtigt war,

       von vier Pferden auseinandergerissen wurde, und die

       Höflinge schlossen Wetten ab, welches Glied der Gewalt

       der aufgepeitschten Rosse am längsten Widerstand

       leisten würde. Nur Margaretha von Angoulême,

       die feinfühlige Dichterin, verbarg ihr Haupt an der

       Schulter ihres königlichen Bruders. Die Hinwendung

       zum Realen und die Ausbildung des Individuellen

       konnte dem Märchen keinen Vorschub leisten: das

       16. Jahrhundert

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